In Gesundheitsberufen zählt bislang vor allem Praxiserfahrung. Akademische Weiterbildungen sollen die Pfleger für neue Aufgaben qualifizieren.

Sabrina Lemke ist bald eine "Advanced Practice Nurse", zu Deutsch fortgeschrittene Pflegekraft. Was wie eine amerikanisierte Floskel aus dem Bewerbungsschreiben einer besonders diensterfahrenen Krankenschwester klingt, ist die Bezeichnung, die Sabrina Lemke nach Abschluss ihres Studiums an der Medical School Hamburg tragen wird. Vor fünf Jahren hat sie ihre Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin abgeschlossen. Heute arbeitet die 27-Jährige auf der Intensivstation eines Hamburger Krankenhauses und studiert parallel dazu im dritten Semester "Advanced Nursing Practice". Seit dem Wintersemester 2010/11 wird das Bachelorstudium an der privaten Hamburger Fachhochschule angeboten.

"Advanced" steht in Sabrina Lemkes Fall also weniger für langjährige Praxiserfahrung, sondern vielmehr für fortschrittliche, wissenschaftlich basierte Pflegeansätze. "Mich weiterzubilden ist mir persönlich sehr wichtig", sagt sie. Sogar über ein Medizinstudium hat sie zwischenzeitlich nachgedacht, doch eigentlich liebt sie ihren Job als Krankenschwester und möchte dabei bleiben: "Bei einem Schulpraktikum habe ich gemerkt, wie erfüllend dieser Beruf sein kann und habe mich nach dem Abitur bewusst für diese Ausbildung entschieden."

Das neue berufsbegleitende Angebot der Hamburg Medical School passte deshalb besser zu ihren Wünschen als ein aufwendiges Medizinstudium, das nur in Vollzeit möglich wäre. Einmal pro Monat büffelt Sabrina Lemke gemeinsam mit 30 Kommilitonen von Donnerstag bis Montag im Blockseminar. Die Termine stehen weit genug im Voraus fest, um ihre Schichten dem relativ problemlos anzupassen.

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Auf dem Stundenplan finden sich außer theoretischen Grundlagen der Pflege auch medizinische Inhalte, zum Beispiel aus den Wahlbereichen Intensivmedizin, Anästhesiologie und Notfallmanagement. Außerdem Ethik, Recht, Fall- und Qualitätsmanagement. Sabrina Lemke schätzt es vor allem, dass durch das Studium wissenschaftliche Arbeitsweisen vermittelt werden. Module wie Evidence-Based-Medicine (evidenzbasierte Medizin) sollen die Studenten in die Lage versetzen, selbstständig Forschungsmethoden anzuwenden und wissenschaftliche Forschungsergebnisse zur besseren Versorgung der Patienten heranzuziehen.

Gerade im stressigen Pflegealltag bleibt nämlich oft wenig Zeit, um hergebrachte Methoden zu hinterfragen - selbst wenn sie wissenschaftlich überholt sind. Als prägnantes Beispiel nennt Sabrina Lemke die Behandlung von Druckgeschwüren mit vermeintlich durchblutungsfördernden Wechselbädern aus Eis und heißer Luft. Obwohl die als "Eisen und Fönen" bekannte Therapie bei kranker Haut kaum anschlägt und eher das Infektionsrisiko steigert, wird sie auf mancher Station noch immer angewandt, frei nach dem Motto: Das haben wir hier schon immer so gemacht.

Solche alten Zöpfe würde Sabrina Lemke gern abschneiden: "Ich möchte das Wissen aus dem Studium in die Praxis übermitteln", sagt sie. Sie hofft, dass sich der akademische Titel für Pflegekräfte künftig in der Praxis stärker durchsetzen werde.

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Denn noch ist akademisches Pflegepersonal ein ziemliches Novum auf dem deutschen Markt. Bundesweit bieten erst wenige Hochschulen entsprechende Weiterbildungsstudiengänge für berufserfahrene Pflegekräfte an, darunter zum Beispiel die Fachhochschule Jena oder das Transfer Institut Medicine and Allied Health der Steinbeis Hochschule in Berlin. Dort können sich Pflegekräfte zu "Arzt-Assistenten" (Physician Assistants) weiterbilden.

Im angelsächsischen Raum sind die wissenschaftlich gebildeten Pflegeprofis bereits seit vielen Jahren etabliert. In Deutschland gibt es allerdings bisher kaum Arbeitsstellen, die den hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand der Ausbildung rechtfertigen. Im Gegensatz zum Rest Europas hat hierzulande ein Großteil der Pflegekräfte bisher noch nicht einmal das Abitur.

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Das könnte ein aktueller Reformvorschlag der EU-Kommission allerdings bald ändern: Weil die beruflichen Anforderungen an das Pflegepersonal immer weiter steigen, soll künftig europaweit auch die Zulassungsvoraussetzung für die Berufsausbildung einheitlich von zehn auf zwölf Schuljahre angehoben werden.

In den meisten EU-Staaten ist die höhere Schulbildung schon heute Pflicht. Als "wichtigen Meilenstein für die Professionalisierung der Pflege in Deutschland" bezeichnet der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) die geplante Neuerung und hofft auf mehr engagierten Nachwuchs wie Sabrina Lemke. "In allen Ländern, die die Anforderungen bereits angehoben haben, hat dies zu einer Steigerung der Attraktivität des Berufes geführt", sagt die stellvertretende Verbandspräsidentin Gertrud Stöcker.