Ein wegen Mordes verurteilter Langzeitgefangener erzählt vom Gefängnisalltag - und wie er auf die Freiheit vorbereitet wurde.

Fuhlsbüttel. Jahre, oft Jahrzehnte sind es, die verurteilte Straftäter hinter Gittern und Mauern verbringen. Jahre, in denen die Heimat ein paar Quadratmeter groß, die Welt aus einem leidlich begrünten Innenhof, einer Zelle, einer Duschhalle und dem Kraftraum besteht. Die Männer und Frauen in Hamburgs Justizvollzugsanstalten sitzen Strafen für unterschiedlichste, zum Teil abscheuliche Verbrechen ab. Gemeinsam haben fast alle, dass sie irgendwann wieder aus dem Gefängnis herauskommen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mussten und müssen selbst sicherungsverwahrte Serientäter, die nach wie vor als höchst gefährlich gelten, in die Freiheit entlassen werden (wir berichteten). Ein Umstand, der zuletzt eine hitzige Diskussion um den Strafvollzug und Forderungen nach mehr Sicherheit für die Bevölkerung hervorgerufen hat.

Wie ist es für einen Gefangenen, wenn er nach Jahren des Knastlebens wieder rauskommt? Wie ist er vorbereitet, wie findet er sich zurecht? Das Abendblatt sprach mit Teyfik S., 34, einem 1998 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder.

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Am 6. September 1998 hatten Zielfahnder der Braunschweiger Polizei Teyfik S. auf der Wandsbeker Chaussee festgenommen. S., Mitglied einer Zuhälterbande, hatte gemeinsam mit vier Komplizen einen griechischen Restaurantbesitzer erschossen - aus einem fahrenden Auto heraus. Die Täter wurden zu jeweils 15 Jahren Haft verurteilt. Die Höchststrafe. Wegen Mordes, wegen der enormen Kaltblütigkeit ihrer Tat, wegen einer ganzen Reihe von weiteren Straftaten, die man den jungen Zuhältern - sie bewirtschafteten ein Bordell in der Herbertstraße - darüber hinaus nachwies. Im Jahr 2013 wird die 15-jährige Haftzeit für Teyfik S. enden. Eine Sicherungsverwahrung stand schon bei der Verurteilung nicht zur Debatte, da waren sich Richter und Staatsanwälte einig. S. lernte die Haftanstalten in Braunschweig, Hannover, Celle, Lüneburg, Fuhlsbüttel und Glasmoor (Norderstedt) kennen und begriff früh, dass er den Anschluss an das Leben draußen verlieren würde, wenn er nicht jeden Tag aufs Neue gegen Bequemlichkeit, Drogen und Stumpfsinn ankämpft.

Hatte er so etwas wie einen Coach, einen Berater oder Helfer? "Ich habe zugesehen, dass ich meine Probleme allein löse", sagt Teyfik S. Und: "Es gibt da drinnen jede Menge Leute, die sich einfach hängen lassen, die in den Tag hinein leben und höchstens noch darüber nachdenken, wie sie etwas zum Rauchen bekommen." Der Gefangene begann in "Santa Fu", wo er die meiste Zeit seiner Haft verbrachte, eine Tischlerlehre, schloss sie ab, wurde zum Sprecher der Fußballmannschaft. Er las Bücher, betreute andere Auszubildende. War er ein Mustergefangener? "Nein", sagt Teyfik S. "Ich bin immer unangenehm gewesen. Vor allem für die Abteilungsleiter. Auch weil ich immer darauf bestanden habe, dass meine Rechte auch angewendet werden."

Wenn Anträge verschwanden, bohrte S. nach, anders als viele, vielleicht die meisten. 2008 beantragte S., in den offenen Vollzug nach Glasmoor verlegt zu werden. Zwei Gutachter und die Fallkonferenz bescheinigten S. nach einem Jahr die Reife, langsam an die Freiheit herangeführt werden zu können. Betreut, so sagt Teyfik S., wurde er in der gesamten Zeit allerdings nicht. "Wie denn auch, wenn es drei Monate dauert, bis man einen Termin beim Psychologen bekommt", so S., wenn jeder Antrag Monate rumliegt, jeder Zuständige überarbeitet ist und sich lieber krankmeldet, als Vollzugspläne auszuarbeiten. S. therapierte sich selbst unter anderem durch Arbeit beim Verein "Gefangene helfen Jugendlichen".

Ohne weitere Vorbereitung also trat Teyfik S. am 10. November 2009 um 7.30 Uhr durch die Tür der JVA Glasmoor, um nach mehr als elf Jahren hinter Gittern seine ersten Stunden in Freiheit zu verbringen. "Ich bin in die Stadt gefahren, habe mir etwas zu trinken gekauft, mich auf eine Bank gesetzt und die Leute beobachtet", sagt S. "Ein unglaubliches Gefühl. Allerdings musste ich mir erst einmal wieder erschließen, wie Fahrkartenautomaten funktionieren, was Dinge im Laden kosten und was es überhaupt alles zu kaufen gibt." Schon nach wenigen Minuten jedoch, so sagt er, habe er sich nicht mehr ständig nach hinten umgeguckt. Dorthin, wo sonst immer ein Wachmann steht.

Ein echter Freigänger wird er sein, wenn er in Kürze eine Fortbildung zum Holzfachtechniker antritt. Über den Mord, den der heute 34-Jährige vor 13 Jahren beging, mag er nicht mehr sprechen. Auch weil er weiß, dass er bei den Hinterbliebenen des Opfers Wunden aufreißen könnte.

Er erzählt von Knastbekanntschaften, die er in seiner Haftzeit dreimal hat kommen und gehen sehen. Jedes Verständnis fehle ihm dafür. Jene, die sich aufgegeben haben, tun ihm einfach leid. Davon aber gebe es viel zu viele. "Aber auch die kommen raus. Und dann?" Was er davon halte, dass man Menschen entlassen werde, die laut Gutachtern weiterhin als höchst gefährlich gelten? Teyfik S. sagt: "Es ist eine Katastrophe."