Beim Staatsbesuch von Verkehrsminister Ramsauer bieten sich seltene Einblicke in das syrische Regime. Machthaber reagieren auf erste Proteste.

Damaskus. Baschar al-Assad schaut entschlossen auf dem Bild mit dem goldenen Rahmen, das über dem Kopf des Premierministers an der Wand hängt. Syriens Herrscher, der vor einem Jahrzehnt das Erbe seines Vaters übernahm, schaut immer entschlossen, und er hängt in jedem Raum, in dem Mitglieder seiner Regierung ausländische Gäste empfangen.

Es sind Botschaften ohne Zwischentöne, die Premier Mohammed Naji Otri in seinem Marmorpalast für den deutschen Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) parat hat. Die erste: Syrien ist stabil, weil die Regierung im Interesse des Volkes handelt. Die zweite: Mubarak hat sich an die Amerikaner verkauft und braucht sich nicht zu wundern, wenn die Ägypter sich gegen ihn erheben. Die dritte: Syrien will Frieden, nur ist der mit Israel kaum möglich.

Interview mit Ramsauer: Syrien "in Schlüsselposition"

Otri, ein schwerer Mann um die 70, liegt mehr in seinem Sessel, als er sitzt. Er lächelt matt. An den seltenen Staatsgast aus Berlin richtet er den Wunsch, dass sich deutsche Firmen stärker in Syrien engagieren. Und vor allem, dass die Lufthansa nach Jahren wieder in Damaskus landet. Ramsauer, dem an einem Ausbau der Wirtschaftskontakte gelegen ist, will sich dafür einsetzen.

Während des Besuchs der deutschen Delegation sieht es in Damaskus nicht nach Umsturz aus. Im Suq al-Hamadiya bieten die Händler wie seit Jahrhunderten ihre Teppiche, Gewürze, Süßwaren feil. Minibusse holpern durch die Gassen der Altstadt. In manchen Läden sind Bilder zu kaufen, die al-Assad mit Irans Präsidenten Ahmadinedschad und Hisbollah-Führer Nasrallah zeigen. Manche in der Stadt verfolgen im Fernsehen statt der üblichen Seifenopern die Revolte in Ägypten. Der arabische Sender al-Dschasira kommentiert den Volksaufstand am Nil ähnlich euphorisch wie CNN seinerzeit den Einmarsch der amerikanischen Armee in Bagdad.

Zu ersten Demonstrationen gegen die syrische Führung haben Regimegegner für dieses Wochenende aufgerufen. Nach den Freitagsgebeten sollten Protestaktionen in mehreren Städten beginnen. In der Nähe des Parlamentsgebäudes zogen Sicherheitskräfte auf, doch es blieb vorerst ruhig. Wenige Tage zuvor hatte in Damaskus eine Mahnwache stattgefunden, die sich nicht gegen al-Assad, sondern gegen Mubarak richtete. In der Nähe der ägyptischen Botschaft versammelten sich 100 junge Menschen und hielten Karikaturen empor, die den taumelnden Herrscher von Kairo zeigten. Verabredet hatten sie sich auf Facebook. Solche Internetportale wurden in Syrien gesperrt, aber die Hürden sind bisher leicht zu umgehen. Das Regime in Damaskus reagierte auf die Proteste in der arabischen Welt und erhöhte die Sozialleistungen. Der Heizkostenzuschuss für Arbeitnehmer und Pensionäre wurde verdoppelt.

Der syrischen Regierung macht die Bevölkerungsentwicklung zu schaffen, das räumt Premier Otri ein. Inzwischen seien 65 Prozent der 23 Millionen Menschen in Syrien unter 28 Jahren - und drängen auf den Arbeitsmarkt. Junge Menschen ohne Perspektive sind für das Regime brandgefährlich. Um neue Erwerbsquellen zu erschließen, lässt al-Assad eine Liberalisierung der Wirtschaft zu. Das sozialistische Plansystem soll in eine Marktwirtschaft umgewandelt werden.

Vizepremier Abdallah al-Dardari und Transportminister Yaroub al-Badr präsentieren den neuen Fünfjahresplan als Verheißung. Sie überschütten die Delegation aus Deutschland mit Zahlen. Al-Badr berichtet, dass Syrien sechs Milliarden Dollar in sein Transportsystem investieren will, vor allem in neue Eisenbahnstrecken. Al-Dardari, der als Architekt der Reformen gilt, spricht von 100 Milliarden Dollar für die gesamte Infrastruktur - auch aus privaten Mitteln. Al-Dardari, der als einziges Regierungsmitglied nicht der Baath-Partei angehört, könnte auch als Handelsvertreter arbeiten. Er ist das freundliche Gesicht der Diktatur.

Westliche Diplomaten halten sich mit Prognosen über die Stabilität des Regimes zurück. Die Reformen haben die Gegensätze zwischen Arm und Reich verschärft und neuen sozialen Sprengstoff erzeugt. Doch ist die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten besser als in vielen arabischen Ländern. Außerdem ist ungewiss, ob die Syrer den Mut aufbringen, sich wie die Ägypter zu erheben. Die Unterdrückungsmaschinerie aus Polizei und Geheimdienst gilt als besonders effektiv - auch eine Frucht jahrzehntelanger Entwicklungszusammenarbeit mit der DDR.

Der Clan der al-Assads hat bewiesen, dass er bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen. Als in den Achtzigerjahren die islamistischen Muslimbrüder revoltierten, schickte der Diktator das Militär. Hafes al-Assad ließ die westsyrische Stadt Hama dem Erdboden gleichmachen. Mehrere Zehntausend Menschen sollen getötet worden sein.

Würde Baschar, der Hoffnungen auf eine politische Öffnung enttäuscht hat, genauso reagieren wie sein Vater? Allein diese Ungewissheit dürfte viele Syrer von Demonstrationen abhalten. Die al-Assads gehören den Alewiten an, einer schiitischen Sekte, die besonderen Anfechtungen ausgesetzt ist - und sich zu wehren weiß. Für viele Sunniten sind Alewiten schlicht Ketzer. Und mehr als 70 Prozent der Syrer sind Sunniten.

Die Muslimbruderschaft, in Ägypten ein Machtfaktor, ist in Syrien nicht mehr sichtbar. Allein die Mitgliedschaft wird mit dem Tod bestraft. Ob sich die Islamisten im Untergrund bewegen, entzieht sich der Kenntnis westlicher Diplomaten.

Im Kalten Krieg ist Syrien als "kleine DDR" charakterisiert worden, nicht nur wegen des Sicherheitsapparats, sondern auch wegen der relativen Stabilität. Das Ende der DDR kam plötzlich.