Ihr Mann bittet die ukrainische Oppositionsführerin, den Hungerstreik abzubrechen. Polnische Politiker sind gegen einen EM-Boykott.

Warschau. Zwölf Tage nachdem sie ihren Hungerstreik begonnen hat, wachsen die Sorgen um den Zustand von Julia Timoschenko. Der Ehemann der inhaftierten Oppositionsführerin der Ukraine, Oleksandr Timoschenko, wandte sich an seine Frau "mit der Bitte, den Hungerstreik zu beenden". Eine dauerhafte Schwächung oder gar der Tod der Politikerin könne nur Präsident Viktor Janukowitsch in Kiew gefallen, sagte der Mann, der in Tschechien politisches Asyl erhalten hat. Auch US-Außenministerin Hillary Clinton und der scheidende russische Präsident Dmitri Medwedew kritisierten den Umgang der Beamten mit der inhaftierten Frau.

Derweil geht die Debatte in Deutschland, ob die im Juni in Polen und der Ukraine geplante Fußball-EM wie geplant stattfinden soll, weiter. Nach langem Zögern kommt jetzt die Antwort aus Kiew: Die ukrainische Regierung hoffe, dass deutsche Politiker nicht beabsichtigten, "Methoden wie im kalten Krieg wieder aufleben zu lassen und den Sport zu einer Geisel der Politik zu machen", sagte Außenamtssprecher Oleh Woloschyn. Medienberichte über einen möglichen EM-Boykott durch Politiker der Bundesregierung seien hoffentlich falsch. Bundespräsident Joachim Gauck hatte eine für Mai geplante Reise zu einem Treffen mehrerer mitteleuropäischer Präsidenten in der Ukraine abgesagt.

+++ Kein Boykott der EM +++

Die Gruppenspiele mit deutscher Beteiligung und das EM-Finale sollen in der Ukraine stattfinden. Jetzt wurden Vorschläge laut, die Spiele zu verlegen, etwa nach Deutschland. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach wies solche Ideen gegenüber der "Welt" zurück: "Mit dem Gedanken einer Verlegung nach Deutschland beschäftigen wir uns keine Sekunde. Die Menschen in der Ukraine haben diese EM verdient", sagte Niersbach. Die Drohung eines Boykotts der EM durch Politiker sei jedoch richtig, so Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP). "Es ist gut, der Ukraine aufzuzeigen, was schlimmstenfalls passieren kann", sagte Niebel der "Rheinischen Post". Das Land solle "die Zeit und die Chance nutzen, zu den selbst gewählten Standards von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit und damit auf den Weg nach Europa zurückzukehren".

In Polen, dem Mitveranstalter der EM, beginnt man sich über die deutsche Debatte zu wundern. Das Außenministerium sieht "derzeit absolut keinen Grund, über einen Boykott nachzudenken". Frau Timoschenko habe immer wieder dazu aufgerufen, "ihr zu helfen, ohne der Ukraine zu schaden, und wir wollen dieser Linie treu bleiben", sagte der Sprecher des Ministeriums. Pawel Kowal, Chef des EU-Ukraine-Ausschusses im Europaparlament, sagte, es sei inzwischen "in Europa Mode geworden, ohne Sinn und Verstand auf die Ukraine einzudreschen". Die "geradezu italienisch anmutende Debatte in Deutschland" erstaune ihn. Wenn "unsere Verbündeten in Brüssel, Berlin und Paris" einen Boykott der gemeinsamen Fußball-EM diskutierten, müsse auch die Regierung in Warschau reagieren. Natürlich sei Kritik am Umgang mit der Opposition in der Ukraine berechtigt, sagte Kowal, der Julia Timoschenko vor Kurzem im Gefängnis besucht hatte. "Aber wird es Julia besser gehen, wenn keine deutschen Politiker in ihr Land reisen?"

Die EM, so der Politiker, sei "das größte Sportereignis in der Geschichte Polens, ganz zu schweigen von der doppelten Dimension zusammen mit der Ukraine." Ein Boykott würde "Millionen Menschen, die sich darauf vorbereiten, vor den Kopf stoßen". Es gehe darum, Präsident Janukowitsch "mit Druck hinter den Kulissen andere Wege aufzuzeigen". Kowal lobte die Strategie der Bundesregierung, die auf eine Freilassung Timoschenkos aus humanitären Gründen setzt. Ein EM-Boykott sei jedoch eine Waffe aus einem anderen Arsenal. "Und wenn wir hier boykottieren, was machen wir dann mit den nächsten Sport- und Kulturveranstaltungen in Weißrussland, Russland und China?", fragt Kowal.

+++ EM-Spiele in Deutschland? Niersbach sagt "Nein" +++

Auch prominente Kritiker der Regierung in Kiew wandten sich gegen einen Boykott. Oksana Sabuschko, die bekannteste Schriftstellerin des Landes, sagte: "Ein Boykott würde die Ukraine international isolieren und restlos unter den Einfluss Russlands bringen, wogegen wir ja kämpfen", so Sabuschko. "Er würde die Zone des Autoritarismus im Osten Europas ausweiten. Dagegen würde die EM die Informationsmauer, die unser Land vom Westen trennt, durchbrechen und zu mehr Gemeinsamkeit und gemeinsamer Sicherheit in Europa beitragen." Ihr Kollege Juri Andruchowytsch urteilt weniger kategorisch: "Zum Boykott habe ich keine klare Meinung. In die Isolation rutschen wir, dank dem regierenden Klüngel, sowieso. Ob vor oder nach der EM, macht dann keinen großen Unterschied."

Bei den Bombenanschlägen im ukrainischen Dnjepropetrowsk vom Freitag, bei denen 29 Personen verletzt worden waren, haben die Behörden bisher offenbar keine heiße Spur. Der Geheimdienst SBU veröffentlichte Phantombilder von drei Männern im Alter von 30 bis 45 Jahren, die wegen der Anschläge gesucht werden. Politiker von Regierung und Opposition hielten sich mit Schuldzuweisungen und Vermutungen, wer hinter den Anschlägen stecken könne, zurück. In den Medien wurde über einen Zusammenhang mit der Ermordung eines örtlichen Unternehmers vor zwei Wochen spekuliert.

Der Oppositionsabgeordnete Taras Tschornowil vermutete als Ziel der Anschläge, die Ukraine vor der EM zu diskreditieren. "Die Negativberichterstattung wird noch sehr stark sein. Der Gewinner wäre dabei Russland", sagte er.

Die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau sind angespannt. Janukowitsch wird vermutlich nicht zur Amtseinführung von Präsident Wladimir Putin reisen. Eine führende Moskauer Zeitung kritisierte, der einst als russlandfreundlich geltende Janukowitsch wolle die verteidigungspolitische Zusammenarbeit mit Moskau "aufkündigen".