Die Expertin für Rhetorik erklärt, wie selbst dünne Stimmen auftrumpfen.

Abendblatt:

Zickenzoff im Büro - eine Kollegin attackiert die andere, indem sie ständig Anspielungen auf ihr Privatleben macht, etwa, dass sie abends ja wohl immer unterwegs sei. Wie reagiert die Attackierte?

Martina Cyriax:

Sie könnte darum bitten, dies zu unterlassen. Passiert das nicht, sollte sie es energischer einfordern: "Jetzt ist Schluss." Aber sie könnte auch ironisch reagieren.

Abendblatt:

Wir sprechen über Schlagfertigkeit: Was verstehen Sie darunter?

Cyriax:

Ich verwende lieber den Begriff "Replikfähigkeit" - das heißt Entgegnung, Erwiderung -, weil er mehr umfasst als die verbale Attacke.

Abendblatt:

Was genau?

Cyriax:

Zunächst sind es die sprachlichen Mittel. Man kann sich auf die sachliche und problemorientierte, humorvoll-ironische Ebene begeben oder auf die stoische, die ich die buddhistische nenne. Letztere signalisiert: Ich steh drüber, indem ich den Angriff nicht bewerte, ihn einfach überhöre. Zu schweigen ist kein Zeichen von Schwäche. Wichtig dabei ist, durch Körperhaltung und direkten Augenkontakt Stärke zu demonstrieren.

Abendblatt:

Hauptsächlich geht es aber doch um Reaktionsschnelligkeit, oder?

Cyriax:

Ja, aber genauso wichtig ist es, das Gegenüber mit einer unerwarteten Reaktion zu konfrontieren. Wer beleidigt, möchte ein bestimmtes Verhalten provozieren: Wut, Ärger oder Streit. Und genau das sollte man dem anderen nicht geben. Eine wirksame Strategie ist, Verhaltensmuster zu durchbrechen.

Abendblatt:

Gibt es Taktiken, um Zeit zu gewinnen?

Cyriax:

Natürlich. Man kann Gestik und Mimik einsetzen, Füllwörter bringen. Das Gehirn arbeitet in dieser Phase auf Hochtouren und bereitet eine Antwort vor.

Abendblatt:

Kann man Schlagfertigkeit erlernen?

Cyriax:

Man kann sie trainieren wie andere Fertigkeiten auch. Zunächst gilt es, die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden, die gedankliche Beweglichkeit zu steigern und die sprachliche Gewandtheit zu verbessern. Dabei helfen sprachliche Lockerungsübungen, zum Beispiel ein Assoziationstraining, ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn . . . ?

Abendblatt:

Welche Rolle spielt Schlagfertigkeit im Berufsleben?

Cyriax:

Sie ist eine Schlüsselqualifikation, weil sie einhergeht mit sprachlicher Gewandtheit, Lust am Reden und Kommunizieren, Kompetenz und Intelligenz.

Abendblatt:

Lust am Reden haben auch Plaudertaschen und Wichtigtuer. Wie bremst man deren Redefluss, zum Beispiel während einer Teamkonferenz?

Cyriax:

Man kann sie unterbrechen. Aber das autoritäre sprachliche Eingreifen erfordert Mut.

Abendblatt:

Und eine kräftige Stimme . . .

Cyriax:

Auch eine Fistelstimme lässt sich modulieren. Akzente können gesetzt, das Tempo verändert, Zischlaute messerscharf ausgesprochen werden.

Abendblatt:

Ansagen wie: "So haben wir das noch nie gemacht" dulden kaum Widerspruch.

Cyriax:

Das sind doch Killerphrasen. Da kann man ganz direkt kontern, zum Beispiel: "Achtung, Killerphrase!" oder "Dann gehen wir ab heute eben neue Wege."

Abendblatt:

Favorisieren Sie eine bestimmte Ebene?

Cyriax:

Im Berufsleben macht es Sinn, sachlich und zielorientiert vorzugehen, dabei aber eine gewisse Heiterkeit zu pflegen. Das fördert ein gutes Arbeitsklima.