Der sechste und letzte Teil der Serie: Loki Schmidt, Ehrenbürgerin der Stadt, war weltweit unterwegs als Anwältin der bedrohten Natur.

Loki Schmidt befand sich im kalten Eis der Antarktis. Zusammen mit Wissenschaftlern vom Alfred-Wegener-Institut war sie am 30. Oktober 1989 aufgebrochen, um einige der insgesamt 80 internationalen Forschungsstationen zu besuchen. 70 Jahre - und immer noch voller Tatendrang und Wissensdurst.

Unter dem auf Stelzen stehenden Gewächshaus der polnischen Station entdeckte sie einige Tage später einen quadratmetergroßen grünen Fleck: Pflanzen des einjährigen Wiesenrispengrases Poa annua. Ein buchstäblich wunderbarer Fund. "Dieses Allerweltsgras", freute sie sich, "hat es mit seiner Durchsetzungsfähigkeit tatsächlich geschafft, sogar Plätze in der Antarktis zu besiedeln." Und, sozusagen, das Eis zu durchbrechen.

Zur gleichen Zeit hatte das Volk in der DDR genug von seinen Machthabern. Immer mehr Bürger gingen in Leipzig und Dresden, in Magdeburg und Halle auf die Straße. Am 9. November gab es kein Halten mehr. Gut möglich, dass Loki Schmidt am anderen Ende der Welt das widerstandsfähige Gras in dem Moment in den Händen hielt, als in Deutschland die Mauer fiel.

Sie kannte die Pflanze nur allzu gut. Das Wiesenrispengras und der Löwenzahn waren die ersten Blüten, denen die kleine Loki in Hamburg-Hamm begegnet ist. "Ich sehe sie noch genau vor mir, wie sie im Kopfsteinpflaster im Hinterhof wuchsen, wo es fast immer dunkel war, weil die Häuserzeilen so dicht nebeneinander standen." Aber dort, wo ein bisschen Erde zwischen den Ritzen war und ein wenig Licht auf den Boden fiel, "da schoben sie sich mühsam zwischen den Steinen hervor". Vielleicht, hat Loki Schmidt einmal gesagt, sei sie ja "das typische Großstadthinterhofkind, das uneingestanden Sehnsucht nach Grün und Pflanzen gehabt hat".

Auf jeden Fall sollen - nach "Papa" und "Mama" - "Frau Mantel" ihre ersten Worte gewesen sein. Gemeint war die Pflanze namens Frauenmantel. Regenwürmerhäufchen waren jedes Jahr ihre ersten Frühjahrsboten. Und wenn es mit der Mutter am Nachmittag in den Hammer Park ging, staunte sie über die Blütenpracht. Weil es ihren Geschwistern nicht so ging, dachte sie irgendwann: "Nicht ich habe die Pflanzen entdeckt - die Pflanzen haben mich gesucht und gefunden."

Die Sehnsucht nach Pflanzen und später die Sorge um bedrohte Arten wurden ihre lebenslangen Begleiter. Sie führten sie rund um die Welt. In die Überschwemmungswälder des Amazonas, wo es Gräser gibt, die einen halben Meter wachsen - pro Tag. Und Riesenseerosen, die bis zu 60 Kilogramm Gewicht tragen - auf ihren Blättern. In den Kaukasus auf Orchideen-Exkursion, nach Bahia zur Erarbeitung eines Schutzkonzeptes für Meeresschildkröten oder zum Darwinfinken und dessen "interessante Anpassungsfähigkeit an Nahrungsnischen" bei Vegetationsstudien und Ökosystemanalysen auf den Galapagos-Inseln.

Die Sehnsucht und die Sorge machten Loki Schmidt, die nach dem Abitur nicht die finanziellen Mittel hatte, um ihren Traum von einem Biologiestudium zu verwirklichen, zu einer hartnäckigen Naturforscherin. Die anfangs noch als Blümchen-Loki belächelt wurde, als sie 1976 die Stiftung zum Schutz gefährdeter Pflanzen gründete oder 1980 erstmals die "Blume des Jahres" kürte. "Als ich begann, mich für bedrohte Pflanzen einzusetzen, sagten die Leute hinter vorgehaltener Hand: 'Die ist ja ganz lieb, aber mit ihren Blümchen hat sie einen Vogel'", hat Loki Schmidt später erzählt und gelächelt.

Das änderte sich sehr schnell.

Kam bei ihrer ersten Expedition zu den Eisvögeln am Nakurusee in Kenia im Januar 1976 mit Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts aus der Verwaltung noch die Rückfrage, wer denn die "Ferienreise von Frau Schmidt" bezahlt, häuften sich in den folgenden Jahren die Einladungen. Frau Schmidt, die ihre Kenia-Reise im Übrigen selbst bezahlt hatte, war begehrt.

Als akribische Arbeiterin und freundliche Kollegin, als unermüdliche Forscherin und penible Dokumentarin - und als findige Entdeckerin. Nach der dann folgerichtig auch Pflanzen wie die Bromelie Pitcairnia loki-schmidtii, die sie an der trockenen Abbruchkante eines Baches in Mexiko aufspürte, die Orchidee Orchis lokiana oder Tiere wie der Skorpion Tityus lokiae benannt wurden.

Wolfgang Wickler, der Nachfolger von Konrad Lorenz am Max-Planck-Institut, schrieb in einem Reisebericht über die Kenia-Expedition: "Es gab nur stundenweise Strom und einige Tage lediglich gesammeltes Regenwasser aus einer Tonne. Das Haus war ohne Radio und Telefon. Aber begeistert genoss Loki das Arbeiten selbst im Dornengestrüpp und Schlamm und eine vom Tageslicht diktierte Arbeitszeit von sechs bis 18 Uhr. Sie stand morgens meist als Erste auf und bereitete schon mal Kaffee für alle. In ihrer nüchternen, aber freundlichen und fürsorglichen Art sorgte sie, wenn nötig, auch für Gin und Klopapier."

Kein Wunder, dass Loki Schmidt für ihr beispielloses Engagement, das im blau glänzenden Loki Schmidt Haus im Botanischen Garten in Klein Flottbek eindrucksvoll manifestiert ist, später mit Ehrungen überhäuft wurde, zu Doktor- und Professorwürden gelangte und Ehrenbürgerin ihrer geliebten Heimatstadt wurde.

Komisch dagegen, dass die SPD in den 1980er-Jahren mit dem Thema Umwelt- und Naturschutz so furchtbar wenig anfangen konnte. Wo sie doch quasi direkt an der Quelle saß. Mit der Frau des Bundeskanzlers als leidenschaftlicher Anwältin der bedrohten Artenvielfalt.

Warum überließ man dieses Feld einfach einer neuen Partei? Den Grünen. 1980 gegründet, 1983 in den Bundestag eingezogen, heute auf dem Weg zur Volkspartei. Eine Antwort lautet: Sehr lange hielten sehr viele die Ökologie und die Ökonomie für einen Widerspruch. Entweder das eine - oder das andere. Erst seit einigen Jahren dämmert immer mehr Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft, was für ein Wachstumsmotor allein hinter dem ressourcenschonenden Umbau der Energie- oder auch der Automobilwirtschaft steckt.

Loki Schmidt konnte mit der grünen Partei nie etwas anfangen. Angst vor Atomkraft? Angst vorm Waldsterben? Sie fand, dass Angst kein guter Ratgeber für das Handeln ist. Und das lautstarke Proklamieren war auch nicht ihre Sache. "Ich kann nicht sehr laut tönen, ich kann meine Arbeit tun", hat sie gesagt. Aber immerhin konstatiert, dass die Grünen "mit ihrem lauten Getöse" viele Menschen beeinflusst haben. "Und dafür bin ich ihnen doch ein bisschen dankbar."

Als das Land mühsam wieder zusammenwuchs und sich Deutschland Ost und West mehr und mehr annäherten, als sich nach und nach sogar hier und da auch Schwarze und Grüne zum Regieren in den Rathäusern zusammentaten, blieb Loki Schmidt die unermüdliche Einzelkämpferin. "Die Natur gehört ja nicht einer Partei, sie gehört allen Menschen", hat sie gesagt.

Sie ließ sich nicht von ihrem Weg abbringen und schrieb wunderbare Bücher. Sie ging direkt auf die Menschen zu und knüpfte erfolgreich Netzwerke. Und schaffte dadurch einfach neue Strukturen, statt sich damit aufzuhalten, alte aufzubrechen. Ihr ging es ja vor allem um ein verändertes Bewusstsein des Einzelnen. "Natürlich gibt es im Natur- und Umweltschutz größere Probleme als die Blume des Jahres zu wählen", sagte sie, als sie 1990 das Sandköpfchen kürte und damit auf den gefährdeten Lebensraum dieser Bergnelke aufmerksam machte. "Aber jeder Mensch sollte mit kleinen Schritten etwas tun."

Als ihr die Schritte schwerer fielen und das Leben immer mühsamer wurde, wollte Buchautor Reinhold Beckmann wissen, ob sie sauer auf ihren Körper sei. "Oh ja", hat Loki geantwortet. "Nicht nur manchmal, häufig sogar. Besonders, wenn ich mich an die vielen Reisen erinnere. Wat hebbt wi nich allns sehn."

Jetzt ist sie ihre letzte große Reise angetreten.