Der Schlichter im Streit um Stuttgart 21, Heiner Geißler, schlägt einen Kompromiss vor. Die Projekt-Gegner akzeptierten bereits den Vorschlag.

Stuttgart. Es sollte der Abschluss der Schlichtung im Streit über das inzwischen bundesweit bekannte Bahnprojekt „Stuttgart 21“ sein. Doch im Laufe der Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern am Freitag im Stuttgarter Rathaus wurde klar, dass auch nach der Erörterung des Stresstests für das Bahnprojekt der Konflikt weitergehen wird. Nach fast zehn Stunden ergebnisloser Diskussion zog dann Schlichter Heiner Geißler überraschend ein Kompromisspapier aus dem Ärmel.

„Frieden in Stuttgart“ heißt das Papier, das Geißler mit dem Schweizer Gutachterbüro SMA abgestimmt hatte. Es sieht vor, den Tiefbahnhof verkleinert auf vier Gleise auf einen leicht verkleinerten Kopfbahnhof zu bauen und so Nah- und Fernverkehr zu trennen.

Mit seinem Coup wollte Geißler die mühsam zusammengefundene Runde retten, die am Ende des Tages zu scheitern drohte, als Vertreter das Aktionsbündnis des Gegner sich plötzlich erhoben, um sich zu beraten. So verkündete Geißler: „Ich will nicht den Raum verlassen, ohne den Versuch zu unternommen zu haben, eine Kompromisslösung in dem verbitterten Streit zu finden.“ Denn auch die Volksabstimmung werde keine friedliche Lösung im Streit um den milliardenteuren Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof bringen. Es gehe um die Frage: „Wollt Ihr den totalen Krieg, das können wir auch machen, oder versuchen wir, als vernünftige Menschen einen vernünftigen Mittelweg zu finden.“ Er appellierte an alle Beteiligten, den Vorschlag in den nächsten Wochen zu prüfen.

Beteiligte über Vorschlag überrascht

Die Teilnehmer, durch Geißler Vorschlag sichtlich überrascht, zogen sich zunächst zurück. Das Echo fiel dann unterschiedlich aus: Bahnvorstand Volker Kefer ließ offen, wie er den Vorschlag bewerte. „Ich bitte um Verständnis, das ich ihn nicht kommentiere.“ Er wolle sich Gedanken über den Stand des Prozesses machen. Der Vorschlag könne aber nicht so umgedeutet werden, dass es nun einen Bau- und Vergabestopp geben müsse.

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der sich in der live im Fernsehen übertragenen Diskussion weitgehend zurückgehalten hatte, versprach, die Grünen und sein Haus würden den Vorschlag prüfen. Dass der Koalitionspartner SPD den Vorschlag kritisch sehen werde, stellte der Finanzstaatssekretär Ingo Rust (SPD) dagegen in Aussicht. Das Aktionsbündnis forderte einen Baustopp und verließ, als die Bahn dies nicht zusagte, in Teilen den Raum.

Verbitterte Diskussionen über Grundsatzfragen

Unter den Pfiffen von einigen Hundert Projektgegnern, die die Diskussionsrunde auf einer Leinwand vor dem Rathaus verfolgten, war zuvor lange über Grundsatzfragen gestritten, etwa was am Ende der Schlichtung im vergangenen Jahr tatsächlich vereinbart worden war. Bei der Diskussion über die Ergebnisse des Leistungstests selbst stand dann oftmals Aussage gegen Aussage. Die Gegner hielten ihre Behauptung aufrecht, der Tiefbahnhof habe den Stresstest nicht bestanden. Bahn und Gutachter SMA wiesen dies zurück.

Im Rathaus wurde mitunter mit harten Bandagen gekämpft. Auch die unabhängigen Gutachter und der Schlichter selbst gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer warf gar dem Schweizer Gutacherbüro SMA Befangenheit vor. Geißler musste sich von Aktionsbündnissprecher Hannes Rockenbauch fragen lassen: „Sind sie bei der Bahn AG oder Moderator?“

Zu Schluss gaben sich alle Seiten erschöpft und urlaubsreif. Geißler resümierte, die Schlichtung sei ein „Prototyp“ für die künftige Auseinandersetzung mit Großprojekten bezeichnet. Es habe eine totale Transparenz und eine neue Form der direkten Demokratie gegeben. „Ich gehe jetzt auf jeden Fall in die Berge und schreibe ein Buch“, sagte der CDU-Politiker.