Christine Wolff sitzt in der Chefetage eines amerikanischen Konzerns und rät Frauen, ihre Bescheidenheit abzulegen

Hamburg. Christine Wolff, 49, ist Chefin für die Region Europa und Mittlerer Osten beim US-Konzern URS, mit 42 000 Mitarbeitern eine der weltgrößten Ingenieurgesellschaften.

Abendblatt:

Wie arbeitet es sich als Frau in einer Männerdomäne?

Christine Wolff:

Sehr gut. Amerikanische Firmen sind weiter als deutsche, Frauen in Führungspositionen stellen dort längst keine Ausnahme dar. In den USA wurde das Gleichstellungsthema weit früher angegangen als hier.

In deutschen Firmen ist es als Frau schwerer, nach oben zu kommen?

Ja. Aber nicht unmöglich. Frauen müssen ihre Bescheidenheit ablegen - bei den Aufstiegsmöglichkeiten wie bei den Gehaltsvorstellungen. Ohne Selbstmarketing geht es nicht. Zudem müssen sie sich besser vernetzen. Frauen sind zwar ausgezeichnete Netzwerker, oft aber mit den falschen Personen.

Woran liegt das?

Die meisten Frauen scheuen sich, gezielt Kontakte für die Karriere einzusetzen. Dieses Verhalten erscheint ihnen zu eigennützig. Dabei sind Netzwerke ja gerade dazu da. Besser die letzte an der Bar als die erste im Büro - das stammt nicht von mir, aber ich kann dem nur voll zustimmen.

Mit Fleiß ist also kein Blumentopf zu gewinnen?

Nicht wenn das bedeutet, sich zwölf Stunden hinter dem Schreibtisch zu verschanzen. Dort werden die wenigsten Führungskräfte entdeckt, im Business kommt kein Prinz vorbei. Der berufliche Aufstieg hängt nur zu 10 Prozent von der Qualität ab, 30 Prozent macht das Image aus, 60 Prozent die Vernetzung.

Was sollte man dafür tun?

Das Rampenlicht suchen, etwa mit Vorträgen, und bei Events regelmäßig dabei sein. Zudem sollte man sich bei ein bis drei Netzwerken aktiv einbringen.

Helfen auch sonst eher männliche Verhaltensmuster?

Frauen müssen männliches Verhalten verstehen, aber nicht in allen Details übernehmen. Wenn ich in China arbeite, sollte ich wissen wie die Chinesen ticken. Dafür muss ich aber nicht meine Lebensweise aufgeben. Erfolg versprechender ist es die eigenen Stärken auszubauen, die gegenüber männlichen Kollegen auf dem Weg nach oben einen Wettbewerbsvorteil bringen.

Welche Stärken wären das?

Frauen können gut mit zwei, drei oder vier Themen gleichzeitig jonglieren. Sie haben ein Gefühl für Stimmungen, ein großer Vorteil bei schwierigen Vertragsverhandlungen. Und ein Auge für Details. Zudem sind sie keinem testosterongesteuertem Imponiergehabe ausgeliefert wie die männlichen Kollegen. Sie müssen sich nicht auf Teufel komm raus profilieren, sondern können sich in Ruhe auf die Sache konzentrieren.

Damit hätte das weibliche Geschlecht allen Grund, selbstbewusster aufzutreten.

Durchaus. Aber leider haben die über 40-Jährigen bescheidenes Auftreten mit der Muttermilch aufgesogen. Früher wurden sie als Mädchen so erzogen. Sie sehen Macht oft als negativ an statt als Chance zur Gestaltung. Das ändert sich aber glücklicherweise. Inzwischen wächst eine neue Generation von Frauen heran. Die 30-Jährigen verhalten sich heute ganz anders, sie haben die Zurückhaltung hinter sich gelassen. Rund 51 Prozent der Studienabgänger sind weiblich. Da rücken bestens qualifizierte Frauen nach, die sehr selbstbewusst sind - und hochinteressant für Führungspositionen.

Damit wäre eine Frauenquote für Führungspositionen überflüssig?

Früher war ich der Meinung, Frauenquote sei ein Begriff aus der Mottenkiste. Das sehe ich inzwischen anders. Die verkrusteten Strukturen in Deutschland machen es Frauen sehr schwer, an die Spitze zu kommen. Auch weil die Auswahl meist Männer treffen, die wiederum eher nach ihnen ähnlichen Charakteren Ausschau halten.

Laut Studien sind Unternehmen mit Frauen in den Führungsetagen erfolgreicher ...

... und das ist auch in der Praxis spürbar. Nicht ohne Grund hat die Telekom eine Frauenquote für die Chefetage eingeführt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gemischte Teams am effektivsten arbeiten, denn weibliche und männliche Eigenschaften ergänzen sich bestens. Ändern sich noch andere Rahmenbedingungen, könnten alle profitieren.

Was muss geschehen?

Der Spagat zwischen Aufstieg und Kindern ist in Deutschland schwierig. Das bedeutet für Frauen oft einen Karriereknick. Das Angebot an Betreuungsplätzen muss ausgebaut werden. Zudem muss sich die Arbeitskultur ändern. Ein 60-Stunden-Job lässt sich schwer mit der Familie verbinden. Es müssen flexiblere Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden, auch für Männer.