Die Aufständischen haben das syrische Regime mit einem Attentat mitten ins Herz getroffen. Unter den Toten ist auch Assads Verteidigungsminister.

Damaskus/Istanbul/Moskau/Washington. Die syrischen Regimegegner nehmen das Regime von Präsident Baschar al-Assad direkt ins Visier und sprengen eine empfindliche Lücke in die Führungsspitze. Bei einem Bombenattentat auf den Krisenstab starben am Mittwoch Verteidigungsminister Daud Radscheha und der Schwager von Präsident Baschar al-Assad, Asef Schawkat. Und auch die Regimegröße Hassan Turkmani ist bei dem Anschlag getötet worden. Der ehemalige Verteidigungsminister hatte zuletzt den Rang eines Assistenten des Vizepräsidenten. Er erlag den Verletzungen, die er bei der Bombenexplosion am Vormittag in Damaskus erlitten hatte, wie das Staatsfernsehen am Mittwochnachmittag berichtet. In einem Telefonat bekannte sich die Freie Syrische Armee zu dem Anschlag in Damaskus. Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse wurde das diplomatische Gezerre um eine UN-Resolution zur Staffage.

Schawkat war zuletzt stellvertretender Kommandeur der Streitkräfte. Auch der Innenminister Mohammed Ibrahim al-Schaar wurde nach Angaben des Staatsfernsehens schwer verletzt, sein Zustand sei aber stabil. In der Nationalen Sicherheitsbehörde fand gerade ein hochrangig besetztes Treffen des Krisenstabs statt, als die Bombe explodierte. Die Detonation war auch am Präsidentenpalast zu hören.

Der Kommandeur der Freien Syrischen Armee berichtete am Telefon, der Sprengsatz sei in dem Gebäude versteckt gewesen. Nach nicht offiziell bestätigten Informationen des Senders Al-Arabija soll auch der Chef der Ermittlungsabteilung im Allgemeinen Geheimdienst, Hafis Machluf, getötet worden sein. Zunächst hatte das staatliche Fernsehen gemeldet, ein Selbstmordattentäter hätte sich in die Luft gesprengt. Regimegegner sprachen von einer Autobombe.

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Nur wenige Stunden nach dem Tod von Daud Radscheha meldeten staatliche Medien, dass General Fahd Dschasim al-Fredsch zum neuen Verteidigungsminister ernannt worden sei. Die regierungsamtliche Zeitung "Al-Thawra“ verbreitete Durchhalteparolen: "Damaskus ist schwer in die Knie zu zwingen, selbst wenn sich die ganze Welt gegen diese Stadt verbünden sollte.“

In Damaskus wurde am Mittwochnachmittag in mehreren Stadtteilen gekämpft. Bewaffnete Anhänger des Regimes hätten das Al-Asali-Viertel gestürmt und um sich geschossen. Aktivisten berichteten, dass in Al-Tadhamun viele Menschen die Flucht ergriffen hätten. Keine Bestätigung gab es dafür, dass in Al-Midan Soldaten vor den anstürmenden Rebellen ihre Posten verlassen und Militärgerät zurückgelassen hätten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel rief unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Lage den UN-Sicherheitsrat auf, sich jetzt schnell auf eine Resolution zu einigen. Über den Entwurf des Westens, der ein Zehn-Tage-Ultimatum und Wirtschaftssanktionen vorsieht, sollte am Mittwochabend abgestimmt werden.

Vetomacht Russland hatte schon vorher eine "harte Linie“ – sprich: Blockade – angekündigt. "In einem Moment, wo eine Schlacht um die syrische Hauptstadt tobt, wäre die Annahme von Sanktionen eine einseitige Unterstützung von Revolutionären“, unterstrich der russische Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch ein weiteres Mal. Die westliche Syrien-Politik kritisierte er als "Sackgasse“.

China steht in der Syrienfrage traditionell an der Seite Russlands. In Peking hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon noch in letzter Minute um Unterstützung geworben. Was bei dem Treffen mit Staats- und Parteichef Hu Jintao herauskam, berichteten die Staatsmedien nicht.

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Merkel forderte alle Staaten der internationalen Gemeinschaft auf, daran mitzuwirken, "dass die Verletzung der Menschenrechte dort ein Ende hat“. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach zum wiederholten Mal für eine verschärfte Resolution mit mehr Drohpotenzial aus: "Verstöße müssen wir ahnden – auch durch Sanktionen der internationalen Gemeinschaft“, ließ er durch einen Sprecher mitteilen.

Russland will die UN-Beobachtermission, die am Freitag ausläuft, dagegen unverändert verlängern. Aus Diplomatenkreisen in Damaskus hieß es, der Leiter der Mission, der norwegische General Robert Mood, werde Syrien an diesem Donnerstag verlassen.

In Syrien zählten die Regimegegner abgesehen von dem Anschlag in der Hauptstadt allein bis zum Mittag landesweit 18 Tote, die meisten in den Provinzen Homs und Daraa. Am Dienstag hatte die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter mehr als 100 Tote gezählt.

Ein Mitglied des Führungskaders der oppositionellen Muslimbruderschaft sagte, die Menschen in Syrien setzten keine Hoffnung mehr in die internationale Gemeinschaft: "Sie haben die Sache jetzt selbst in die Hand genommen.“

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Erdogan in Moskau: Assad muss gehen

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat Präsident Baschar al-Assad angesichts Tausender Todesopfer im Syrienkonflikt zum Rücktritt aufgefordert. Die Türkei sei aber gegen ein Eingreifen von außen, sagte Erdogan am Mittwoch nach einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin in Moskau: "Über Assads Schicksal soll das syrische Volk bestimmen.“ Putin bezeichnete das Gespräch mit Erdogan als "gute Grundlage für Syriens Zukunft“. Nach Angaben Erdogans befinden sich derzeit 40.000 syrische Flüchtlinge in der Türkei, 150.000 in Jordanien und 20.000 im Libanon.

Pentagon-Chef Panetta: Lage in Syrien gerät außer Kontrolle

Die Lage in Syrien gerät nach den Worten von Pentagon-Chef Leon Panetta "außer Kontrolle“. Es sei offensichtlich, "dass das, was in Syrien geschieht, eine wirkliche Eskalation der Kämpfe darstellt“, sagte Panetta am Mittwoch. "Die Gewalt dort wird immer schlimmer, und der Verlust von Menschenleben wird immer größer, was uns sagt, dass diese Lage zusehends außer Kontrolle gerät.“

Es sei wichtiger denn je, dass die USA und die internationale Gemeinschaft zusammenarbeiteten, um Assads Rücktritt zu erreichen, fuhr der US-Verteidigungsminister fort. Es müsse "maximaler Druck“ auf Assad ausgeübt werden.

Mit Material von dpa