Überlastet und unzufrieden: Nicht immer nur leise klagen – Berufstätige sollten lernen, klug zu widersprechen

Das Überstundenkonto steht kurz vor dem Platzen, der Chef macht Druck, und selbst im Urlaub hat einen die Arbeit einfach nicht losgelassen: Der Jobfrust vieler Arbeitnehmer ist groß. Die Zahlen, die das Gallup-Institut seit Jahren zum Engagement der Beschäftigten ermittelt, sind niederschmetternd. Nach der jüngsten Erhebung haben 24 Prozent innerlich gekündigt, 61 Prozent machen Dienst nach Vorschrift. Lediglich 15 Prozent stehen noch voll hinter ihrem Job. Befragt wurden 2198 Arbeitnehmer ab 18 Jahren.

Die Gründe fürs Unzufriedensein sind vielfältig, sagt Rita Maria Zankl-Harbeck, die Berufstätige bei der Neuorientierung coacht. Sie können im Unternehmen wie beim Mitarbeiter liegen. „Vielen fehlt Wertschätzung und Respekt für ihre Leistung“, sagt die Karriereexpertin. Oft mangele es auch daran, den Sinn in seinem Tun zu sehen – gerade in Großunternehmen, wo jeder nur einen kleinen Schritt im großen Prozess betreut. Darüber hinaus führt die Verschmelzung von Arbeit und Freizeit dazu, dass man Probleme bekommt, sich abzugrenzen. Auch das kann eine Quelle von Frustration sein.

Karrierecoach Klaus Merg sieht vor allem Überlastung als Grund für Jobfrust. „Immer weniger Menschen müssen immer mehr Arbeit bewältigen. Häufig kommt psychischer Druck vom Vorgesetzten dazu, der noch mehr Leistung fordert.“ Karriereberater Martin Wehrle kritisiert: „Vieles, was die Arbeiter in Jahrhunderten errungen haben, wie geregelte Arbeitszeiten, lassen wir uns wieder wegnehmen.“ Die ständige Forderung, Mitarbeiter müssten ihr Zeitmanagement und Multitasking verbessern, stieße längst an ihre Grenzen. „Die Leute schuften den ganzen Tag und sind auch nach Feierabend in permanenter Rufbereitschaft“, sagt Wehrle. Die Experten raten deshalb: Arbeitnehmer müssen auch den Mut haben, sich gegen diese Entwicklung zu wehren. „Jeden Abend länger im Büro zu bleiben ist eine Kapitulation davor, dass man das geforderte Pensum während des Tages einfach nicht schafft“, sagt Merg. Darunter leide früher oder später das Privatleben mit der Familie, Hobbys und Freunden, letztlich die ganze Lebensfreude.

Wichtig im Kampf gegen die ständige Überlastung ist, dass man sich Mitstreiter sucht. „Der Druck trifft ja meistens alle Kollegen gleichermaßen“, sagt Wehrle. Gemeinsam habe man eine ganz andere Schlagkraft. „Wenn alle konsequent pünktlich Feierabend machen, dann gerät nicht ein Einzelner in Erklärungsnot.“

Aber auch das Gespräch mit dem Chef sollten Mitarbeiter suchen. „Wenn er wieder mit neuer Arbeit kommt, muss man ihm klar aufzeigen, was dann stattdessen liegen bleibt“, sagt Wehrle. Besonders wichtig ist, dabei auf der Sachebene zu bleiben. Also: kein Stöhnen oder Klagen, kein wütender Ausbruch, weil man zu lange damit gewartet hat, sich zu wehren. „Sondern sich selbstbewusst und erwachsen äußern“, empfiehlt Rita Zankl-Harbeck. „Ich habe folgende Terminsachen auf dem Tisch...“, könnte so eine Replik beginnen. „Diese Aufgaben würden leiden, wenn ich die Vorbereitung des Meetings heute Nachmittag übernehmen würde. Wie denken Sie darüber?“ Der Chef könnte sich einen anderen Kandidaten suchen oder entgegnen: „Egal, schieben Sie, ich nehme das auf meine Kappe.“ So oder so – es gäbe eine Entscheidung, die den Mitarbeiter entlastet. Sollte der Chef nur noch mehr Druck machen, empfiehlt Martin Wehrle die radikalste Lösung: „Dann muss man auch mal den Mut haben und ein Projekt gegen die Wand fahren lassen, damit das Unternehmen reagiert.“

Das ist nicht ganz ungefährlich. Leistungsträger können sich eine Konfrontation mit dem Chef vielleicht leisten. Wer aber zu den Schwächeren im Team zählt, bekommt womöglich erst recht Probleme. „Dann kann man aber versuchen, zunächst seine Leistungsbereitschaft zu signalisieren und sich für Fortbildungen zu melden. Mit der höheren Qualifikation wächst die Chance, dass man wieder stärker Herr seines Arbeitstages wird“, sagt Wehrle. Trotzdem müssten Angestellte sich klarmachen, dass das Karrieresystem oft diejenigen bevorzugt, die sich ausbeuten lassen.

Doch noch etwas anderes kann man aus den Studien über die Unzufriedenheit der Mitarbeiter schließen, sagt Psychologe Manuel Tusch. „Wenn 85 Prozent der Menschen unzufrieden sind, dann heißt das: Man kann den Problemen nicht durch einen Wechsel des Arbeitgebers entfliehen.“ Woanders sei es meist auch nicht besser. „Wenn wir immer nur versuchen, den Job zu finden, der uns glücklich macht, dann werden wir nie am Ziel ankommen.“ Sein Rat ist deshalb, nicht zu viel zu erwarten. Wer viel Geld verdienen will, werde letztlich immer zu wenig auf dem Lohnzettel haben. Wer vom Chef viel Anerkennung erwartet, werde immer zu wenig Lob abbekommen. „Je höher meine Erwartungen in einem dieser Punkte sind, desto sicherer werde ich enttäuscht. Wenn ich aber von allem ein bisschen erwarte, werden meine Erwartungen unterm Strich häufiger erfüllt.“

„Ein Job kann nicht alle Bedürfnisse bedienen“, sagt auch Rita Zankl-Harbeck. „Da muss man einfach zu einer realistischen Einschätzung kommen.“ Mitunter überlagere die Routine des Alltags das, was man vorher als sinnstiftend in seinem Beruf empfand. „Ein Arzt zum Beispiel kann es als anstrengend empfinden, dass er statt zu helfen viele Stunden in die Dokumentation seiner Tätigkeit investieren muss“, gibt Zankl-Harbeck ein Beispiel. Die Frage, die sich jeder stellen müsse, sei, was am Ende überwiegt. Seine Umwelt kann man nur bedingt ändern, gibt die Karriereexpertin zu bedenken. Aber das eigene Verhalten und die eigene Einstellung könne man verändern. „Dann habe ich auch die größten Erfolge: wenn ich selbst aktiv werde und nach und nach an den Stellschrauben drehe, die ich zur Verfügung habe.“ Delegieren, Nein sagen lernen, Feedback vom Chef erbitten, wenn er es nicht von allein gibt – all das gehört dazu.

Psychologe Manuel Tusch sagt, man müsse gar nicht immer danach streben, all sein Glück im Job zu finden. „Wenn ich gerne Wertschätzung erfahren möchte, dann finde ich das auch nach Feierabend bei meiner Familie oder in einem Ehrenamt.“ Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man beizeiten Feierabend macht.