Altbürgermeister und Freund Henning Voscherau hielt im Michel eine bewegende Trauerrede, die Sie hier in großen Teilen nachlesen können.

Hamburg. Wir nehmen Abschied von einer großen Frau, der Hamburger Ehrenbürgerin Professorin Dr. h. c. Hannelore Schmidt. Von unserer Freundin Loki, einer warmherzigen, bescheidenen, charakterstarken und klugen Frau von zu Herzen gehender norddeutsch-spröder Liebenswürdigkeit, zugleich von unsentimentaler Nüchternheit, immer ganz und gar geradeaus. Jahrzehntelang gab sie ein Beispiel und wurde so zum Vorbild. Und ihr war gegeben, die Zuneigung der Menschen zu gewinnen. Im gesegneten Alter von 91 Jahren, wach, klug, wissbegierig fast bis zuletzt, von des Alters Gebrechen und Schmerzen seit einigen Jahren mehr und mehr geplagt, in ihrem Tagesablauf immer stärker eingeschränkt, ist Loki Schmidt nach einem langen, über die Maßen eindrucksvollen, ganz und gar ungewöhnlichen, streckenweise schweren Leben am 21. Oktober 2010 friedlich eingeschlafen, erlöst muss man sagen, denn ganz zuletzt war es eine Zeit des Leidens.

Angst vor dem Tode hatte sie nicht. Das Bewusstsein, dass er näher kommt, schreckte sie nicht. "Kann man noch Bestellungen bei dir aufgeben?" - mit dieser beinahe heiteren Frage nahm sie mich vor Jahren für den heutigen Anlass ins Obligo und hat mir während eines langen Nachmittags aufgetragen, was ihr wichtig ist.

Die bewegenden Momente der Gedenkfeier zum Nachlesen

Gemeinsam mit ihrem Mann Helmut, der - für niemanden recht vorstellbar - allein zurückbleiben muss, trauern wir um seine Jugendliebe, Ehefrau und Kameradin, der er so viel zu danken und die ihm geduldig manches nachgesehen hat. Gemeinsam mit ihrer Tochter Susanne und mit deren Mann Brian Kennedy trauern wir um die liebevolle Mutter. Loki Schmidt war der ruhende Pol der Familie, die Kraft, die zusammenhält, so habe ich es immer empfunden.

Liebe Susanne Schmidt, während Ihrer Kindheit und Jugend war Ihr Vater meist nicht da. Ihre Mutter hat Ihnen Liebe für beide Eltern gegeben. "Ein Kind muss sehen, dass die Eltern sich lieben." Der Satz stammt von ihr, und sie hat ihn vorgelebt. Den ständig abwesenden, oft überarbeiteten Ehemann und Vater, Pflichtmensch und Arbeitstier wie kaum einer, hat sie stets verteidigt: Wer 16, 18 Stunden am Tag arbeiten müsse, könne sich nicht auch noch intensiv um Frau und Tochter kümmern.

Lieber Helmut, aus Anlass deines 75. Geburtstags hast du dich deshalb im Schloss Bellevue in Berlin vor all den offiziellen Geburtstagsgästen bei deiner Frau und eurer Tochter dafür entschuldigt, ein "schlechter Familienmensch" gewesen zu sein. Loki war die verlässliche, verzeihende Säule eurer sehr langen Liebe und Ehe. 68 Jahre seid ihr seit 1942 verheiratet, 82 Jahre eng verbunden. Du bist ein Mensch von seltener Tapferkeit. Wie eine zweite Haut hast du eine Schutzhülle entwickelt, die den verletzlichen Kern verbirgt, der niemanden etwas angeht - außer Loki. Bislang hast du die Last eures hohen Alters auch dank Loki gemeistert, dich auf ihre Liebe, ihren Rat, ihren Zuspruch gestützt, und sie war auch deine wichtigste Kritikerin. Nun werden wir erst erkunden müssen, wie dir eure Freunde im Alltag über den Verlust hinweghelfen können, -helfen dürfen. Aber dabei musst du uns helfen, damit aus dem abendlichen Alleinsein in Langenhorn nicht Einsamkeit wird ... Hannelore Glaser wurde in Hammerbrook geboren, der Hochburg der damaligen starken Hamburger Arbeiterbewegung. Sie war im besten Sinne ein Kind dieser Arbeiterbewegung. (...)

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Loki Schmidt hat die - heute kaum vorstellbare - Bedrängnis der Lebens-, Wohn-, und Arbeitsverhältnisse (...) mehrfach beschrieben. Ihre Eltern mussten in schwerer Zeit von Massenarbeitslosigkeit und bitterer Armut vier Kinder großziehen. Am schlimmsten, hat sich Loki erinnert, waren die Tränen ihrer Mutter, "wenn wirklich kein Pfennig mehr im Haus war" und Loki als Kind ohne Geld zum Einkaufen geschickt wurde, um anschreiben zu lassen. (...)

Als ihr der ehemalige Zweite Bürgermeister Alfons Pawelczyk auf Bitten Bürgermeister von Beusts die Entscheidung des Senats überbrachte, ihr die Ehrenbürgerwürde ihrer Heimatstadt anzutragen, galt ihr erster Gedanke ihren Eltern: "Wie schade, dass sie das nicht erleben können." (... ) Nach Abitur und Reichsarbeitsdienst nahm Loki Schmidt im Wintersemester 1938/39 sofort ihr Lehrer-Studium auf. Sie belegte 48 Wochenstunden, um schnellstmöglich alle Testate zu bekommen. Stets kam sie früh, um einen Platz in einer der hinteren Reihen zu ergattern. Denn, so erzählt sie, "hinten konnte ich stricken, um damit Geld zu verdienen." (...)

Die kameradschaftliche Schülerfreundschaft zwischen Hannelore Glaser und Helmut Schmidt wandelte sich erst während des Krieges zu ihrer beider lebenslanger Liebe. In Berlin beschlossen beide zu heiraten. Am 27. Juni 1942 fand die Trauung statt, unter widrigen Umständen mitten im Krieg. Das junge Paar hat sich vor dem Einsatz Helmut Schmidts als Soldat in Russland versprochen, einander verlässlich Halt zu sein.

Lieber Helmut, das habt ihr in mehr als 68 Jahren wahrhaftig eingelöst. Loki und Helmut Schmidt - für mehrere Generationen Deutscher ein ganz besonderes Hamburger Paar, eine Einheit. Während deiner Ämter in Bonn wurde Loki viel mehr als "die Frau an deiner Seite". Gerade erzählt sie in einem neuen Buch, wie es auf dem roten Teppich war für ein Hamburger Arbeiterkind, ohne Amt, aber mit Pflichten. "Mir war immer bewusst: Du musst dich richtig verhalten, sonst wird das Deutschland angekreidet", schreibt sie. Das Amt der Kanzlergattin gibt es nicht, aber Loki Schmidt hat es ausgeübt, und wie. Mitarbeiter gab es offiziell auch keine, aber einer schreibt noch heute von "kleinen Gesten der Dankbarkeit", von "Vertrautheit" und der Anrede: "mein lieber Zirkusdirektor". Zirkus - Loki Schmidt bewahrte sich Abstand vom Staatsamt, blieb sie selbst und war nie von oben herab.

Politisch, so hat sie nicht ohne Genugtuung erzählt, konnte sie dem Bundeskanzler in Auseinandersetzungen von Nutzen sein, wenn tiefe Wunden übrig geblieben waren. Mit ihrer Ehrlichkeit, Geradlinigkeit und auch ihrer Vernünftigkeit vermochte sie immer wieder, solche Wunden zu heilen. Unschätzbare Verbündete eines Regierungschefs, der zu kantiger Führung neigt, in seinem Amt aber auf Menschen angewiesen ist, von denen einige ein langes Gedächtnis haben. Vermutlich wusste Loki genauer als du selbst, Helmut, wie oft sie Risse kitten musste und bei wem. Ihre Lauterkeit und ihre Menschlichkeit waren ein Stück des Bonner Erfolgsgeheimnisses der Eheleute Schmidt (Hamburg).

Welch eine starke Persönlichkeit gehört dazu, sich selbstständig und dauerhaft neben einem solchen Ehemann zu behaupten. Loki Schmidt war ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus. Sie gewann dem Naturschutz Freunde, als es den Begriff Umweltschutz noch gar nicht gab, und hat dem Pflanzenschutz öffentlich zum Durchbruch verholfen, obwohl sie zu Anfang bespöttelt wurde. Ihr wissenschaftliches Interesse war echt. Bis in die 90er-Jahre unternahm sie umfangreiche Auslandsreisen zum Studium der Pflanzenwelt und der Natur, stets auf eigene Kosten. Mit ihrem Forscherdrang verbinden sich botanische Entdeckungen. Sie gewann Anerkennung in der Welt der Wissenschaft. Hohe akademische Ehrungen wurden ihr zuteil: Professorin Dr. Hannelore Schmidt, Ehrensenatorin der Universität. Ihre Begeisterung hatte schon im Kindesalter begonnen.

(...) Liebe zur Natur und Verantwortung für die nachwachsende Generation prägen das Leben und Wirken von Loki Schmidt. Als Lehrerin, als Naturschützerin und durch ihr engagiertes öffentliches Beispiel gibt sie diese Leidenschaft seit Jahrzehnten weiter. Loki Schmidt hat sich nicht ein Denkmal gesetzt, sondern gleich mehrere. Im letzten Drittel ihres Lebens war sie eine wirkungsmächtige Lehrerin des ganzen Volkes. Das hat ihr Freund Siegfried Lenz einmal zu Herzen gehend beschrieben, wie nur er es kann: "Allerdings: Die Veränderungen bedenkend, die mit mir vorgegangen sind; den ganzen Wandel bilanzierend, für den sie verantwortlich ist, muss ich zugeben, dass ich Loki einen erheblichen Zuwachs an Hellhörigkeit, an Finderglück und entzückter Wahrnehmung verdanke. (...) Ja, ich muss mir eingestehen, dass es die besondere Anmut ihrer Aufklärung war, die meine Tritt- und Trampelgewohnheiten änderte ..."

Dieses ehrwürdige, miteinander alt gewordene Hamburger Liebespaar, Hannelore und Helmut Schmidt, ist nun auseinandergerissen. Lieber Helmut, deine Frau hat das Motto im Bürgermeistersaal unseres Rathauses mit Leben erfüllt:

Wer den Besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeit.

Wer hätte Loki Schmidt nicht vor Augen: ihre mütterliche Herzlichkeit, ihr kluges Gesicht, den verschmitzten, forschenden, manchmal strengen Blick, ihren trockenen Humor und die Sicherheit ihres Urteils.

Mögen für dich, liebe Freundin Loki, auf deinem letzten Weg Worte Rainer Maria Rilkes wahr werden, Worte, als seien sie für dich:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.

Falle sanft, Loki. Ruhe sanft. Wir werden dich nicht vergessen.