Unternehmen wollten jüngere Absolventen. Jetzt haben sie sie - und sind auch nicht zufrieden. Berater Andreas von Studnitz kritisiert die Haltung.

Abendblatt: Im Artikel "Karrierebremse Bachelor", den das Abendblatt jüngst veröffentlichte, erklärt eine Personalentwicklerin, dass sie Bachelor-Studenten aufgrund mangelnder Praxis und Auslandserfahrung sowie fehlender persönlicher Tiefe nicht einstellen würde. Sie haben vehement widersprochen. Warum?

Andreas von Studnitz: Mir steht keine Kritik an der Personalerin zu, aber die Sichtweise lässt völlig außer Acht, welche Art von Studenten Unternehmen früher bekamen und welche sie in Zukunft rekrutieren werden. Die Personalerin bemängelt fehlende Auslandserfahrung. Da muss die Gegenfrage erlaubt sein, wie viele der bisherigen Absolventen denn Auslandserfahrung hatten?

Abendblatt: Bei den alten Studienabschlüssen waren es im Schnitt 35 Prozent, bei den Bachelor- und Master-Studenten sind es lediglich 18 Prozent. Letzteren fehlt wohl schlichtweg die Zeit dafür.

von Studnitz: Aber die Fragen lauten doch: Wie viele dieser Studenten fanden bisher ihren Berufseinstieg im Mittelstand, und ist es Aufgabe der Hochschule, die Studierenden auslandserfahren zu machen? Nein, das ist es nicht. Die Hochschule soll einen berufsqualifizierenden Abschluss ermöglichen, und wenn in einem betrieblichen Umfeld zusätzliche Qualifikationen erforderlich sind, dann ist es Sache des Unternehmens, diese zu ermöglichen.

Abendblatt: Ziel des Bachelors war es aber, die Abschlüsse international vergleichbar zu machen und so die Mobilität der Studierenden zu erhöhen. Bachelors sollen Auslandserfahrung sammeln!

von Studnitz: Bisher hatten wir in den EU-Mitgliedsländern unterschiedliche Studienordnungen. In Deutschland gab es das Staatsexamen und das Diplom, andere Abschlüsse wurden nicht anerkannt. Besonders bei Einstellungen war das oft ein Hindernis für Ausländer. Der Bolognaprozess hatte im Kern die Absicht, dass jeder in jedem Land ein Studium aufnehmen und jederzeit zwischendrin die Hochschule wechseln kann. Das heißt ja nicht implizit, dass jeder während seines Studiums wechseln muss.

Abendblatt: Die Personalentwicklerin sagte auch, dass sie lieber einen Bachelor-Absolventen einstellt, der für sein Studium acht Semester gebraucht hat, als einen Diplom-Absolventen, der sein Studium in Rekordzeit bewältigt hat. Was halten Sie davon?

von Studnitz: Sie lässt vollkommen unberücksichtigt, warum es das neue System überhaupt gibt. Nämlich, weil die Wirtschaft immer gesagt hat, dass es nicht sein könne, dass Hochschul-Absolventen erst mit Ende 20 in die Betriebe kommen, nachdem sie in der Regel mindestens fünf bis sieben Jahre studierten. Da wurde doch vollkommen zu Recht die Frage gestellt, welchen Benefit die Unternehmen von diesem alten System hatten!

Abendblatt: Sind denn Ihrer Meinung nach die Ziele des Bologna-Prozesses - Berufseinsteiger beschäftigungsfähiger und international konkurrenzfähiger zu machen - erreicht?

von Studnitz: Teilweise. Leider gibt es noch zu viele unterschiedliche und oft nicht nachvollziehbare Bewertungen einzelner Studienrichtungen, die sogenannten Credits. Dies führt dazu, dass willkürlich gesetzte Zugangsvoraussetzungen dazu führen, dass noch längst nicht jeder Abschluss an jeder Hochschule gleichwertig ist und in der Folge dazu führt, dass längst nicht jedes Aufbaustudium angeschlossen werden kann. Hier besteht tatsächlich Nachsteuerungsbedarf ebenso wie bei den Studienbedingungen, vor allem an vielen Universitäten.

Abendblatt: Sie finden also, dass die Hochschulen nachbessern müssen. Aber auf der anderen Seite geben Sie ja auch den Unternehmen Mitverantwortung.

von Studnitz: Tatsache ist, dass die negative Einstellung gegenüber den neuen Abschlüssen nicht aus den Großunternehmen kommt. Eine Firma, die jedes Jahr 30 Hochschulabsolventen einstellt, weiß schnell, was sie von denen erwarten oder nicht erwarten kann. Es ist die typische Mittelstandsmentalität, die Erwartung, dass neue Mitarbeiter, unabhängig vom Qualifikationsniveau, sofort fast alles können und sich voll produktiv einbringen. Das konnte kaum ein früherer Hochschulabsolvent und das können heute genauso wenig mit Bachelor-Abschluss.

Abendblatt: Aber gerade Praktika oder Nebenjobs, etwa als Werkstudent, sind in dem neuen System zeitlich kaum noch möglich.

von Studnitz: Nein, aber betriebliche Realität muss ein Betrieb vermitteln. Ich kann nicht auf der einen Seite sagen, dass ich Absolventen nicht erst mit Ende 20 haben will, und auf der anderen Seite sollen sie zwei Semester im Ausland gewesen sein, Nebenfächer studiert haben und am besten mit 25 fertig sein.

Abendblatt: Wie sieht denn Ihre Lösung aus?

von Studnitz: Bachelor-Studenten haben einen berufsqualifizierenden Abschluss. Danach liegt es am jeweiligen Unternehmen, den Absolventen so zu sozialisieren, dass er dort möglichst schnell produktiv tätig werden kann. Hierin liegt das Betätigungsfeld der Personalentwickler, die mit Einarbeitungs-, Job-Rotation- oder Traineeprogrammen dafür sorgen, dass die Hochschulabsolventen systematisch Erfahrungen sammeln, Zusatzqualifikationen erhalten - oder später bei Bedarf ein spezifisches Aufbaustudium zum Master aufnehmen. Diese betriebliche Verantwortung auf die Ausbildungsstätten abzuwälzen - das geht nicht!