Mitarbeitersuche bei der Langen Nacht der Industrie: Viele Betriebe in der Industrie brauchen dringend Leute, sagt Ulrich Möllers, Chef von Bode Chemie.

Abendblatt:

Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut HWWI rechnet mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in der Hansestadt von sieben Prozent. Dem produzierenden Gewerbe soll sogar ein Minus von 8,5 Prozent ins Haus stehen. Wie sehen Sie als Vorsitzender des Handelskammer-Industrie-Ausschusses die Situation?

Ulrich Möllers:

Der Hafen ist betroffen. Die Kupfer- und Aluminiumproduktion auch. Die gesamte Gesundheitsbranche allerdings, in der ja auch viele Industrieunternehmen tätig sind, reagiert stagnierend oder ganz leicht steigend. Es gibt sogar positive Ausreißer: Bode Chemie wächst derzeit zweistellig. Außerdem entwickeln sich zurzeit die Industriebereiche positiv, die an der Verbesserung des Umweltschutzes und der Optimierung von Produktionsabläufen mitarbeiten, etwa im Facility Management, wo es zum Beispiel um den Einbau energiesparender Heizungen geht. Das sind durch die Bank Mittelständler. Bei ihnen kann man nicht von Krise sprechen. Diesen Begriff hasse ich sowieso! Viele Mittelständler investieren gerade jetzt. Sie sind gut aufgestellt, mit einer Kapitaldecke von 30 bis 50 Prozent. Und der Aufschwung kommt! Was uns aber jetzt wie bisher wieder fehlt, sind gute, qualifizierte Arbeitskräfte.

Abendblatt:

In vielen Firmen wird zurzeit Kurzarbeit gemacht.

Möllers:

Das ist vorübergehend. Selbst die Firmen, die derzeit einen Dämpfer bekommen, werden bald wieder anziehen. Ich habe bei meinen Kollegen im Industrie-Ausschuss nachgefragt: Sie alle halten ihre qualifizierten Arbeitskräfte. Wen sie entlassen - und das macht Sinn - das sind Leiharbeitskräfte, die die Industrie beschäftigt, um Produktionsschwankungen zu bewältigen.

Abendblatt:

Warum ist es schwierig, Mitarbeiter zu finden?

Möllers:

In der chemischen Industrie zum Beispiel, weil Chemie-Jobs gerade bei jungen Leuten noch den Ruf haben, "dreckig" zu sein. Was heute ja überhaupt nicht mehr stimmt! Deswegen nehmen wir auch an der "Langen Nacht der Industrie" teil. Wir wollen den Leuten zeigen: Industrie ist nicht das, was unangenehm riecht und Krach macht!

Abendblatt:

Und dort werben Sie auch neue Mitarbeiter?

Möllers:

Bei Bode steht das derzeit nicht im Fokus, aber bei vielen anderen Betrieben, die an der "Langen Nacht" teilnehmen, geht es auch darum, sich bei qualifizierten Kräften bekannt zu machen. Gerade jungen Leuten wollen wir zeigen: In der Industrie gibt es gute, dauerhafte Arbeitsplätze - und so sehen sie konkret aus. Wir haben Industrieunternehmen in Hamburg, die ihre Ausbildungsplätze nicht mehr besetzt bekommen. Es ist erschreckend, wie wenig manche Bewerber können und dass es eine Quote von etwa 20 Prozent gibt, die ganz einfach unwillig ist, sich in einer Ausbildung zu engagieren. Aber da muss ich auch den Hamburger Schulen einen Vorwurf machen: Sie stellen zu wenig Kontakte zur Industrie her und zeigen den Schülern nicht, welche Möglichkeiten sie in dieser Branche haben.

Abendblatt:

Welche Bewerber sollen sich von der "Langen Nacht" angesprochen fühlen - angehende Azubis und Ingenieure?

Möllers:

Nicht nur, wir wollen alle Arbeitnehmer ansprechen. Geeignete Leute können auch umgeschult werden. Es gibt viele Jobs für engagierte Leute ohne Ausbildung. In Stellingen hat etwa die Firma Reyher ihren Sitz, die Schrauben und Verbindungselemente herstellt. Solche Firmen brauchen neben Fachkräften auch angelernte Leute. Oder bei uns im Haus: Wir haben hier Mitarbeiter, die ganz ohne Ausbildung zu uns gekommen sind und heute einen hervorragenden Job als Chemiewerker oder in der Logistik machen. Solche Laufbahnen sind in Großkonzernen schwieriger.

Abendblatt:

Auch wenn Sie selbst nicht von einer "Krise" sprechen wollen, wird es ja überall getan. Hat dieses Schlechtreden Auswirkungen auf die Wirtschaft?

Möllers:

Natürlich. Wenn man negativ denkt, hat das negative Auswirkungen. Man muss die Situation anders begreifen. Mir selbst fällt das leicht, denn ich bin von Haus aus optimistisch. Natürlich gibt es mal eine Delle, aber man muss positiv denken. Und das auch den Mitarbeitern verdeutlichen und sie motivieren.

Abendblatt:

Wann endet die Delle?

Möllers:

Ich glaube, die tiefste Stelle ist bereits erreicht. Dabei schadet eine Delle generell ja nichts - wenn wir jetzt mal vom Hafen mit seinem Minus von 20 Prozent absehen. Aber eine Delle führt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Es kann nicht immer nur mehr, mehr, mehr geben. Natürlich werden einige Firmen am Ende des Jahres klagen, "Wir haben zehn Prozent weniger". Aber bitte - das ist doch auch in Ordnung! Muss es denn immer nur aufwärts gehen? Ich muss doch mein Unternehmen so führen, dass es auch Dellen verkraften kann. Der Mittelstand - der übrigens rund 60 Prozent der Hamburger Wirtschaft trägt - kann das. Er arbeitet zunächst einmal mit Leiharbeitskräften, wenn es aufwärts geht - und stockt die Kernmannschaft erst dann auf, wenn sich der Trend als tragfähig erwiesen hat. Ich muss doch nicht wie Großkonzerne riesige Abteilungen und große Bürokratie aufbauen. Darum trifft es die jetzt auch viel heftiger. Einige, die schnell gewachsen sind und exorbitant viel Geld verdient haben, aber ungesund waren und ohne Eigenkapital gewirtschaftet haben, brechen jetzt zusammen. Und ehrlich gesagt: Das geschieht denen auch recht, so führt man kein Unternehmen!