Nur jeder Vierte findet die Arbeit der SPD-Regierung nicht gut. Doch gleichzeitig sprechen sich 70 Prozent der Befragten für die Rückkehr zum längeren Bildungsweg am Gymnasium (G9) aus.

Hamburg. Die Hamburger Wähler trennen sehr genau zwischen Personal- und einzelnen Sachfragen. Auch ein sehr beliebter Erster Bürgermeister wie Olaf Scholz (SPD) darf nicht darauf zählen, dass die Wähler ihm in allen wichtigen Themen folgen. Zwar hat die aktuelle Umfrage des Gess-Meinungsforschungsinstituts im Auftrag des Abendblatts gerade die absolute Mehrheit bestätigt, die Scholz 2011 mit der SPD errungen hatte. Doch gleichzeitig sprechen sich 70 Prozent der Befragten für die Rückkehr zum längeren Bildungsweg am Gymnasium (G9) aus, was Scholz und die SPD ablehnen.

Schon beim knapp erfolgreichen Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze im September 2013 musste der Sozialdemokrat die Erfahrung machen, dass sich die Wähler in einer wichtigen Einzelfrage von ihm nicht überzeugen ließen. Nicht anders erging es auch dem ähnlich beliebten Scholz-Vorgänger Ole von Beust (CDU), der 2004 ebenfalls die absolute Mehrheit im Rathaus errang, aber im Rahmen eines Volksentscheids bei dem von ihm betriebenen und später durchgesetzten Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser eine klare Niederlage kassierte.

CDU-Landeschef Marcus Weinberg reagiert kämpferisch

Dennoch fiel die Reaktion von Scholz auf die Abendblatt-Umfrage verständlicherweise insgesamt positiv aus. „Die Ergebnisse sind bemerkenswert“, sagte Scholz. „Die Bürger finden es offensichtlich in Ordnung, dass der Senat seine Aufgaben ernst nimmt und wie er sich um die Zukunft der Stadt kümmert.“ Nicht nur Scholz persönlich, dem SPD-geführten Senat insgesamt attestierten die Befragten, dass er gute Arbeit mache. So haben 72 Prozent der Frauen und Männer die Leistung der Landesregierung mit gut (17 Prozent) oder überwiegend gut (55 Prozent) bewertet. Nur 20 Prozent der Befragten fanden die Arbeit überwiegend schlecht und vier Prozent schlecht.

Scholz bezeichnete diese Werte und andere positive Rückmeldungen als „Verpflichtung, uns weiter anzustrengen“. Das gelte vor allem für das zentrale Ziel des Senats, Wohnungen in Hamburg zu bauen. Derzeit werde am Bau von rund 11.000 Wohnungen gearbeitet. „Der Senat wird auch hier nicht nachlassen“, sagte Scholz.

Zu einer gänzlich anderen Interpretation der Umfragewerte gelangt CDU-Oppositionschef Dietrich Wersich, dessen Partei 24 Prozent der Befragten wählen würden, wenn am nächsten Sonntag Bürgerschaftswahl wäre (2011: 21,9 Prozent). „Die SPD kann sich gern über die Umfrage freuen, ich bin mir allerdings sicher, dass das Ergebnis bei der Bezirksversammlungswahl am 25. Mai ganz anders aussehen wird“, sagte der Bürgerschafts-Fraktionschef. „Das Stauchaos, die Abschaffung des bezirklichen Ordnungsdienstes und die Kürzungen bei Jugend- und Sozialprojekten in den Stadtteilen ärgern die Hamburger zu Recht und werden der SPD noch zu schaffen machen.“ Auch im direkten Vergleich mit Scholz hat der mutmaßliche CDU-Bürgermeister-Kandidat Wersich das Nachsehen. Wenn der Bürgermeister direkt gewählt werden könnte, würden 66 Prozent Scholz ihre Stimme geben, aber nur 13 Prozent Wersich.

Kämpferisch reagierte CDU-Landeschef Marcus Weinberg. „Trotz der Steigerung in der Wählergunst ist das Niveau der Ergebnisse nicht das, was wir anstreben und erreichen können“, sagte Weinberg. „Es liegt noch viel Arbeit beim Bohren dicker Bretter vor uns.“ Noch hätten die zunehmenden Krisen des SPD-Senats nicht ihre Wirkung auf die Wähler erreicht. „Doch ein Fass muss sich erst füllen, bevor es überläuft. Wir müssen und werden profilierter und aggressiver auftreten“, sagte der Christdemokrat.

Grünen-Chefin Katharina Fegebank zeigt auf, worin sie Defizite sieht

Die Grünen können sich laut aktueller Umfrage, bei der sie auf elf Prozent kommen, nicht gegenüber der Bürgerschaftswahl vor drei Jahren (11,2 Prozent) verbessern. „Wir hätten uns ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl ein besseres Ergebnis erhofft“, sagte Grünen-Bürgerschafts-Fraktionschef Jens Kerstan. Allerdings sei der Wert für die Grünen ein Ansporn, noch deutlicher die Bereiche herauszuarbeiten, um die sich die SPD zu wenig kümmere. „Wir wollen zeigen, wo grüne Politik den Unterschied macht“, sagte Kerstan.

Grünen-Parteichefin Katharina Fegebank zeigte auf, worin sie die Defizite sieht: „Der Senat bleibt in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Stadtentwicklung, Bürgerbeteiligung, Mobilität, Bildung und Soziales völlig ohne Ambitionen.“ Dennoch attestiert Fegebank Scholz, dass er einige seiner Wahlversprechen erfolgreich umgesetzt hat. „Aber noch einmal fünf Jahre SPD-Alleinregierung wären schlecht für Hamburg“, sagte Fegebank.

„Das Ergebnis ist kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken“, sagte FDP-Fraktionschefin Katja Suding angesichts der drei Prozent, die die Umfrage den Liberalen zuweist (2001: 6,7 Prozent). „Wir sind jetzt erst recht motiviert, und wir können kämpfen“, sagte Suding. In den kommenden zwölf Monaten werde die FDP deutlich machen, wie wichtig eine liberale Stimme in der Bürgerschaft sei.

Die FDP fordert die volle Durchlässigkeit zwischen beiden Schulformen

„Wir freuen uns sehr. Das Ergebnis entspricht unserer Wahrnehmung, dass wir uns mit unserer konsequenten und konstruktiven Oppositionsarbeit Respekt in der Stadt erworben haben“, sagte Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn zum Umfrage-Ergebnis. Die Linke vertrete in den Bereichen Umwelt, innere Sicherheit und soziale Sicherung Positionen, „die viele Leute erwarten“.

Die mit 70 Prozent sehr große Zustimmung der Befragten zur Rückkehr zu G9 bestätigt für SPD-Fraktionschef Dressel, dass es richtig war, „sehr ernsthafte Gespräche mit der Volksinitiative gesucht zu haben“. Es sei gut, „in Gesprächen weiter auszuloten, ob eine Einigung möglich ist“. Auch Grünen-Fraktionschef Kerstan will Möglichkeiten für einen Kompromiss ausloten.

Zurückhaltender reagierte die Union. „Wir setzen uns dafür ein, die Schüler an den Gymnasien zu entlasten und das achtjährige Gymnasium qualitativ weiterzuentwickeln“, sagte CDU-Fraktionschef Wersich. „Wir wollen den Hamburgern eine erneute Strukturveränderung ersparen und lieber im bestehenden System Entschleunigung und Qualitätssteigerung erzielen“, sagte auch Parteichef Weinberg. FDP-Schulpolitikerin Anna von Treuenfels führt die hohe Zustimmung zu G9 auf die Unzufriedenheit mit der Lage an den Stadtteilschulen zurück und fordert die volle Durchlässigkeit zwischen beiden Schulformen. „G8 ist eigentlich nicht gut. Aber jetzt wäre die Rückkehr zu G9 am Gymnasium der Todesstoß für die Stadtteilschulen“, sagte Linken-Fraktionschefin Heyenn.