Avi Primor war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland. Heute arbeitet er als Publizist. Er glaubt an Frieden in Nahost.

Hamburg. Die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern scheitern im Moment vor allem an der Härte der israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu, sagt Avi Primor. Doch er sagt auch: Ein Frieden in Nahost ist möglich.

Hamburger Abendblatt: Die israelische Armee hat gestern Fehler beim Vorgehen gegen Palästinenser-Proteste im Westjordanland eingestanden. Die Selbstkritik ist eine Premiere.

Avi Primor: Der aktuelle Streit zeigt ein Umdenken des israelischen Militärs. Für lange Zeit war die Armee nur sich selbst verantwortlich. Wenn es aufseiten der Palästinenser Tote durch israelische Militärschläge gab, hieß die Antwort immer: Es gab keine Alternative. Nach dem Krieg im Gazastreifen Anfang 2009 waren es aber Soldaten, die Kritik an den Operationen und toten Zivilisten übten. Jetzt hinterfragt die Armee ihr Vorgehen erstmals selbst. Das ist ein Fortschritt.

Die Regierung Netanjahu ignoriert die US-Forderung, den Siedlungsbau zu stoppen. Wie steht es um das Verhältnis Israels und den USA?

Primor: Die Menschen machen sich darüber große Sorgen. Schließlich sind wir vollkommen abhängig von den Amerikanern. Die Menschen sehen gleichzeitig ein, dass die Regierung den Siedlungsbau im Westjordanland stoppen muss. Aber ein Stopp auch in Jerusalem - dafür haben sie kein Verständnis. Denn die Israelis sehen Jerusalem als ihre Hauptstadt. Netanjahu hat sogar weitere Bauprojekte angekündigt, als US-Vizepräsident Joe Biden zu Besuch war. Eine Provokation.

Was sind die Gründe?

Primor: Netanjahu manövriert. Es geht um ein Gleichgewicht des Schreckens. Das heißt, wen fürchtet er mehr: die Amerikaner oder den Gegenwind aus seiner eigenen Partei? Denn das eigene Lager war es, das ihn Ende der 1990er-Jahre als Ministerpräsidenten gestürzt hat. Er wurde damals kritisiert, weil er mit Palästinenserpräsident Arafat verhandelt hat und weil er dem Druck des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton nachgegeben hat. Heute will er unbedingt an der Macht bleiben. Dafür braucht er den Rückhalt seiner Koalition. Und die ist noch rechtsextremer, als sie damals war. Die Amerikaner dagegen, meint er, könne man mit Lippenbekenntnissen hinhalten.

Die Erwartungen an Obama als Friedensbringer in Nahost sind hoch.

Primor: Taktisch haben die USA den Fehler gemacht, ein Jahr lang gar nichts zu tun. Sie haben einfach abgewartet, statt die Verhandlungen voranzutreiben mit den Problemen einer künftigen Grenzziehung zwischen zwei Staaten, der Flüchtlingsfrage und dem Streit um Jerusalem.

Mit wem soll Israel verhandeln: mit der Fatah oder der Hamas?

Primor: Unser Partner ist die palästinensische Regierung im Westjordanland. Man darf aber die Hamas auch nicht ausgrenzen. Wir brauchen die Hamas. Und die Hamas braucht uns. Es geht dabei zunächst aber nicht um Friedensverhandlungen, sondern darum, politische Probleme zu lösen. Zwar ist die Hamas auch eine terroristische Vereinigung, aber sie hat auch einen Staat zu verwalten und eine Bevölkerung, die sie zufriedenstellen muss. Dafür ist sie auf Israel angewiesen. Und ein Staat verhandelt nicht nur aus moralischen Gründen, sondern aus nationalem Interesse.

Was ist das Interesse Israels?

Primor: Sicherheit und Demografie. Sollte Israel die Palästinensergebiete annektieren, dann ist fast die Hälfte der Bevölkerung palästinensisch. Hinzu kommt die hohe Geburtenrate. Am Ende könnten radikale Palästinenser Wahlen gewinnen - und ganz offiziell und auf demokratischem Weg den israelischen Staat abschaffen. Es gibt also keine Alternative zu einer Lösung mit zwei unabhängigen Staaten. Die Mehrheit in Israel kann das auch akzeptieren.

Avi Primor: Ein Frieden in Nahost ist möglich, edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010.