Mit den Maßanfertigungen hat die Hamburgerin eine Nische entdeckt. Ihre Kundinnen kommen aus ganz Deutschland und zahlen für ein Set 250 Euro.

Hamburg. "Zu 98 Prozent weiß ich bereits bei der Begrüßung, ob meine Kundin der Schleifchentyp ist oder nicht", sagt Carolyn Bendahan und sammelt schnell ein paar Spitzenhöschen zusammen, die noch aus dem letzten Beratungsgespräch auf dem kleinen Marmortisch in ihrem Studio liegen. Mehrere Kerzenleuchter sorgen für ein warmes Licht, ein goldenes Plüschsofa und ein schwerer Vorhang vermitteln dem Besucher das Gefühl, in ein Pariser Modeatelier geraten zu sein. In verschiedenen Ecken des kleinen Geschäfts an der Bernstorffstraße stehen Modepuppen, die mit filigraner Spitzenunterwäsche bekleidet sind. Große Stoffbahnen sucht man am Arbeitsplatz der 38-Jährigen vergeblich. Denn eine Dessousschneiderin braucht verhältnismäßig wenig Stoff für ihre Arbeit.

"Ich bin verrückt nach hübscher Unterwäsche, und zwar schon mein ganzes Leben lang", sagt die Frau mit den langen schwarzen Haaren. Schon seit ihrer Kindheit war der Wahlhamburgerin klar, dass sie einmal Unterwäsche nach Maß herstellen möchte. Nach einer klassischen Schneiderlehre studierte sie in Hamburg Bekleidungstechnik, arbeitete später bei Jil Sander. Irgendwann entschied sie, ihren Kindheitstraum zu verwirklichen, und machte sich vor sechs Jahren selbstständig. Ihrem Ein-Frau-Unternehmen gab sie den Namen Braviange: ein von ihrem Bruder kreiertes Fantasiewort aus Kindertagen. Seit der Gründung teilt sie sich den kleinen Laden im Souterrain mit ihrer Kollegin Sharon Rohardt, die Kleider und Kostüme schneidert. Bendahan hat Unterwäsche, Bade- und Nachtmode im Angebot.

Dass ihre Kleidung nur ausgewählte Menschen zu Gesicht bekommen, stört die temperamentvolle Frau nicht. Schließlich sei das Schneidern von Unterwäsche eine besonders komplizierte Kunst. Bestätigung und Lob bekomme sie trotzdem. "Manchmal treffe ich meine Kundinnen, und sie zwinkern mir dann unauffällig zu. Dann weiß ich, dass sie gerade meine Wäsche tragen." Mit ihrer Geschäftsidee scheint Bendahan eine Nische gefunden zu haben, denn ihre Auftragsbücher sind gut gefüllt. Nur wenige Schneidereien bieten einen ähnlichen Service in Deutschland an. Daher kommen ihre Kundinnen aus der ganzen Bundesrepublik in ihr Atelier. "Oftmals sitze ich bis tief in die Nacht hinein an meiner Nähmaschine und schneidere sowohl schlichte hautfarbene BHs aber auch schrill-bunte Unterwäsche, die Frauen beispielsweise passend zu einer Tätowierung oder für einen besonderen Anlass bestellt haben."

Bendahans Kundenkreis ist sehr gemischt. Ihre jüngste Kundin ist 14 Jahre alt, die älteste bereits 89. "Es gibt im Prinzip vier Varianten", sagt die Schneiderin. "Natürlich gibt es Frauen, die einfach Freude an schöner Unterwäsche haben, andere finden einfach nichts Passendes im normalen Handel." Auch aus medizinischen Gründen gäben Frauen Wäsche in Auftrag, beispielsweise Tumorpatientinnen, die nur eine Brust haben. Auch Männer verschenken gern einen Gutschein für Maßunterwäsche - oder aber Freundinnen, wie Carolyn Bendahan sagt. "Dann wird das Kundengespräch oft zu einer kleinen Party in meinem Atelier umfunktioniert. Der Prosecco wird rausgeholt, und die Damen haben ihren Spaß."

Bei anderen Beratungsgesprächen wiederum muss die Diplomingenieurin behutsam vorgehen. Einige der Frauen seien bei der ersten Terminvereinbarung aufgeregt. Dabei komme es nicht darauf an, ob ihre Kundinnen Idealmaße hätten oder nicht, denn Unterwäsche sei immer ein heikles Thema. Etwa 15 Frauen empfängt Bendahan pro Monat in ihrem Atelier. Um den perfekten BH zu kreieren, bittet sie die Kundin, ihre Lieblingsunterwäsche mitzubringen. "Und damit meine ich den BH, der gemütlich, aber mittlerweile unansehnlich ist, und die ausgefallene Spitzenwäsche, die aber nur selten getragen wird."

Mit diesen Vorgaben kann Bendahan dann erkennen, was ihre Kundinnen wirklich wollen. Aus 200 Stoffen können diese wählen. Rund 250 Euro verlangt sie für ein Unterwäscheset. Ein aufwendiges Torselett, also eine Korsage, die bis zu den Hüften reicht, kostet rund 300 Euro. Etwa zwei Wochen vergehen dann vom Maßnehmen bis zur ersten Anprobe der Wäsche. Dann wird gemeinsam überlegt, ob die Dessous noch einen letzten Schliff benötigen, zum Beispiel ein Satinband oder eine Schleife - wobei Bendahan das meist schon auf den ersten Blick klar ist.