Debatte um höhenverstellbare Arbeitsplätze in Behörden: Steuerverschwendung und sinnvolle ergonomische Maßnahme? Was Mediziner empfehlen.

Neue höhenverstellbare Tische für die Finanzbehörde erhitzen derzeit in Hamburg die Gemüter. Zwischen Steuerverschwendung und sinnvoller ergonomischer Maßnahme schwankt die öffentliche Meinung. Doch wie sinnvoll sind Investitionen in professionelle Büromöbel wirklich? Experten liefern Fakten zur aktuellen Diskussion.

„Das Sitzen ist eine Körperhaltung, für die wir mit unserer aus der Steinzeit stammenden Anatomie nicht geschaffen sind“, sagt Michael Peschke, Leiter Arbeitsmedizinischer Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg (AMD). Die sitzende Haltung führe zu starken Druckbelastungen in den Bandscheiben der unteren Lendenwirbelsäule. Hinzu komme, dass die Bandscheiben aus einem Gewebe bestehen, das nicht durch Blutgefäße versorgt wird, sondern durch Aufsaugen von Flüssigkeit. Beim Sitzen ist die Wirbelsäule gebogen. Die Bandscheiben werden zusammengedrückt und können keine Flüssigkeit aufnehmen, so Peschke.

„Aus ergonomischer Sicht empfiehlt man bei der Büroarbeit häufige Haltungswechsel. Das heißt neben Sitzen auch Stehen und Gehen. Diese Vielfalt sollten die Arbeitsbedingungen möglichst unterstützen“, sagt Lars Adolph, Wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs Produkte und Arbeitssysteme der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Rund ein Viertel aller Arbeitsunfähigkeitstage seien durch Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems bedingt. Sie seien mit Abstand die häufigste Einzelerkrankung. Die Ursache liege bei Büroarbeitern vor allem im Bewegungsmangel. In der Anschaffung höhenverstellbarer Tische sieht Adolph eine sinnvolle Maßnahme zur Prävention.

Sind solche Möbel vorhanden, empfiehlt der Experte, die Arbeitsposition regelmäßig und häufig zu wechseln. „Man sollte mal im Stehen telefonieren oder abwechselnd im Sitzen oder im Stehen am Computer arbeiten. Werden Beschäftigte nicht hinreichend über die gesundheitlichen Folgen von Bewegungsmangel informiert, kann es passieren, dass jemand einen höhenverstellbaren Schreibtisch bekommt, ihn aber niemals verstellt. Dann verpufft die Investition.“ Die grundlegende Erkenntnis sei jedoch, dass sich Investitionen in ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen für Unternehmen rechnen. Es gebe verschiedene wissenschaftliche Studien, etwa von Officeplus, die das eindrucksvoll am Beispiel der Drägerwerk AG zeigten.

„Pro Stunde empfehlen wir, zehn Minuten im Stehen zu arbeiten“, sagt Arbeitsmediziner Peschke. In den Bereichen, in denen langes Sitzen arbeitsbedingt erforderlich ist, beispielsweise in einigen Abteilungen der Finanzbehörde, sieht Hamburgs oberster Arbeitsmediziner in elektrisch verstellbaren Tischen, die sowohl ein Arbeiten im Sitzen wie auch im Stehen ermöglichen, eine gute Lösung.

Bislang würden solche Investitionen allerdings erst getätigt, wenn bereits Erkrankungen und Arbeitsunfähigkeiten aufgetreten seien, um eine Verschlimmerung zu verhindern, so Peschke. „Wir empfehlen, zu handeln, bevor sich Schäden einstellen. Dass im öffentlichen Dienst jetzt eine Behörde mit gutem Beispiel vorangeht, ist eine neue und positive Entwicklung.“ Auch das Kostenargument entkräftet Peschke: „Ein Arbeitsunfähigkeitstag kann je nach Vergütungsgruppe nach Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit etwa 500 Euro kosten. Ein höhenverstellbarer Tisch ist für rund 600 Euro zu haben. Bereits nach zwei verhinderten Krankheitstagen hat sich diese Maßnahmen bezahlt gemacht.“

Udo-Ernst Haner, Leiter Competence Team Information Work Innovation vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) liefert ein weiteres Argument für anpassbares Büroequipment: „Unternehmen werden dadurch in der Gestaltung ihrer Arbeitssituationen flexibler, besonders angesichts zunehmender Projektarbeit. Teams werden immer wieder neu zusammengestellt.“

Eine ergonomisch sinnvolle Büroeinrichtung beschränkt sich allerdings nicht auf höhenverstellbare Tische. Auch Stühle, Beleuchtung und IT-Technik haben die Arbeitsmediziner im Blick. Für die Computerarbeit gilt die Bildschirmarbeitsverordnung. Darin ist festgelegt, wie groß der Abstand zum Bildschirm sein sollte und der Schirm positioniert werden muss. Auch spiegelnde Oberflächen sind zu vermeiden, um eine übermäßige Belastung der Augen zu verhindern. „Wichtig ist zudem, dass Monitor und Tastatur getrennt sind“, sagt Experte Haner. Das ausschließliche Arbeiten am Notebook könne unter anderem zu Verspannungen führen.