Arbeit liegen zu lassen hat verschiedene Gründe - die Aufgabe ist langweilig, man will perfekt sein. Doch was hilft gegen das Aufschieben?

Berlin. Seit Tagen müsste die Präsentation für die Vorstandskonferenz vorbereitet werden. Der Chef hat auch schon nachgefragt. Immer wieder denkt man kurz über diese wichtige, zunehmend lästige Aufgabe nach. Aber statt anzufangen werden Routinearbeiten erledigt, E-Mails beantwortet, der Schreibtisch wird aufgeräumt. 20 Prozent aller Berufstätigen leiden unter ihrer Aufschieberitis (s. Kasten).

Chronisches Aufschieben wird von Psychologen als Prokrastinieren bezeichnet, abgeleitet von dem lateinischen Wort procrastinare (deutsch: etwas vertagen oder verschieben). Es könne zu erheblichen Problemen führen, sagt der Diplom-Psychologe Hans-Werner Rückert, der die Studienberatung der FU Berlin leitet. "Im schlimmsten Fall können Aufschieber ihren Job verlieren oder ernsthafte seelische Probleme davontragen." Zunächst einmal komme aber das Selbstwertgefühl ins Wanken. Und die Umwelt nehme den Betroffenen als unzuverlässig wahr.

Gut erforscht ist die Aufschieberitis bei Studenten: 58 Prozent schieben regelmäßig Arbeit vor sich her, belegt eine Studie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. 60 Prozent von ihnen flüchten zudem in typisches Ausweichverhalten: Sie erledigen Hausarbeit, surfen im Internet oder telefonieren, erläutert Studienautorin und Psychologieprofessorin Karin Schleider. Auslöser für das Verhalten sind häufig bevorstehende Prüfungen und Abgabetermine.

Doch die Studenten sind mit ihrer Aufschieberitis nicht allein: Sogar unter Rechtsanwälten gebe es Aufschieber, die sich trickreich des Mittels der Fristverlängerung bedienen, sagt Hans-Werner Rückert. "Das vermutet man bei dieser Berufsgruppe eher nicht."

"Oft steckt etwas hinter dieser Blockade", sagt Bettina Rohe. Sie ist Arbeitsplatzcoach in Hamburg und berät Menschen, denen ihr Hang zum Aufschieben zu schaffen macht. Angst oder Perfektionismus seien die stärksten Gründe, warum jemand eine Aufgabe gar nicht erst anfängt. "Die nehmen mich ja doch nicht", ist zum Beispiel das Gefühl dahinter, wenn ein Arbeitssuchender eine Bewerbung vor sich herschiebt.

Die Forschung unterscheidet zwei Typen: die Erregungsaufschieber, denen ihr Verhalten einen Kick bringt, und die Vermeidungsaufschieber, die mit einer Aufgabe unangenehme Dinge verbinden. "Wenn man wirklich etwas an seinem Verhalten ändern will, dann muss man hinterfragen, was die Gründe fürs Aufschieben sind", sagt Bettina Rohe. Die leitende Frage dabei: Welchen Vorteil habe ich dadurch? "Manche Menschen haben zum Beispiel Angst vor Erfolg, denn das könnte ja heißen, dass anschließend noch mehr Arbeit auf ihrem Schreibtisch landet."

Was also tun? Selbstakzeptanz kann einen weiterbringen. "Bewerten Sie sich nicht global, sondern bewerten Sie spezifisch einzelne Verhaltensweisen. Hören Sie auf, sich als Aufschieber zu bezeichnen", empfiehlt Hans-Werner Rückert in seinem Buch "Schluss mit dem ewigen Aufschieben" (Campus Verlag). Er rät: "Streben Sie hervorragende Ergebnisse statt perfekter an. Verabschieden Sie sich von dem Mythos, alles schaffen und mit 33 Terminen gleichzeitig hantieren zu können." Bettina Rohe regt an: "Probieren Sie doch einfach mal aus, was passiert, wenn Sie nur 80 Prozent geben." Der Erfahrung nach reiche das oft aus.

Wer Aufgaben vor sich herschiebt, weil sie ihm zu langweilig erscheinen, sollte sich überlegen, wie er sie vereinfachen kann. Rohe: "Wer wöchentlich Zahlen in einem Formular erfassen muss, könnte anfangen, mit einer Excel-Liste zu arbeiten, die die Rechenfunktionen automatisch ausführt."

Die zentrale Frage sei immer: Was brauche ich, damit mir die Aufgabe leichter fällt? "Schauen Sie sich auch mal in anderen Arbeitsberechen um, in denen Sie keine Anlaufschwierigkeiten haben", regt Bettina Rohe an. "Was machen Sie dort anders?" Möglicherweise könne man Vorgehensweisen auf die Arbeiten transferieren, die einem schwerfallen. Bei leichter Aufschieberitis könnten schon relativ simple Instrumente helfen, wie Prioritätenlisten schreiben und das Zerstückeln großer Projekte in viele kleine Aufgaben.

Allerdings kann es auch der richtige Weg sein, ein Projekt aufzugeben. Psychologe Rückert: "Man kann seinen Seelenfrieden finden, indem man große Vorhaben wie eine Doktorarbeit, die man jahrelang vor sich herschiebt, ganz aufgibt." Einen Schlussstrich zu ziehen, könne befreiend sein.

Die Aussichten für jeden, der sich seiner Aufschieberitis stellen will, sind jedenfalls rosig. Arbeitsplatzcoach Bettina Rohe beschreibt die Vision: "Man hat keine schlechten Gefühle mehr, und das neue Engagement wird auch nach außen sichtbar." Sich für seine Schritte in die richtige Richtung zu belohnen, sollte dabei keiner vergessen: "Ganz wichtig, auch wenn es sich noch so banal anhört: Belohnen Sie sich. Loben Sie sich selbst, gönnen Sie sich eine Süßigkeit oder einen Kinobesuch", sagt die Freiburger Psychologieprofessorin Karin Schleider.