Experten bezweifeln Berichte und halten auch einen Propagandacoup des russischen Ministerpräsidenten vor der Wahl für möglich.

Moskau. Genau eine Woche vor den Präsidentenwahlen bringt der halbstaatliche russische Fernsehsender Kanal 1 eine sensationelle Nachricht: Russische und ukrainische Geheimdienste hätten einen Anschlag auf den Premierminister und Präsidentschaftskandidaten Wladimir Putin vereitelt.

In der ukrainischen Stadt Odessa seien mutmaßliche islamistische Terroristen festgenommen worden. Kurz nach den Wahlen am Sonntag wollten sie Putin ermorden. Für die Reportage über diesen Fall hätten Journalisten von Kanal 1 exklusiv die Videoaufnahmen der ukrainischen Geheimdienste bekommen - sowie eine Möglichkeit, die Verdächtigten zu interviewen.

In Russland wächst der Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieses Berichts. "Unser Ziel war, nach Moskau zu fahren und zu versuchen, einen Mordanschlag auf Premierminister Wladimir Putin zu verüben", sagt einer der mutmaßlichen Täter, Adam Osmajew, im Interview mit dem russischen Fernsehsender. Seine Hände sind bandagiert, am Kopf Blutspuren. Sekunden davor wurde die Szene seiner Festnahme gezeigt: Ein Sonderkommando stürmte durch das Fenster einer Wohnung in Odessa. Schnitt: Der festgenommene Osmajew sitzt auf dem Fußboden mit verbundenen Händen, sein Gesicht trägt Wunden von Schlägen. Er arbeite gerne mit ukrainischen Ermittlern zusammen, weil er nicht wolle, nach Russland ausgeliefert zu werden, sagt er.

Seit 2007 werde der 31-jährige russische Staatsbürger aus der Teilrepublik Tschetschenien gesucht, heißt es. Er habe lange in London gelebt und von dort aus die Vorbereitung des Terroranschlags koordiniert. Der Auftraggeber des Mordes sei der tschetschenische Terroristenführer Doku Umarow.

Der Plan der mutmaßlichen Täter erschließt sich aus der Reportage nicht ganz. An einer Stelle sagt Osmajew, sie wollten Panzerabwehrminen benutzen. Doch später fügte er hinzu, dass einer seiner Mittäter auch bereit war, einen Selbstmordanschlag auszuüben. An einer anderen Stelle behauptet der Reporter aber, dass eine Plastikbombe Putin töten sollte. Ein Teil des Sprengstoffs sei bereits vor fünf Jahren nach Moskau transportiert und neben der Straße Kutusowski-Prospekt versteckt worden.

Im Jahr 2007 entdeckten russische Geheimdienste in Moskau tatsächlich ein Auto mit 20 Kilogramm Plastiksprengstoff. Damals hieß es, es sei ein geplanter Anschlag auf den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow gewesen. Adam Osmajew war einer der Verdächtigten, doch seine Schuld wurde nicht bewiesen, und er kam frei.

Auf Osmajews Laptop fand die Polizei nun seinen Vorbereitungsplan. Eines der Bilder zeigt ein leeres Auto von vorne, darüber sind zwei schematische Menschenfiguren auf dem Vordersitz gezeichnet und als Zielscheibe markiert. Auch Videos vom Auto-Konvoi des Premierministers seien auf dem Laptop gefunden worden. Kurz nach den Wahlen sollte Putins Wagen offenbar in die Luft gesprengt werden.

"Das wäre eine starke Explosion gewesen, genug, um einen Lkw aufzureißen", sagt ein Mitarbeiter der russischen Geheimdienste, der Journalisten den Ort des geplanten Anschlags zeigt.

Ukrainische Ermittler seien vor zwei Monaten durch Zufall auf die Spur der vermutlichen Attentäter gekommen: Am 4. Januar kam es zu einer Explosion in einem Hof in Odessa. Einer der Einwohner dieser Wohnung, Ruslan Madajew, kam ums Leben, der andere, Ilja Pjansin, überlebte und wurde vom ukrainischen Geheimdienst vernommen. In seinen Sachen seien Bombenteile gefunden worden.

Doch die Reportage des halbstaatlichen Senders wirft in Russland Fragen auf. Dass die Nachricht pünktlich zum Wahlkampf kommt, halten viele für verdächtig. Auch die Beweise, die in der Reportage gezeigt wurden, werden kritisiert. Der ehemalige stellvertretende Leiter der russischen Anti-Terror-Sondereinheit "Alpha", Sergej Gontscharow, sagte der "Welt": "Aus den Informationen, die im Fernsehen gezeigt wurden, kann ich keine ernsthaften Hinweise darauf erkennen, dass diese Menschen einen Anschlag auf Putin vorbereiten wollten. Ausgehend von ihrem Aussehen und dem Niveau der technischen Vorbereitung waren sie dazu gar nicht in der Lage."

Die Videos und Fotos vom Laptop konnte man leicht im Internet finden. Auch von den Informationen über den versteckten Sprengstoff hält der Experte nicht viel: "Inzwischen müsste man wohl neuen Sprengstoff benutzen. Das können alles nur Vermutungen sein."

"Ich kann die Meldungen aus Moskau bestätigen, zusammen mit den Kollegen aus Russland wurde ein Attentat verhindert", sagte Marina Ostapenko, Sprecherin des ukrainischen Geheimdienstes, gestern in Kiew. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte, er könne den Fernsehbericht bestätigen, aber keine weiteren Angaben machen.

"Das, was wir über diesen Anschlagsversuch wissen, lässt nicht auf eine ernsthafte Operation schließen. Zufällig explodiert etwas, es werden Menschen festgenommen, die sagen, dass sie irgendwann in der Zukunft einen Anschlag auf den russischen Premierminister verüben wollten. Die Stufe ihrer Vorbereitung bis zum richtigen Attentat ist sehr groß", sagte der Politologe Nikolai Petrow vom Moskauer Carnegie-Zentrum dem Radiosender "Kommersant FM". "Die allgemeine Idee und der Informationshintergrund des Berichtes sind klar: Wir müssen uns als ganze Nation hinter unseren Anführer stellen, der so effektiv handelt, dass sich unterschiedliche Kräfte bis hin zu tschetschenischen Terroristen gegen ihn verschwören", sagte Petrow. Kanal 1 nannte solche Vermutungen "Anzeichen einer psychischen Krankheit".