Junge Freiberufler wie Patrick Hundt arbeiten von überall auf der Welt. Doch auf Dauer hat der Lebensstil auch Nachteile

Patrick Hundt rechnet damit, dass er am Ende dieses Jahres etwa sechs Monate auf Reisen verbracht haben wird. Schon 2013 war er neun Monate im Ausland. Lange sparen musste er dafür nicht: Hundt verdient sein Geld unterwegs, als digitaler Nomade, er arbeitet über das Internet. Der Laptop ist sein Büro, jeder Tag kann potenziell an einem Strand mit azurblauen Wasser beginnen.

„Das hat sich zufällig ergeben, es war nicht geplant“, sagt Patrick Hundt. Der 31-Jährige hat im Online-Marketing gearbeitet, eine Agentur aufgebaut und ging dann auf Reisen. „Ich hatte meinen Laptop dabei und startete einen Reiseblog.“ Die Leserzahlen stiegen, irgendwann ließ sich damit Geld verdienen. Dann begann Hundt, unterwegs Mini-Reiseführer zu schreiben. Er betreibt noch weitere Webseiten, mit denen er Geld verdient. „Ich habe meine Projekte danach ausgewählt, dass ich sie ortsunabhängig bearbeiten kann.“

Digitale Nomaden programmieren, schreiben, designen oder beraten

Hundt ist jetzt ein digitaler Nomade. Um auch einer zu werden, muss man nicht unbedingt ein Blogger sein: „Es eignet sich alles, was sich digital erledigen lässt und keine enge Zusammenarbeit mit anderen Menschen erfordert“, sagt Hundt. Viele digitale Nomaden sind Freiberufler: Sie schreiben, übersetzen, programmieren, designen und beraten über das Internet. Das geht von überall aus. Und die Lebenshaltungskosten sind in vielen Ländern niedriger als in Deutschland.

Noch ist die Szene ziemlich klein. Im Mai dieses Jahres fand die erste Konferenz für digitale Nomaden (DNX) in Berlin statt, die nächste ist für den 4.Oktober angesetzt (www.dnx-berlin. de). „Über das zeit- und ortsunabhängige Arbeiten reden wir aber schon seit Jahren“, sagt Eike Wenzel, der das Institut für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ) gegründet hat (www. zukunftpassiert.de). Bei IBM habe man damals vom „deterritorialen Büro“ gesprochen, Ende der 90er war „Home Office“ ein Schlagwort. In der New Economy hieß es: Jeder ist sein eigener Unternehmer. Ein spürbarer Wandel der Arbeitswelt ist ausgeblieben. Dieses Mal, glauben die digitalen Nomaden, wird alles anders.

„In den nächsten Jahren werden sich immer mehr Menschen mit spezialisierten Dienstleistungen unabhängig machen können“, sagt Trendforscher Eike Wenzel. „Dafür braucht man nur noch ein Smartphone und einen geliehenen Büroplatz.“ Aber warum sollte es jetzt einen Mentalitätswandel in der Arbeitswelt geben? Wegen der Technologie der Digitalisierung, sagt Wenzel. „Wir würden diese Diskussion nicht führen, wenn es ab 2008 nicht das Smartphone gegeben hätte.“

Urs Mansmann von der Computerzeitschrift „c’t“ bestätigt: „Die Möglichkeiten meines heimischen Büros habe ich mittlerweile weltweit.“ An vielen Orten der Welt gebe es ein WLAN, die Alternative ist das Mobilfunknetz vor Ort. „Wenn ich vier Wochen auf den Seychellen vom Strand arbeite, hole ich mir 1,5 Gigabyte Datenvolumen pro Monat von einem lokalen Provider“, sagt der Experte – für etwa 25 Euro.

Mit der Ortsunabhängigkeit geht zumindest für die Freelancer und Selbstständigen eine neue Freiheit einher. „Ich kann selbst entscheiden, wann ich arbeite, woran ich arbeite und wem ich damit helfen will“, sagt Patrick Hundt. „Da ich jederzeit unterwegs sein kann, muss ich nicht so stark abwägen, welche Länder ich sehen möchte.“ Reisen, die Welt sehen, sich global mit Gleichgesinnten vernetzen: Das gehört zum Selbstverständnis vieler Nomaden dazu.

Dass bald Angestellte großer Firmen digital vernetzt ihre Arbeit mal hier und mal dort verrichten, ist eher unwahrscheinlich: „Unternehmen tun sich mit dem mobilen Büro extrem schwer“, sagt Eike Wenzel. „Flexibilisierung ist eine Modevokabel, aber in der Angestelltenwelt von Großunternehmen funktioniert sie noch nicht.“ Meist gehe es um Halbtagsjobs oder prekäre Arbeitsverhältnisse. Besser funktioniere der nomadische Lebensstil für sogenannte Free Agents, die outgesourct als Pauschalisten für Firmen arbeiten.

Experten warnen davor, Arbeit und Freizeit komplett zu vermischen

Bis 2030 könnten maximal 30 Prozent der deutschen Arbeitnehmer digital und ortsunabhängig arbeiten, glaubt Wenzel. „Ich sehe die Entwicklung positiv, aber ich warne davor, die Aufhebung von Arbeit und Freizeit zu idealisieren.“ Was Sascha Lobo und Holm Friebe schon 2006 in „Wir nennen es Arbeit“ beschrieben haben, sei eine digitale Bohème, die es in dieser Form nie gegeben habe. „Eine schöne neue Welt ist das nicht.“

Patrick Hundt räumt ein, dass das Leben als digitaler Nomade Kompromisse machen bedeutet. „Mir fehlt das soziale Umfeld. Ich treffe unterwegs zwar viele Leute, doch das sind nur flüchtige Bekanntschaften“, erzählt er. Ein vertrautes Umfeld böte an schlechten Tagen mehr Rückhalt. Außerdem gebe es unterwegs keine geregelten Abläufe und viel Ablenkung von der Arbeit. „Das erfordert hohe Selbstdisziplin.“ Das Leben als digitaler Nomade hat Hundt viele Freiheiten eröffnet. Aber es ist für ihn nicht das große Glücksversprechen. „So schön dieser Lifestyle ist, mir fehlt etwas“, schrieb er vor Kurzem in seinem Blog.