Proteste dauern an. Hinter den Kulissen laufen Verhandlungen über eine Übergangsregierung. Alles hängt davon ab, wie und wann Mubarak geht.

Kairo. Der Druck auf Ägyptens Präsidenten Husni Mubarak nimmt stetig zu. Selbst im engsten Kreis wächst die Kritik am Herrscher vom Nil. Nun sucht man nach einem Weg, dem Machthaber einen würdevollen Abgang zu ermöglichen. Am Sonnabend gingen die Proteste auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo weiter.

Laut einem Bericht der „New York Times“ gibt es Überlegungen, Mubarak zu einer medizinischen Untersuchung nach Deutschland ausfliegen zu lassen. Dies sei Teil von Planungen der Führung um Vizepräsident Omar Suleiman, Mubarak einen würdigen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen. Er würde demnach zu seinem üblichen Gesundheits-Checkup nach Deutschland fliegen und diesmal länger bleiben. Eine Bestätigung für solche Pläne gab es zunächst nicht. Eine andere Variante sei, dass der Präsident sich in sein Ferienhaus im Badeort Scharm el Scheich zurückziehe, schrieb die „New York Times“ am Sonnabend weiter. Sie berief sich dabei auf ungenannte US-Regierungsmitarbeiter. Ziel sei, dass Mubarak den Präsidentenpalast verlasse, aber nicht seines Amtes enthoben werden müsse.

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Diese Überlegungen seien ein Teil von Plänen Suleimans und Teilen der militärischen Führung, den Einfluss Mubaraks zu begrenzen und gleichzeitig mit der Bildung einer Übergangsregierung unter Einbindung der Opposition zu beginnen. Sie könnte von Suleiman geführt werden. Eine Vorbedingung der Opposition für Gespräche mit Suleiman ist jedoch, dass Mubarak seine Amtsgeschäfte aufgeben muss. Auch am Sonnabend protestierten nach Angaben des arabischen Nachrichtensenders Al Dschasira weiter Tausende Regimegegner auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo. Es sei aber „sehr ruhig“, sagte der Korrespondent. Die Regimekritiker hatten am Freitagabend bekräftigt, nicht aufgeben zu wollen, bevor Mubarak aus dem Amt gejagt sei.

Unterdessen wurde die nächtliche Ausgangssperre gelockert. Künftig gelte sie von 19.00 Uhr Ortszeit bis 6.00 Uhr morgens (1800 bis 0500 MEZ), meldete Al-Dschasira unter Berufung auf das staatliche ägyptische Fernsehen. Das sind drei Stunden weniger als bisher.

US-Präsident Barack Obama forderte Mubarak auf, sich nicht dem Willen der Bevölkerung zu verweigern. Er habe bislang zweimal mit Mubarak gesprochen, sagte Obama am Freitag in Washington. Dabei habe er ihm nahegelegt, „darauf zu hören, was das ägyptische Volk vorbringt, und (...) ein Urteil zu fällen“. Der ägyptische Präsident müsse sich vor allem fragen, wie er den politischen Übergang „effektiv, dauerhaft und legitim“ gestalten wolle.Mubarak lehnt einen sofortigen Rücktritt bisher ab.

Im Norden der ägyptischen Halbinsel Sinai wurde offenbar ein Anschlag auf eine nach Israel führende Gaspipeline verübt. Nach ersten Angaben entstand kein größerer Schaden. „Saboteure haben sich die instabile Sicherheitslage zunutze gemacht“, meldete das staatliche ägyptische Fernsehen am Samstag. Augenzeugen in der Provinzhauptstadt Al-Arisch berichteten von einer Explosion und von Flammen, die zu sehen gewesen seien. Ägypten beliefert Israel mit Erdgas aus ägyptischer Produktion. In der Bevölkerung gibt es Widerstand gegen das entsprechende Abkommen mit Israel.

Der Freitag im Überblick:

Unter dem Druck der Straße und der internationalen Staatengemeinschaft sinkt das alte Regime langsam in die Knie. Zu Hunderttausenden forderten die Menschen am Freitag in Kairo, Alexandria und anderen Städten ein Ende der Ära Mubarak. Was zu blutigen Unruhen hätte führen können, entpuppte sich als ebenso machtvolle wie friedliche Demonstration für einen Wandel in Ägypten. Protokoll eines explosiven Tages:

7.40 Uhr: Die ägyptische Armee hat sich nach US-Angaben weiter Zurückhaltung auferlegt und will nicht gegen die Demonstranten in Kairo vorgehen. US-Generalstabschef Mike Mullen sagt im US-Fernsehen, die Militärführung habe ihm versichert, dass sie nicht auf die Bevölkerung schießen werde.

9.01 Uhr: Tausende Menschen harren auf dem Tahrir-Platz von Kairo aus. Sie bereiten sich auf weitere Massenproteste nach den Freitagsgebeten vor, die den Präsidenten Husni Mubarak zum Rücktritt zwingen sollen.

9.40 Uhr: Eine Gruppe von bewaffneten Männern hat am Morgen in der Stadt Al-Arisch die Zentrale der Geheimpolizei mit Panzerfäusten angegriffen.

10.25 Uhr: Immer mehr Menschen versammeln sich auf dem Tahrir-Platz. Augenzeugen berichten, in der Innenstadt hätten rund 1000 Soldaten Stellung bezogen. Anhänger Mubaraks, die in den Vortagen Demonstranten und ausländische Journalisten angegriffen haben, sind nicht dort zu sehen.

11.10 Uhr: Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi sagt nach Angaben des Senders al-Arabija auf dem Tahrir-Platz: "Hey Leute, es reicht. Der Mann wird nicht mehr kandidieren." Tantawi fügt hinzu: "Sagt dem Oberhaupt der Muslimbrüder, dass er den Dialog akzeptieren soll."

11.50 Uhr: Kurz vor Beginn des Freitagsgebets werden Journalisten in einem Hotel in der Nähe des Tahrir-Platzes aufgefordert, nicht von den Balkonen aus zu filmen oder zu fotografieren. Das Militär werde von jedem, der dagegen verstoße, die Ausrüstung konfiszieren.

12.34 Uhr: Zehntausende nehmen am Freitagsgebet auf dem Platz teil. "Wir wurden frei geboren und werden frei leben", ruft der Imam. "Ich fordere euch auf, geduldig zu sein bis zum Sieg."

13.19 Uhr: Das Kabinett weist die Armee nach eigenen Angaben an, ausländische Journalisten bei deren Arbeit zu unterstützen. Mehrere Reporter in Kairo waren attackiert worden.

13.21 Uhr: Die Uno-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay fordert eine Untersuchung der blutigen Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Mubarak. Bei den Unruhen am Mittwoch habe es "schockierende Szenen" gegeben. Die Vorfälle müssten "transparent und unparteiisch" untersucht werden, fordert Pillay.

13.45 Uhr: Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, erwägt eine Kandidatur bei einer künftigen Präsidentenwahl. Mussa erklärt im französischen Rundfunksender Europe 1, er erwarte, dass Präsident Mubarak bis zum Ende seiner Amtszeit in sieben Monaten an der Spitze der Regierung bleibe. Er glaube, dass es unmöglich wäre, rasch Neuwahlen zu organisieren.

14.04 Uhr: Ägypten hat nach Angaben von Finanzminister Samir Radwan durch die seit zehn Tagen anhaltenden Proteste immense wirtschaftliche Verluste erlitten. Die Regierung will nach eigenen Angaben Bürger entschädigen, die durch die Unruhen Schäden erlitten haben. Der Hilfsfonds soll umgerechnet rund 630 Millionen Euro umfassen.

14.38 Uhr: Arabische Reporter melden vereinzelte Zusammenstöße zwischen Regimegegnern und Mubarak-Anhängern in Kairo, Alexandria und Port Said. Ein Augenzeuge in Kairo berichtet, bei den Pro-Mubarak-Gruppen handele es sich um Schlägertrupps, die versuchten, den Demonstranten den Weg abzuschneiden. Nahe dem Tahrir-Platz griffen Anhänger der alten Führung Regimegegner an. Die Gruppen hätten sich mit Steinen beworfen, berichteten Augenzeugen. Mindestens acht Menschen seien verletzt worden.

14.52 Uhr: Das Büro von al-Dschasira in Kairo ist nach Angaben des arabischen Fernsehsenders von einer "Bande von Dieben" gestürmt und verwüstet worden. Es sei Feuer gelegt und Ausrüstung beschädigt worden.

15.18 Uhr: Mehrere Funktionäre des alten Regimes sollen wegen Korruption vor Gericht gestellt werden, meldet die ägyptische Nachrichtenwebsite Youm7 unter Berufung auf Justizkreise. Unter den Verdächtigen, gegen die ein Ausreiseverbot verhängt wurde, seien Ex-Innenminister Habib al-Adli, der Stahlmagnat Ahmed Ezz, Tourismusminister Suheir Garana und Wohnungsbauminister Ahmed al-Maghrabi.

20.11 Uhr: Seit Beginn der Unruhen haben mindestens 160 000 Ausländer allein über den Flughafen Kairo das Land verlassen, meldet die amtliche Nachrichtenagentur Mena. Der neue Vizepräsident Omar Suleiman hatte schon zuvor von gut einer Million Touristen gesprochen, die aus Ägyptens Urlaubszentren ausgereist seien.

20.34 Uhr: Die regierende Nationaldemokratische Partei (NDP) ruft ihre Anhänger zum Gewaltverzicht auf. Sie sollten "sich an den Waffenstillstand halten und keine Konfrontationen mit anderen suchen". Zugleich weist sie Vorwürfe zurück, sie stecke hinter den Angriffen auf Regierungsgegner.

21.00 Uhr: Der Oppositionspolitiker Mohammed al-Baradei bringt sich als möglicher Mubarak-Nachfolger ins Gespräch. "Wenn die Leute es so wollen, würde ich selbstverständlich zur Verfügung stehen", sagt al-Baradei der österreichischen Zeitung "Der Standard".

21.18 Uhr: Die ägyptische Regierung hat das in Kairo und in mehreren anderen Städten verhängte Ausgehverbot gelockert, berichtet das staatliche Fernsehen. Es gilt jetzt von 19 bis 6 Uhr anstatt von 17 bis 7 Uhr.