Die Hamburger Kanzler-Legende zeigte sich zum ersten Mal wieder öffentlich und besuchte die Tagung seiner Deutschen Nationalstiftung in Berlin.

Berlin/Hamburg. Das Leben müsse ja weitergehen, hatte Helmut Schmidt nach der Beisetzung seiner Frau Loki gesagt. Und deshalb war man in Berlin auch nicht wirklich überrascht, dass der 91-Jährige die Reise zur 17. Jahrestagung der Deutschen Nationalstiftung auf sich genommen hatte und sich am Dienstagabend in der Ullstein-Halle des Verlagshauses Axel Springer zum ersten Mal wieder öffentlich zeigte.

Denn immerhin ging es dort in der Kernfrage um ein Herzensanliegen des Altkanzlers: die nationale Identität der Deutschen. Diese bewusst zu machen und in einem vereinten Europa zu stärken, das hat sich die von Schmidt 1993 gegründete Nationalstiftung vornehmlich auf ihre Fahnen geschrieben.

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Aufmerksam verfolgte Schmidt den Vortrag des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) und die anschließende Diskussion, in der sich alle Beteiligten grundsätzlich darin einig waren, dass sich die Deutschen aufgrund der Schuld, die sie im Dritten Reich auf sich geladen haben, mit ihrer nationalen Identität jahrzehntelang schwerer getan haben als andere. Einigkeit auch darüber, dass die Fußballweltmeisterschaft 2006, bei der die Nationalfarben zum ersten Mal unbefangen gezeigt wurden, einen Wendepunkt markiert habe.

Aber in der Frage, ob es eine nationale Identität in einem zusammenwachsenden Europa zwingend brauche, gingen die Meinungen auseinander. Lammert erklärte, jede Nation sei auf einen inneren Zusammenhalt angewiesen, denn ohne Verständigung auf die Gemeinsamkeiten könne eine Gesellschaft keine Vielfalt ertragen. Der Bundestagspräsident wörtlich: "Ohne kulturelle Wurzeln erodiert jede Verfassung." Goethe-Institut-Chef Klaus-Dieter Lehmann sekundierte, eine Nation könne in einem vereinten Europa vieles aufgeben, nur nicht ihre kulturellen Wurzeln. Und Karl-Heinz Lambertz, der Ministerpräsident der deutschen Minderheit in Belgien, gab zu bedenken, religiöse und kulturelle Identitäten seien möglicherweise wichtiger als nationale Identitäten.

Die türkischstämmige Publizistin Necla Kelek meinte hingegen, entscheidend für die nationale Identität seien die Bürgerrechte. Deren Bedeutung müsse Deutschland seinen Zuwanderern selbstbewusster vermitteln. Die französische Europa-Politikerin Sylvie Goulard brach eine Lanze für das europäische Parlament. Sie erinnerte daran, dass Aristide Briand, Robert Schuman und Konrad Adenauer von den Vereinigten Staaten von Europa geträumt hätten. Diese Männer, so Goulard unter dem Beifall von Helmut Schmidt, "wollten die Nationen überwinden".