Serie, Teil 2: Voll im Leben - trotz Behinderung. Benjamin Piwko ist gehörlos und lehrt die Kunst des Kämpfens

Hamburg. Der Mann sprüht vor Energie und guter Laune. Und wenn er anfängt, vom Kämpfen zu erzählen, von der "Kampfkunst", kommt er richtig ins Schwärmen. Dann hält Benjamin Piwko nichts mehr auf der Bank, auf der er eben noch gesessen hat. Das muss er vorführen, wie leicht man einen Angreifer aus dem Tritt bringen kann. Mit Köpfchen eben. "Kampfkunst heißt, zu wissen, was man macht. Intelligent und konzentriert zu handeln und nicht unkontrolliert um sich zu schlagen", erklärt der 30-Jährige.

Piwko unterrichtet eine selbst entwickelte Kampfkunst-Technik

Seit zwei Jahren ist der Schwarzgurtträger im Wun Hop Kuen Do-Kung Fu beruflich selbstständig. Er lehrt die von ihm entwickelte Martial-Arts-Variante "Wun Boxing Thai Style Self-Defence", kurz WBT-Defence. "Es läuft gut", sagt Piwko. Er habe enorm viel zu tun. Zusätzlich zum Training müsse er Kurse planen, Werbung machen ... "Und dann ist da noch die ganze Büroarbeit." Finanzielle Unterstützung erhalte er vom Integrationsamt Hamburg, sagt Piwko, zum Beispiel um Dolmetscher und eine Arbeitsassistenz - etwa für Telefonate - bezahlen zu können. "Dafür bin ich sehr dankbar."

Seit er sechs Jahre alt ist, trainiert Piwko Kampfsport. Er beherrscht unter anderem Judo, Aikido, Win Tsung, Kick- und Thai-Boxen, Escrima. Er nimmt Kampfgurtprüfungen in Europa und den USA ab, ist ausgebildeter Stuntfighter und choreografiert Kampfszenen für Filme und Shows.

Aber Benjamin Piwko ist auch gehörlos - durch eine Virusinfektion, die er im Alter von acht Monaten hatte. Sprechen und von den Lippen abzulesen hat er an einer speziellen Schule in der Schweiz gelernt. "Weil ich aber nie bewusst gehört habe, wie Sprache klingt, hört sich meine Stimme anders an", sagt Piwko. Damit er seine Schüler versteht, müssen sie sich ihm beim Sprechen zuwenden. "Man muss sich daran gewöhnen, Augenkontakt zu halten", erklärt Piwko. "Das ist nicht anstrengend, sondern einfach nur Übungssache." Aber es brauche ein bisschen Zeit, um sich auf seine Welt einzulassen.

Ursprünglich wollte er Sportwissenschaften studieren. "Aber ich bin mehr der Typ, der gern aktiv ist. Ich musste schon mit zwei Jahren viel an der Schweizer Privatschule lernen, ich wollte endlich praktisch und kreativ arbeiten", sagt er. Ganz ohne Ausbildung hat ihn seine Mutter aber dann doch nicht davonkommen lassen: Piwko absolvierte eine Tischlerlehre und arbeitete als Geselle. "Ein schöner Beruf", findet er noch heute. "Jetzt kann ich alles Mögliche selbst reparieren", setzt er grinsend hinzu. Die Kollegen in den beiden Firmen, in denen er gearbeitet hat, waren sehr unterschiedlich. In seiner Lehrfirma sei er voll anerkannt gewesen, in der anderen Firma hätten ihn die Kollegen ausgegrenzt. "Wenn ich wissen wollte, warum gelacht oder heftig diskutiert wurde, haben sie mich ignoriert."

Wenn mal Frust aufkommt, bekämpft er den mit Sport

Er zuckt die Schultern. "Wenn man nicht so deutlich sprechen kann, denken die Leute oft, dass man auch weniger intelligent ist", sagt Benjamin Piwko. Mit solchen Leuten kann er nichts anfangen. "Aber ich muss akzeptieren, dass sie so sind." Aufkommenden Frust bekämpft er mit Sport. "Wenn ich mich richtig auspowern kann, geht's mir gut."

Entsprechend kurz währte sein Dasein als Tischler. Doch parallel konnte er als Kampfsportler immer mehr Erfolge einheimsen. Schließlich lud ihn sogar ein hawaiianischer Großmeister ein, bei ihm zu lernen und zu leben. Drei Jahre blieb Piwko dort. "Es ist immer mein Ziel, noch besser zu werden und mich und meine Kampfkunst weiterzuentwickeln", sagt er. Die jüngste Anerkennung: Im März 2010 wurde er in die "Hall of Honour & Spirit" in München - eine Ruhmeshalle für Kampfsportler - aufgenommen und in der Kategorie "Outstanding Achievement in Martial Arts" ausgezeichnet.

In Zukunft will er Kurse anbieten, die Kinder mutig und stark machen

Als Nächstes plant Benjamin Piwko, Motivationstrainings für Berufstätige anzubieten. "Man kann Mut, Offenheit und Selbstvertrauen sehr gut beim Sport lernen." Auch Kinder, die gemobbt werden, möchte er stark machen und Gehörlose mit speziellen Kursen unterstützen. "Es wäre schön, wenn ich dafür Sponsoren und Stiftungen fände", sagt Piwko. Damit würde er auch seinem ganz großen Ziel ein Stückchen näher kommen: zwei Welten, die Verständigungsprobleme haben, dazu zu bringen, sich füreinander zu öffnen.