Die Beschwichtigungen von Gaddafis Sohn Seif al-Islam halfen nicht. Libyens Staatschef Gaddafi selbst spricht vom „Kampf bis zum letzten Mann“.

Tripolis/Brüssel. Die Unruhen in Libyen haben eine neue Stufe der Eskalation erreicht. In der Hauptstadt Tripolis stand einem Reuters-Reporter zufolge ein zentrales Regierungsgebäude in Flammen. Nach weiteren Berichten brannten Oppositionsanhänger in der Nacht zu Montag das Gebäude des Volkskongresses nieder. Nach Augenzeugenberichten soll das Gebäude des staatlichen Fernsehens geplündert worden sein. Die Lage blieb unübersichtlich. Mehrere Volksstämme sollen sich den Gaddafi-Gegnern angeschlossen haben. Ein Gaddafi-Sohn warnte vor einem Bürgerkrieg. Der Staatschef mied weiter die Öffentlichkeit.

Frankreichs Europaminister forderte seine Landsleute zum Verlassen Libyens auf. Und der britische Ölkonzern BP hat wegen der Unruhen in Libyen seine Geschäfte vor Ort eingestellt. Betroffen seien Vorbereitungsarbeiten für die Gas- und Ölproduktion im Westen des Landes, sagte ein Firmensprecher am Montag. Bislang produziert BP in dem nordafrikanischen Land noch kein Öl oder Gas, bereitet sich aber auf eine Förderung in mehreren Jahren vor.

Die gewaltsamen Proteste in Tripolis richteten sich gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi. In der Innenstadt standen am Montag ausgebrannte Autos. Das Gebäude des Volkskongresses war in der Nacht von Aufständischen niedergebrannt worden. Nach Angaben von Einwohnern der Stadt waren bis etwa 4 Uhr Schüsse zu hören gewesen – auch in der Nähe des Gebäudes des staatlichen Fernsehens, das geplündert worden sein soll. Bis zum Morgen hingen Tränengasschwaden in der Luft. Der Flughafen Tripolis war am Montag noch geöffnet. Dem Vernehmen nach bereiteten sich zahlreiche Ausländer auf die Ausreise vor. Westliche Firmen sind vor allem im libyschen Energiesektor sowie im Baugeschäft tätig. Auch etwa 500 Deutsche leben in dem nordafrikanischen Land.

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Nach bislang unbestätigten Berichten sollen einige kriminelle Banden das Machtvakuum im Osten des Landes bereits für Plünderungen ausgenutzt haben. Die Aufständischen, die am vergangenen Mittwoch mit ihren Demonstrationen gegen die Staatsführungen begonnen hatten, sollen einige Städte schon mehr oder weniger unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Angesichts der anhaltenden Proteste gegen Staatschef Gaddafi hat dessen Sohn Saif al-Islam Gaddafi vor einem Bürgerkrieg gewarnt. Sein Vater werde „bis zum letzten Mann“ kämpfen, sagte er im staatlichen Fernsehen. Der Ölreichtum des Landes stehe auf dem Spiel, sagte Saif al-Islam Gaddafi. Er kündigte für die kommenden Tagen Reformen an, die er als historisch bezeichnete. Das Regime sei bereit, einige Restriktionen aufzuheben und eine Diskussion über die Verfassung zu beginnen, sagte Gaddafi. Er bot Veränderungen an einer Reihe von Gesetzen an, darunter die Medien- und die Strafgesetze. Es war die erste öffentliche Reaktion des Regimes auf die Proteste.

Gaddafis Sohn bestätigte in der fast 40-minütigen Rede, dass die Demonstranten einige Militärstützpunkte, Panzer und Waffen unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Die Streitkräfte stünden aber weiter hinter seinem Vater, der sich im Land aufhalte. „Wir sind nicht Tunesien und Ägypten“, sagte er mit Blick auf die dortigen Volksaufstände. „Muammar Gaddafi, unser Führer, führt den Kampf in Tripolis, und wir sind an seiner Seite. Wir werden bis zum letzten Mann, bis zur letzten Frau, bis zur letzten Kugel kämpfen.“

Ferner räumte Gaddafi ein, dass die Streitkräfte während der Proteste gegen die Regierung Fehler gemacht hätten. Grund sei, dass die Soldaten nicht für den Umgang mit Demonstranten ausgebildet seien. Die jüngsten Angaben über mehr als 200 Tote bezeichnete er jedoch als übertrieben und gab die Zahl der Opfer von 84 an.

Die EU verurteilte das blutige Vorgehen der libyschen Regierung gegen die Protestbewegung und rief zu einem Ende der Gewalt auf. „Die EU fordert die Behörden zu Zurückhaltung und Ruhe auf. Sie sollen sich ab sofort weiterer Gewalt gegen friedliche Demonstranten enthalten“, hieß es in einer Erklärung nach einem informellen Außenministertreffen in Brüssel.

Die US-Regierung zeigte sich tief besorgt über die blutigen Zusammenstöße in Libyen. Man habe deutliche Kritik am gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten geäußert, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley. In Gesprächen mit libyschen Regierungsvertretern, darunter Außenminister Musa Kusa, habe Washington „die Bedeutung der Grundrechte betont, darunter die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit“

Angesichts der Proteste warnt das Auswärtige Amt in Berlin nun vor Reisen in den Osten des Landes. Auf seiner Internet-Seite empfahl das Ministerium ausdrücklich, Bengasi, die zweitgrößte libysche Stadt, zu meiden. Grundsätzlich wird geraten, von Reisen nach Libyen abzusehen. Allen Deutschen, die sich derzeit noch in dem nordafrikanischen Land aufhalten, wird die Ausreise empfohlen. Eine förmliche Reisewarnung für ganz Libyen gab es aber noch nicht. Deutschland hat die Drohung von Staatschef Gaddafi, einen Flüchtlingsstrom aus Nordafrika nach Europa zu schicken, scharf kritisiert. Dies sei eine „unglaubliche Entgleisung“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel. „Die EU darf sich hier nicht erpressen lassen.“ (dpa/rtr/AFP)