Ralf Nagel, Reederverbandschef, war schon Staatssekretär, Senator, Unternehmensberater. Auch Glück bestimmte seine Laufbahn.

Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der SPD in Bonn, Staatssekretär in Sachsen-Anhalt und Berlin, Gesellschafter der Unternehmensberatung Putz & Partner in Hamburg, Senator in Bremen und jetzt Chef des Verbands Deutscher Reeder (VDR): Eine sorgfältig vorbereitete Karriere? "Nein, nein", versichert Ralf Nagel in seinem Büro nahe der Lombardsbrücke zwischen Binnen- und Außenalster, "es gab keinen Plan." Vielmehr ist der 53 Jahre alte studierte Politikwissenschaftler immer wieder der richtige Mann für neue Aufgaben. "In meiner Karriere hat sich vieles ergeben", sagt Nagel. Im richtigen Moment klingelte immer das Telefon.

Nagels Weg begann steinig. Seine Eltern lebten in Karlsruhe in bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater Gerhard brachte die vier Söhne als Schneider und nach einer Umschulung als Bankangestellter durch. Dennoch machte Ralf Abitur an einem Technischen Gymnasium. Zu Schulzeiten dachte er darüber nach, Hubschrauberpilot oder Pastor zu werden. Vor allem aber schwärmte er für die Chemie. In einem zur Mietwohnung gehörenden Kellerverschlag richtete er sich ein Minilabor ein und experimentierte.

Es kam anders. Weil die Marine ein Studium anbot, begann er als Offiziersanwärter. Zwar absolvierte er schließlich nur den Wehrdienst, die Seefahrt aber hatte es ihm ein für alle Mal angetan. Selbst das Aufentern bis zur höchsten Rahe des Segelschulschiffs "Gorch Fock" während einer siebenwöchigen Ausbildungsfahrt machte ihm nichts aus. "Meine maritime Macke ist bis heute geblieben", sagt er.

Nagel, der mit 23 Jahren in die SPD eintrat, studierte nach der Entlassung aus der Marine in Heidelberg und trat seine erste Stelle in Bonn an. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter Huonker wurde sein Chef, zugleich Lehrmeister, Förderer und väterlicher Freund, zu dem Nagel noch heute engen Kontakt hält. Geprägt von Erhard Eppler und Helmut Schmidt übertrug Huonker deren präzise Arbeitsweisen auf seinen jungen Assistenten. Das war für Nagel manchmal schmerzhaft, vor allem wenn der frischgebackene Magister seine Entwürfe mit Fragezeichen garniert im Postkorb fand oder wenn Huonker im breiten Schwäbisch dozierte: "Du musst erst einmal lernen, worüber du schwätzt."

Nagel lernte. Seine Arbeitsweise überzeugte auch Jürgen Heyer, der ihn von der nächsten Station im Ministerium für Stadtentwicklung in Potsdam nach Magdeburg mitnahm. Heyer wurde in Sachsen-Anhalt Verkehrsminister und Nagel mit 34 Jahren Staatssekretär. Den Wechsel nach Osten sah er vor allem als spannende Aufgabe, im neuen Bundesland im Städtebau und von 1999 an im Wirtschafts- und Technologie-Ressort Pionierarbeit zu leisten. Sogar als Parteifreunde ihn als Kandidaten für das Oberhaupt seiner Heimatstadt Karlsruhe ins Spiel brachten, lehnte er ab. "Das Amt als gewählter Oberbürgermeister und Verwaltungschef hat mich natürlich gereizt. Es gab aber in der wohlhabenden Stadt deutlich weniger zu gestalten als im Osten." Er habe es immer als Privileg empfunden, dazulernen zu können, sagt Nagel.

Als Staatssekretär in die Bundesregierung holte Nagel schließlich der damalige Verkehrsminister Kurt Bodewig. Mit dessen Nachfolger Manfred Stolpe musste er 16 Monate die Pannen bei der Einführung der Lkw-Maut durchstehen. Und nach dem nächsten Wechsel zur Großen Koalition hatte Wolfgang Tiefensee für Nagel keinen Platz mehr. Er ging - mit dem Angebot von Putz & Partner, dort einzusteigen. Erstmals machte der Ex-Staatssekretär so 2006 beruflich in Hamburg fest. "Ich lernte, was es bedeutet, nicht nur das eigene Geld einzusetzen, sondern zudem für 100 Mitarbeiter ausreichend Aufträge hereinholen zu müssen."

Als Nagel dazu im Frühsommer 2007 gerade einen Geschäftsfreund in Bonn besuchte, klingelte mal wieder das Handy. Am anderen Ende war ein Wirtschaftsmann aus Bremen, der ihm vorschlug, sich als Senator für das Bundesland zu bewerben. Einige Stunden später meldete sich Bürgermeister Jens Böhrnsen, dem der Kandidat Ulrich Nußbaum abgesprungen war. So stieg Nagel auf der Rückfahrt nach Hamburg am nächsten Tag in Bremen aus dem Zug, um erste Gespräche zu führen.

Der Polit-Profi überzeugte die Partei und wurde Wirtschaftssenator. Für Bremerhaven, wo die US-Soldaten abgezogen und Tausende Jobs in der Fischerei und auf den Werften verloren gegangen waren, ging es um eine neue Zukunft. Immerhin hatte der Ausbau der Liegeplätze für Containerschiffe bereits begonnen. Nagel verbesserte nun auch die Straßenanbindung in den Hafen. Drei Jahre arbeitete der Süddeutsche, der nach der Wahl an die Weser gezogen war, bis die Genossen mit Martin Günthner einen gebürtigen Bremerhavener für sein Amt favorisierten.

So etwas, das weiß Nagel nur zu gut, lässt sich mit Argumenten nicht ändern. Er ging erneut - nicht ohne wieder angerufen worden zu sein. Dieses Mal war es Michael Behrendt, der Chef von Hapag-Lloyd und heutige Präsident des Verbands Deutscher Reeder. Behrendt kam nach Bremen. Die beiden einigten sich, und Nagel ist nun seit Februar 2010 Hauptgeschäftsführer des Verbands, für den in Hamburg 25 Mitarbeiter tätig sind.

"Ich hatte das Glück, in der Politik das anwenden zu können, was ich gelernt habe", sagt er rückblickend. Die eiserne Disziplin von Huonker, das Nutzen von Kontakten und das Bemühen um Verständigung zwischen Menschen mit unterschiedlichen Interessen, das ihn schon im Studium zur Soziologie und Psychologie geführt hatte.

Nagel lernte Länder wie China oder Russland kennen, verhandelte mit deutschen und internationalen Spitzenpolitikern. "Das hat meinen Horizont erweitert." Aber er hat auch gezahlt. So blieb wenig Zeit für seine erste Frau, zu der er über Jahre in Richtung Bonn pendeln musste, und für seine Kinder, die heute erwachsen sind.

Das will er jetzt bei seiner gerade sieben Monate alten Tochter Yara Sophie besser machen. Mit Silke, seiner zweiten Frau, wird der Wahlhamburger im Oktober in eine neue Doppelhaushälfte einziehen. "Wir fühlen uns hier pudelwohl." Sein Ziel: bei Umweltfragen, bei den Arbeitsbedingungen auf See und den wirtschaftlichen Interessen der rund 400 Reeder nicht nur Einzelinteressen zu vertreten, sondern sich in die gesamte gesellschaftliche Diskussion einzuschalten. "Nur so kann ein Verband etwas erreichen." Nagel fühlt sich in Hamburg angekommen und will bleiben. Hauptgeschäftsführer des VDR und eine "maritime Macke" - das passt. "Und schließlich", sagt er, "möchte ich die Schifffahrt auch mal ohne Krise erleben."