Berlin. Langsame Digitalisierung, hohe Energiepreise, defizitäre Rentenversicherung: Scholz muss bei Reformen endlich den Turbo einschalten.

Erinnern Sie sich noch an den FDP-Slogan vor der Bundestagswahl 2017? „DIGITAL FIRST. BEDENKEN SECOND. DENKEN WIR NEU“, prangte der Spruch in dicken Lettern auf den Plakaten. Darunter stand Liberalen-Chef Christian Lindner, der fokussiert auf sein Smartphone blickte. Der Mann hat eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit – die Digitalisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft – auf den Punkt gebracht, lautete die Botschaft. Was ist seitdem passiert?

Nicht viel. Wer einen neuen Pass oder Führerschein beantragen will, kann zumindest in Berlin mit Glück online einen Termin in einigen Monaten buchen. Telefonate beim Bürgeramt oder in der Provinz enden oft mit einer Klingel-Endlosschleife.

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Das ist kein spezifisches Problem der FDP, obwohl sie aktuell mit Volker Wissing den Bundesminister für Digitales und Verkehr stellt. Dass Deutschland über weite Strecken eine Digitalisierungswüste ist, haben sich alle Parteien anzukreiden. Unvergessen der Vorstoß von Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU), die mit Forderungen wie der Einführung von Flugtaxis für mehr Wirbel sorgte als mit der Anwendung neuer Technologien.

Bei Verwaltungsdigitalisierung liegt Deutschland auf Rang 18

Die Zahlen belegen es: Deutschland, immer noch die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist bei der Digitalisierung im Schlafwagen-Modus. Nach einer Studie der EU-Kommission liegt die Bundesrepublik bei der Verwaltungsdigitalisierung abgeschlagen auf Rang 18. Nein, die Zeit der Ausreden und Vertröstungen ist vorbei. Es heißt: Aufwachen, Deutschland!

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Politik ist in einer Wolke der Bräsigkeit gefangen. Sie ist plan- und konzeptlos gegenüber den Herausforderungen der Zukunft, die durch den Ukraine-Krieg und geopolitische Disruptionen noch massiver werden.

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Und die Bundesregierung erschöpft sich in Stückwerk. Der Appell von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der energieintensiven Industrie mit einem verbilligten Strompreis unter die Arme zu greifen, ist kurzsichtig. Da Strom Mangelware ist, würden die Rechnungen für die anderen Branchen und die Bürger teurer.

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Der ökologische Missionierungsdrang der Ampel ist scheinheilig

Es rächt sich nun, dass die Ampelkoalition die Atomkraftwerke überstürzt abgeschaltet hat. Dieser ökologische Missionierungsdrang mag das Umweltgewissen vor allem der eigenen Klientel beruhigt haben. Aber er ist scheinheilig. Deutschland importiert Atomstrom aus Frankreich und Tschechien. Vernünftiger wäre gewesen, die Reaktoren als „Brücken-Technologie“ für eine begrenzte Zeit weiterlaufen zu lassen.

Die Bundesregierung muss nun dringend den Turbo einschalten. Deutschland braucht eine neue Kultur der Leistungsanreize und des Wettbewerbs. Auch beim Thema Alterssicherung dümpelt das Land vor sich hin. Mehr als 100 Milliarden Euro pumpt der Bund pro Jahr in die Rentenversicherung. Die schrittweise Einführung der Aktienrente durch die Ampelkoalition wird die Finanzlücke nicht schließen.

Sollen die Rentenbeiträge stabil bleiben und die Leistungen nicht gekürzt werden, führt an einer Mammut-Reform kein Weg vorbei. Entweder müssen alle Erwerbstätigen – auch Selbstständige und Beamte – in ein Alterssicherungssystem einzahlen, oder die Menschen müssen länger arbeiten. Warum nicht Steueranreize für diejenigen anbieten, die über den Eintritt ins Rentenalter hinaus im Job weitermachen?

Es ist an der Zeit, unangenehme Wahrheiten auszusprechen und Zukunfts-Strategien zu entwickeln. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sollte es nicht halten wie seine Vorgängerin: Beruhigungspillen verteilen. Ein „Weiter so“ würde in Deutschland zu einem sukzessiven Verlust an Wohlstand führen.