Rom. Spätestens seit Premierministerin Giorgia Meloni längst kein Novum mehr: Italien diskutiert die mögliche Rückkehr zur Atomenergie.

Die Einwohner von Montalto di Castro bezeichnen es als „Ökomonster“: Das riesige, unfertige Kernkraftwerk direkt an Italiens Westküste, 120 Kilometer nördlich von Rom, ist eine offene Wunde für die Bewohner der 8000 Seelen-Gemeinde, in der einst die Etrusker florierende Geschäfte betrieben. Ursprünglich sollte es in Montalto di Castro, an der Grenze zwischen den mittel-italienischen Regionen Toskana und Latium in Betrieb gehen. Am 1976 ausgewählten Standort hätten zwei Siedewasserreaktoren mit einer Leistung von je 1009 Megawatt entstehen sollen, die in den Jahren 1973/1974 bei General Electric bestellt wurden.

Die Baubewilligung wurde 1979 erteilt, trotz Protesten von Umweltschützern wurde der Atommeiler gebaut. Wegen des Atomunfalls von Harrisburg/Three Mile Island und infolge zunehmender Proteste von Umweltschützern verzögerte sich jedoch der Energieplan der italienischen Regierung – und wurde schließlich komplett gestoppt. Das endgültige Aus kam dann im Juni 1988, als von der Regierung alle AKW-Neubauprojekte abgesagt wurden.

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Daraufhin wurde das Atomkraftwerk in Montalto di Castro in ein konventionelles Kraftwerk umgebaut. Der Atommeiler ging zwar nicht in Betrieb, doch das „Ökomonster“ verschandelt weiterhin die ansonsten sehr idyllische Umgebung mit Sandstrand und Dünen. 2009 wurde dort ein Solarkraftwerk mit sechs Megawatt Leistung fertiggestellt.

Das „Ökomonster“ in Montalto di Castro: Das Atomkraftwerk ging nie in Betrieb und wurde schließlich in ein konventionelles Kraftwerk umgebaut.
Das „Ökomonster“ in Montalto di Castro: Das Atomkraftwerk ging nie in Betrieb und wurde schließlich in ein konventionelles Kraftwerk umgebaut. © Alamy Stock Photo | Odyssey-Images / Alamy Stock Photo

Diskussion um Atomkraftwerke ähnelt jener in Deutschland

Die Italiener sprachen sich 1987 – ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – in einem Referendum für den Ausstieg aus der Atomenergie aus. 2009 hatte der damalige Regierungschef Silvio Berlusconi angekündigt, wieder in die Kernkraft investieren zu wollen, legte sein Vorhaben nach dem Gau von Fukushima aber auf Eis. 2011 sprachen sich rund 94,5 Prozent der Italiener in einem weiteren Referendum gegen neue Meiler aus.

Giorgia Meloni: Atomkraft ist in Italien umstritten.
Giorgia Meloni: Atomkraft ist in Italien umstritten. © AFP | Carlos Osorio

Dass die EU-Kommission Investitionen in Erdgas und Atomkraft als nachhaltig einstufen will, facht in Italien die Diskussion über eine Rückkehr zur Atomkraft neu an. Verkehrs- und Infrastrukturminister Matteo Salvini setzt sich mit seiner Regierungspartei Lega für ein Referendum zur Rückkehr Italiens zur Produktion von Atomenergie ein. Damit könne Italien zurück zu „sauberer Kernenergie der neuesten Generation“ kehren, meint Salvini. Italien sei von Nachbarländern wie Frankreich, der Schweiz und Slowenien umgeben, die Energie durch Kernenkraftwerke erzeugen und damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber italienischen Unternehmen hätten.

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Es ist ein umstrittenes Thema in Italien. Während Rechtsparteien sich schon seit Monaten für den Wiedereinstieg des Landes in die Atomenergie einsetzen, stemmen sich Oppositionsparteien wie die Fünf-Sterne-Bewegung dagegen. Die Diskussion ähnelt jener, die in Deutschland derzeit nicht fortgeführt wird. Nach erneuten Forderungen der FDP und der AfD nach einer weiteren Nutzung der Atomenergie hatte Kanzler Olaf Scholz das Thema Kernkraft in Deutschland als „ein totes Pferd“ bezeichnet.

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    Italien bemüht sich, bei der Energielieferung seine Abhängigkeit aus dem Ausland zu verringern. „Wir müssen in jeder Hinsicht energieautonom werden und können uns keiner Energiequelle verschließen, auch nicht der Kernenergie“, lautet das Mantra Salvinis, der sich selbst als „überzeugten Atomkraftbefürworter“ bezeichnet. „Was mich ärgert, ist, dass es hervorragende italienische Unternehmen, Ingenieure und Forscher gibt, die ins Ausland gehen, um dort das zu bauen, was wir in unserem Land bräuchten“, so Salvini.

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    Er hofft, dass der erste Atommeiler schon im Jahr 2032 in Betrieb genommen werden könne, und zwar in seiner Heimatstadt Mailand. „Als gebürtiger Mailänder möchte ich, dass das erste Atomkraftwerk in Mailand eingeweiht wird. Ich hätte gern einen Atommeiler der letzten Generation in meiner Stadt“, sagte Salvini kürzlich. Italien könnte „innovative Nukleartechnologie wie kleine modulare Reaktoren (SMR) und AMR-Reaktoren der vierten Generation in Betracht ziehen.

    Sein Plan ist seit dem Amtsantritt der Rechtsregierung von Premierministerin Giorgia Meloni im Oktober 2022 längst keine Utopie mehr. Das Kabinett in Rom will in den nächsten Monaten einen Fahrplan für die mögliche Rückkehr zur Nutzung der Kernenergie in Italien vorlegen. Der Fahrplan soll Leitlinien enthalten, in denen mögliche Ressourcen, Maßnahmen, Investitionen und Zeitrahmen für die Rückkehr zur Atomenergie angeführt werden.

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    Inzwischen will Italien bis 2025 auf Kohlekraftwerke verzichten und auf erneuerbare Energiequellen setzen, also etwa auf Photovoltaik, Windkraft, Geothermie und Wasserstoff. „Grüner Wasserstoff kostet heute acht Euro pro Kilo, ist also auf dem Markt nicht wettbewerbsfähig. Wir müssen ihn zu einem erschwinglichen Preis anbieten“, sagte der italienische Umweltminister Gilberto Pichetto Fratin.

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    „Mit den Pipelines, die heute Gas transportieren, wird es möglich sein, auch Wasserstoff zu transportieren, und ganz Italien von Süden bis Norden zu durchqueren“, so der Minister. Er sei überzeugt, dass Italien bei den erneuerbaren Energieträgern vorankommen müsse, dass aber auch „saubere und nachhaltige“ Kernenergie ein Garant für die Zukunft sei.