Es ist eigentlich banal: Ein Wahlversprechen ist die feste Zusage einer Partei, etwas zu tun. Die Erfahrung lehrt, dass es im Laufe der Regierungszeit oft relativiert oder sogar ignoriert und schließlich vergessen wird. Der nach dem Sieg der SPD bei der Bürgerschaftswahl vor einem Jahr gebildete Hamburger Senat hat eine Reihe von Versprechen abgegeben - und das Abendblatt wird regelmäßig überprüfen, inwieweit sie umgesetzt wurden. Ein “Realitäts-Check“ von Sascha Balasko, Andreas Dey, Rebecca Kresse und Peter Ulrich Meyer mit einer Grafik von Julian Rentzsch

Es gilt das gesprochene und das geschriebene Wort. Gesprochen vom Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung am 23. März 2011, geschrieben im Arbeitsprogramm des Hamburger Senats, das als Datum den 10. Mai trägt: Versprechen aus elf Politikbereichen hat das Abendblatt ausgewählt - von der festen Zusage, jährlich 6000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen, über die Ankündigungen, das modernste Bussystem Deutschlands zu installieren und den Haushalt zu konsolidieren bis zu dem Anspruch, dass jedes Kind einen Schulabschluss machen soll.

Den Anlass für diesen "Realitäts-Check" hatte Olaf Scholz selbst geliefert: Selten hat ein Bürgermeister so sehr darauf gedrungen, dass die Wähler ihn beim Wort nehmen. "Was ich versprochen habe, das halte ich. Was ich nicht versprochen habe, habe ich nicht versprochen", pflegt Scholz zu sagen - und knüpft damit auch seine eigene Glaubwürdigkeit an die Einhaltung der Wahlversprechen.

Für diesen Check hat das Abendblatt die Versprechen danach ausgewählt, ob sie eine gewisse politische Bedeutung haben und ob es messbare Kriterien gibt, anhand derer sie überprüft werden können. Eine Ausnahme bildet die Ankündigung von Scholz, "ordentlich" zu regieren - diesem Anspruch hatte er im Wahlkampf eine so zentrale Bedeutung gegeben, dass auch ohne messbare Kriterien eine Wertung vorgenommen wird.

Selbstverständlich beschäftigte sich der SPD-Senat - wie jede Vorgängerregierung auch - in seinem ersten Amtsjahr mit sehr viel mehr Themen, als auf so einer Doppelseite behandelt werden können. So legte Innensenator Michael Neumann (SPD) eine mit viel Lob bedachte Sportstrategie für die kommenden zehn Jahre vor, und auch die große Einbürgerungskampagne des Bürgermeisters stieß auf Wohlwollen.

Vieles lief aber auch nicht so gut. Auffällig war dabei, dass sich der Senat den meisten Ärger mit Themen oder Ereignissen einhandelte, die nichts mit seinen eigentlichen politischen Zielen zu tun hatten. Als Beispiele mögen der Zaun gegen Obdachlose auf St. Pauli, die Unterbringung ehemaliger Sicherungsverwahrter in Jenfeld oder zuletzt der Tod der elf Jahre alten Chantal gelten - mehr dazu unter der Rubrik "ordentlich regieren".

Auch muss die Erfüllung eines Versprechens nicht zwangsläufig eine positive politische Bewertung nach sich ziehen. So wacht Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) zwar konsequent über der Einhaltung aller selbst gesteckten Haushaltsziele, dennoch ist die Kritik der Opposition harsch. Ihr Vorwurf: Als Basis für sein Versprechen, die Ausgaben um maximal ein Prozent zu steigern, hat der Senat nicht die tatsächlichen Ausgaben des Jahres 2010 herangezogen, sondern die geplanten - die viel höher waren. Auch der Rechnungshof hat das angemahnt.

Und im Bereich Wohnungsbau unternehmen Senat und Bezirke zwar nachweislich enorme Anstrengungen, dennoch sind einer aktuellen Umfrage des Hamburger Ges-Instituts im Auftrag des Abendblatts zufolge 54 Prozent der Bürger mit diesem Politikbereich unzufrieden. Möglicherweise hängt das auch damit zusammen, dass viele Neubauvorhaben, oder zumindest das Vorgehen von Politik und Investoren, bei den Betroffenen auf Vorbehalte stoßen. So wurde in Langenhorn ein Neubauprojekt per Bürgerentscheid gestoppt, Abriss und Neubau der Esso-Häuser auf St. Pauli sind höchst umstritten, und auch das Beteiligungsverfahren für die Neue Mitte Altona läuft nicht reibungslos.

Obwohl der Bürgermeister Politik in erster Linie als planbares Handwerk begreift, ist das öffentliche Urteil über Politiker letztlich auch immer eine Frage des Glücks. So kann der Dauerkrach um die Elbphilharmonie kaum dem aktuellen Senat angelastet werden - dass der Senat das Thema geerbt hat, ist halt Pech. Die Formulierung in seinem Arbeitsprogramm, man werde sich bemühen, "den nicht ausgeschlossenen weiteren Anstieg der Kosten zu begrenzen", beinhaltete daher bewusst kein Versprechen.

Schlicht Glück gehabt hat der Senat dagegen, dass die Stadt 2011 so viele Steuern eingenommen hat wie bislang nur im Rekordjahr 2008. Und dass es statt eines Glatteisdramas wie 2010 nur eine zugefrorene Alster gab, war auch keine politische Leistung. Dass das Eis für ein Volksfest freigegeben wurde, dürften viele Bürger hingegen wohl als "gutes Regieren" abspeichern.