Die Jahre im Kanzler-Bungalow standen unter dem Schatten des Terrorismus. Arbeitgeberpräsident Schleyer wurde 1977 ermordet.

Hamburg. Wo ist denn die Mauer? Leonid Breschnew, der mächtige KPdSU-Chef, war zutiefst erstaunt. "Welche Mauer?", wollte Loki Schmidt wissen. Breschnew deutete fragend aus dem Esszimmerfenster hinaus. Er konnte partout nicht verstehen, dass Deutschlands Bundeskanzler in einer ganz normalen Straße innerhalb einer ganz normalen Genossenschaftssiedlung wohnte - und dort Staatsgäste aus aller Welt willkommen hieß. Der Mann aus Moskau war nicht der Einzige.

Dass Loki und Helmut Schmidt ihre Privatzimmer als Schaltzentrale internationaler Politik nutzen konnten, lag eigentlich an fünf Garagen, die Nachbarn am Neubergerweg 80 bauen ließen. Über deren tristen Anblick wurmten sich die Schmidts, sodass aus der Not eine Tugend gemacht und das Doppelhaus um einen bungalowähnlichen Quader aus Beton und Glas erweitert wurde. Nun war ausreichend Raum auch für größere Gesellschaften. Nach dem Kauf 1961 war Gustav Schmidt in die eine, sein Sohn Helmut mit Loki in die andere Hälfte gezogen. Wie die anderen Reihenhäuser südlich vom Ochsenzoll war der berühmte Rotklinkerbau, quasi das "Camp David" Deutschlands, von der gewerkschaftseigenen Neuen Heimat errichtet worden.

Wer konnte beim Immobilienkauf schon ahnen, dass hier eines Tages der Bundeskanzler zu Hause sein würde? Und wenn die Enttarnung des DDR-Spions Guillaume nicht zum Rücktritt des amtierenden Kanzlers Willy Brandt geführt hätte, wäre vielleicht alles anders gekommen. So aber saß Brandt am 5. Mai 1974 mit Vertrauten in Münstereifel hinter verschlossenen Türen, um Konsequenzen der Geheimdienstaffäre zu beraten. Fazit des SPD-Strategen Herbert Wehner: "Der Helmut muss das machen." Seiner Ehefrau gegenüber spielte der Kandidat den Karrieresprung herunter: "Loki, ich muss das jetzt erst mal übernehmen." Aus "erst mal" wurden acht Jahre.

Wie schwierig die Zeit werden sollte, ahnte Loki nicht, als sie elf Tage später an der Seite ihrer Tochter Susanne von der Besuchertribüne aus Helmuts Wahl verfolgte. Die Ölkrise mit Fahrverboten und autofreien Straßen auch in Hamburg war kaum überwunden, da stand Deutschland eine Tragödie ins Haus, die als "Deutscher Herbst" in die Geschichte einging: Terroristen der RAF wollten das Staatsgefüge in die Luft sprengen. Grausamer Höhepunkt der Anschläge war die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" und - nach deren Befreiung - die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer am 18. Oktober 1977. Die Bundesregierung unter Führung Helmut Schmidts hatte sich geweigert, den Forderungen nachzugeben.

Über die auch menschlich dramatischen Tage des Wartens, Hoffens, Bangens und letztlich Entscheidens in diesem furchtbaren Herbst führte Loki Schmidt eine Art privates Protokoll. Wie immer in mehr als 68 Ehejahren stand sie ihrem Mann stärkend zur Seite - ohne mit der Wimper zu zucken.

In beider Inneren sah es anders aus. "Natürlich haben wir uns abends noch einen Augenblick zusammengesetzt", erinnerte sich Loki Schmidt an harte Zeiten. "Mach mir mal eine Kleinigkeit zu essen", habe Helmut dann meist gesagt. "Ich mache inzwischen ein bisschen Krach." Sprach's, ging zum Flügel und haute in die Tasten. Auch ein Mittel, um extremen inneren Drucks Herr zu werden ...

Die grundsätzliche Entscheidung, den Forderungen der RAF-Terroristen nicht nachzugeben, fällten der Kanzler und seine Berater ein Jahr nach seinem Amtsantritt. Es war die Nacht unmittelbar nach dem Attentat auf die deutsche Botschaft in Stockholm am 24. Mai 1975. Langsamen Schrittes spazierten Loki und Helmut durch den kleinen Park direkt am Kanzler-Bungalow in Bonn. "Wir haben uns darüber unterhalten, wie das alles weitergehen würde", sagte Hannelore Schmidt dem Buchautor Reinhold Beckmann drei Jahre vor ihrem Tod. Es bestand Einigkeit, dem Terror die Stirn zu bieten.

Im Wechselspiel zwischen Gefühl und Gewissen wurde in dieser Frühsommernacht auch ein Beschluss von außerordentlicher persönlicher Tragweite gefasst. "Wir haben uns gegenseitig versprochen, falls einer von uns beiden gekidnappt würde, auf nichts einzugehen, das den Staat korrumpieren würde", sagte Loki. Von da an sei es beiden besser gegangen. Den "Kloß im Hals", wie sie es nannte, hätten beide nur sehr mühsam hinuntergekriegt. Zumal Hanns Martin Schleyer mehrfach bei den Schmidts - auch privat - zu Besuch war.

Auch in Hamburg waren die Zeiten bewegt. Der Streit um die Kernkraft, der Bürgermeister Hans-Ulrich Klose das Amt kostete, aber auch Georgswerder und der Stoltzenberg-Skandal. In den beiden letzten Fällen wurde die Öffentlichkeit durch äußerst fahrlässigen Umgang mit Chemikalien und durch Giftgase schockiert.

"Hamburg '75, ach wie war's gemütlich", sangen Gottfried und Lonzo nach Hans Scheibners Text derweil in Eppendorf. Im legendären Onkel Pö machte die "Hamburger Szene" Musik noch mit der Hand. Und am Volkspark spielte der HSV unter Branko Zebec' und Ernst Happels Regie meisterlich auf.

Loki und Helmut Schmidt waren mit Uwe Seeler und anderen Vereinsgranden vertraut, hatten ansonsten mit Fußball nicht viel am Hut. "Freizeit gab es kaum", sagte sie Vertrauten - ohne auch nur ein bisschen zu klagen. Eben weil Hannelore zwar eine First Lady, aber eine mit eigenständiger Note war. "Tu was!", habe ihr der befreundete Hamburger Industrielle Kurt Körber geraten. Gesagt, getan. Loki Schmidt kümmerte sich ums leicht verkrustete Protokoll im Kanzleramt. Die Herzen der anfangs ob ungewohnter, weiblicher Einmischung eher reservierten Staatsdiener gewann sie mit ihrem hanseatischen Charme im Nu. Plötzlich gab es bei minutiös geplanten Damenprogrammen sogar Klo-Pausen (ein Novum in der deutschen Geschichte!), und bei Auslandsreisen wurden Zoo-Besuche und Studien in Botanischen Gärten in die Planung aufgenommen.

"Ich habe die Rolle als Kanzlergattin schamlos ausgenutzt", bekannte Loki Schmidt rückblickend. Und zwar im Interesse der Natur. Sie flog um die Welt und suchte auch exotische Regionen auf, um nach ausgefallenen Pflanzen zu fahnden. Das Leben war stressig, aber lustvoll.

So richtig indes blühte sie auf, wenn es heim nach Hamburg ging. Oder an den Brahmsee bei Kiel. Auf dem 1958 erworbenen Feriendomizil stand nun statt der Bretterbude ein einfaches, jedoch schmuckes Häuschen. Freunde wie Lilo und Siegfried Lenz oder Sonni und Peter Schulz kamen gerne, ebenso wie Politiker aus aller Welt.

Da in der Datscha nur zwei Kochplatten zur Verfügung standen, konnte Loki nur begrenzt auftischen. Dennoch schwärmten die Besucher von selbst gemachtem Kartoffelsalat mit Bockwürstchen und, na klar, Hamburger roter Grütze made by Loki.

Im Langenhorn wurde gleichfalls gut und gerne gegessen. Entweder orderten die Schmidts im Restaurant Milchwirtschaft im Stadtpark - oder die Hausfrau trat selbst in Aktion. Leonid Breschnew genoss ein Süppchen vorweg, anschließend Spargel mit Holsteiner Schinken und neuen Kartoffeln plus Buttersauce.

Hinterher gab's, wie immer, rote Grütze. Könige kamen, zum Beispiel aus Spanien, Königinnen kamen, zum Beispiel aus Dänemark, ebenso Staatsoberhäupter, Außenminister und geheime Diplomaten. Die Welt gewöhnte sich an das Haus der Schmidts und freute sich über die Natürlichkeit und normale Lebensweise des deutschen Bundeskanzlers und seiner Frau.

Bis zum 3. Oktober 1982. Loki Schmidt durchstreifte gerade das Urwaldgebiet am Amazonas, als ihr Mann im Bundestag durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde.

Morgen lesen Sie: Ein Leben für die bedrohte Natur - und ein Land wächst mühsam wieder zusammen.