Sollte Timoschenko bis zur EM nicht freigelassen werden, will die CDU-Vorsitzende ihren Ministern empfehlen, den Spielen fernzubleiben.

Kiew. Im Ringen um das Schicksal von Julia Timoschenko setzt ihre Tochter Eugenia große Hoffnungen in die Bundesregierung. Mit einem dramatischen Appell bat die 32-Jährige um Hilfe. „Retten Sie das Leben meiner Mutter, bevor es zu spät ist“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Ein Prozess gegen ihre Mutter wurde derweil auf Anordnung des zuständigen Richters vertagt. Ihre Anwälte erklärten, ihre Mandantin sei prozessunfähig und müsse wie von Ärzten der Berliner Charité empfohlen im Ausland behandelt werden.

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Der Umgang der Ukraine mit der früheren Ministerpräsidentin Timoschenko erregte derweil weiter die Gemüter – in Berlin wie in Brüssel. Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich über Berichte über Misshandlungen der Politikerin schockiert. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle stellte gar die Aussicht der Ukraine auf eine Kooperation mit der Europäischen Union infrage.

Einen Tag nach der Bombenserie in Timoschenkos Geburtsstadt Dnipropetrowsk, bei der nach neuen Angaben mindestens 30 Menschen verletzt wurden, tappten die ukrainischen Ermittler am Samstag bei der Suche nach möglichen Drahtziehern noch immer im Dunkeln.

Merkel denkt über EM-Boykott nach

Bundeskanzlerin Angela Merkel denkt derweil offenbar über einen politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine nach. Sollte Timoschenko bis dahin nicht freigelassen worden sein, will die CDU-Vorsitzende nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ vom Sonntag ihren Ministern empfehlen, den Spielen fernzubleiben. Allenfalls für Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in seiner Funktion als Sportminister könnte eine Ausnahme gelten.

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Friedrich hatte in der vor wenigen Tagen nach Absprache mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) erklärt, er werde an dem Spiel Deutschland gegen die Niederlande in Charkow nur teilnehmen, wenn er vorher Timoschenko besuchen könne.

Seit gut einer Woche im Hungerstreik

„Das Schicksal meiner Mutter und meines Landes sind jetzt eins. Wenn sie stirbt, stirbt auch die Demokratie“, sagte Eugenia Timoschenko. Ihre Mutter befindet sich seit gut einer Woche im Hungerstreik. Nach Aussage der Tochter ist sie „sehr schwach“. „Sie trinkt nur Wasser. Ihre Rückenschmerzen sind viel schlimmer geworden, seitdem sie gegen ihren Willen mit Gewalt ins Krankenhaus gebracht wurde“, sagte die Tochter der „Bild am Sonntag“. Der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ berichtete sie, ihre Mutter sei vom Direktor der Strafkolonie in Charkow mit einem Faustschlag niedergestreckt worden.

„Meine Mutter wird ihren Hungerstreik weiterführen“, sagte Eugenia Timoschenko der Nachrichtenagentur dapd. „Ich habe zwar versucht, sie davon abzubringen, weil ihre Gesundheit bereits angeschlagen ist. Aber sie sagte, sie wird nicht aufhören, bis die Führung in Kiew die medizinische Versorgung bewilligt, die von den Berliner Professoren Einhäupl und Haas vorgesehen ist.“

Die Absage einer Reise in die Ukraine von Bundespräsident Joachim Gauck wertete Eugenia Timoschenko als „sehr starkes Signal der Unterstützung“ und „Solidaritätssignal an die gesamte Opposition und alle politischen Gefangenen“. Deutschland sei das Schlüsselland, um in Europa Druck auf die Ukraine auszuüben. Eugenia Timoschenko appellierte an andere europäische Spitzenpolitiker, es Gauck gleich zu tun: Kein europäischer Staatsmann mit Selbstrespekt könne sich neben den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch stellen. „Er sollte boykottiert werden.“

Timoschenko verbüßt eine siebenjährige Haftstrafe wegen Machtmissbrauchs. Im Westen wurde der Prozess gegen sie als politisch motiviert kritisiert. Ein weiteres Verfahren wegen des Vorwurfs der Unterschlagung von mehreren Millionen Euro in ihrer Zeit als Vorsitzende eines Energieunternehmens wurde am Samstag auf den 21. Mai verschoben. Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich zuvor Anhänger und Gegner Timoschenkos versammelt und lautstark protestiert.

Kooperation mit EU auf dem Prüfstand

„Die Weise, in der die ukrainischen Behörden Julia Timoschenko behandeln, ist gegen alle Prinzipien der Partnerschaft zwischen der EU und der Ukraine“, sagte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle der „Welt am Sonntag“ laut Vorabbericht. „Der Umgang mit ihr ist ein schmerzhafter Schandfleck für Kiew.“ Die Aussicht des Landes auf eine Kooperation mit der EU stellte Füle dann auf den Prüfstand. „Wenn die Ukraine das angestrebte Assoziierungsabkommen mit der EU abschließen will, muss sie sich an Gesetz und Demokratie halten. Die Regierung muss beweisen, dass der Vorwurf politisch motivierter Prozesse nicht gerechtfertigt ist.“

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle nahm die Regierung in Kiew im Fall Timoschenko in die Pflicht. Europäische Werte verlangten die Achtung von Grundrechten auch von Inhaftierten. „Ich fordere die ukrainische Regierung auf, in diesem Sinne ihrer Verantwortung für die Gesundheit von Julia Timoschenko und der anderen Häftlinge gerecht zu werden“, appellierte der Außenminister an die Regierenden in Kiew. Deutschland setze sich für eine Annäherung der Ukraine an die EU ein. Das gehe aber nicht ohne glaubwürdige Schritte zu mehr Rechtsstaatlichkeit.

Noch keine Hinweise zu Drahtziehern

Einen Tag nach den Bombenanschlägen im Osten der Ukraine herrscht weiter Rätselraten über die Hintergründe. Die Ermittler hätten die mutmaßlichen Drahtzieher noch nicht identifiziert, sagte Präsident Janukowitsch. Bei vier Explosionen in Dnipropetrowsk wurden am Freitag mindestens 30 Menschen verletzt, darunter neun Schulkinder. Am Samstag reiste Janukowitsch in die Stadt, um sich in die Ermittlungen vor Ort einzuklinken. Bei der Eingrenzung möglicher Szenarien habe es Fortschritte gegeben, sagte der Präsident. Nähere Einzelheiten nannte er jedoch nicht. Für Hinweise zur Ergreifung von Tatverdächtigen setzten die Behörden eine Belohnung von zwei Millionen Hryvna (189.000 Euro) aus.

Medwedew kritisiert Haftbedingungen

Mit scharfen Worten hat auch der russische Präsident Dmitri Medwedew den Umgang der Ukraine mit Timoschenko kritisiert. Die Inhaftierung der Oppositionsführerin sei „völlig inakzeptabel“ und werfe einen tiefen Schatten auf das Nachbarland, sagte Medwedew bei einem Treffen mit Menschenrechtlern in Moskau. Harte Bandagen seien in der politischen Auseinandersetzung normal. Aber das rechtfertige nicht die Inhaftierung direkter Rivalen nach einem politischen Prozess, wurde der Kremlchef am Sonntag von der Agentur Interfax zitiert. Die Situation in der Ukraine sei „höchst befremdlich“.

Russland hatte bereits zuvor massiv Kritik am Timoschenko-Prozess geäußert, die wegen angeblich ungünstiger bilateraler Gasverträge zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war. Moskau sieht den Fall der 51-Jährigen auch als Druckmittel der Führung in Kiew, neue Gasverträge mit günstigeren Preisen auszuhandeln.

In Kiew forderte der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko indes eine schnelle Aufklärung der Bombenserie mit 30 Verletzten in der Stadt Dnjepropetrowsk. „Bis wann wollen Sie den Ukrainern und den westlichen Freunden, die zur Fußball-Europameisterschaft kommen wollen, eine klare Antwort über den Schuldigen geben?“, fragte der Boxer bei einer TV-Debatte den Vize-Geheimdienstchef Wladimir Rokitski. Er habe Anrufe aus Deutschland erhalten, dass dortige Fans „massenhaft“ EM-Tickets zurückgeben, sagte Vitali Klitschko. In Dnjepropetrowsk, der Heimatstadt Timoschenkos, waren am Freitag vier Bomben explodiert. Die Hintergründe galten weiter als unklar.

Mit Material von dpa