Hafenstädte wollen voneinander profitieren. Doch die Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals sind ein gefährlicher Engpass für die Region.

Brunsbüttel. Punktgenau setzen die beiden Kräne eine Stahlröhre auf einen Schwerlastzug. Das Bauteil wiegt fast 30 Tonnen. Die Kranfahrer sind per Blickkontakt und über Funk miteinander verbunden und arbeiten synchron. Die Röhren, Naben und Maschinenhäuser am Elbehafen Brunsbüttel gehören zu einer Lieferung des Windturbinen-Herstellers Enercon. Eine Fuhre kam per Schiff aus einem Werk im schwedischen Malmö nach Brunsbüttel, eine andere über die Elbe aus Magdeburg. Von hier aus werden die Teile auf Schwerlastwagen zu den Standorten der neuen Windkraftwerke in Schleswig-Holstein gefahren.

"Das hier ist ein optimaler Ort, um Transporte von Seeschiffen, Binnenschiffen und Landfahrzeugen zusammenzuführen", sagt Frank Schnabel, 45, an der Kaikante des Hafens. Kalter Regen bläst ihm mit einem steifen Westwind ins Gesicht. Aber der Chef des Hafenbetreibers Brunsbüttel Ports wirkt zufrieden. Enercon, Deutschlands führender Hersteller von Windturbinen, ist ein Neukunde in Brunsbüttel. Und die Windkraft spielt eine wichtige Rolle in Schnabels Strategie für die Entwicklung der städtischen Häfen. "Wir würden hier gern einen Basishafen errichten, für den Nachschub zu den vielen geplanten Offshore-Windparks in der Nordsee", sagt Schnabel beim Blick über das weite Terrain.

Hafenallianz im Norden hilft allen

Östlich des Hafens an der Elbe liegt das abgeschaltete Atomkraftwerk Brunsbüttel, umgeben von Windturbinen. Dazwischen ist noch viel Platz für den Bau von Industrie und Hafenanlagen. "Hier könnte sich ein Hersteller von Offshore-Windturbinen ansiedeln und die Nähe zur Nordsee nutzen", sagt Schnabel. "Die deutschen Anlagenbauer haben sich Standorte für Basishäfen zwar schon in Bremerhaven und in Cuxhaven gesucht. Aber warum nicht um asiatische Unternehmen werben, die mittlerweile ebenso ins Geschäft mit der Windkraft drängen?"

Seit vier Jahren führt der Logistikmanager die drei Brunsbüttler Häfen, die zum Familienunternehmen Schramm Group gehören. Seither wuchs der Güterumschlag in der Stadt von rund acht auf etwa zehn Millionen Tonnen. Diese Menge will Schnabel in einiger Zeit noch einmal verdoppeln. "Wir möchten in eine Größenordnung mit Lübeck und Rostock kommen", sagt er im Verwaltungsgebäude des Hafens. Zwei der drei städtischen Häfen liegen im Nord-Ostsee-Kanal, sie versorgen Industriebetriebe und Raffinerien mit Nachschub und Rohstoffen. Der äußere Hafen arbeitet unabhängig von den Schleusen mit den Verkehrsströmen von Elbe und Nordsee. Und die Stadt hat reichlich Flächen zur Verfügung: Rund ein Viertel der 2000 Hektar Gewerbe- und Industriefläche von Brunsbüttel stehe noch frei, sagt Schnabel.

Ramsauer: Hafenquerspange muss auf Warteliste

Eine Besonderheit kommt dem Manager bei seinen Plänen zugute: "Ich bin hier gleichzeitig Chef des Hafenbetreibers wie auch der Hafenverwaltung. Das ist so, als wäre ich in Hamburg Chef der HHLA und zugleich der Port Authority. Die Wege und Zeiten für Entscheidungen werden dadurch viel kürzer."

Kernpunkt seiner Planungen ist die Kooperation an der Unterelbe. Schnabel sucht mit den Brunsbütteler Häfen, vor allem mit dem Elbehafen direkt am Strom, den engen Schulterschluss mit Hamburg. Seit 2007 wird das Kupfererzkonzentrat für Europas größte Kupferhütte Aurubis in Brunsbüttel von Seeschiffen auf Binnenfrachter umgeladen. Von dort aus fahren nun Schiffe mit jeweils 3000 Tonnen Konzentrat zur Versorgung der Kupferhütte nach Hamburg. Mehr als 1,2 Millionen Tonnen im Jahr bringen sie elbaufwärts.

Auch die Versorgung des neuen Kraftwerks Moorburg mit Kohle sowie die Entsorgung von Reststoffen sollen künftig Mitarbeiter von Brunsbüttel Ports übernehmen. Zwar bringt das Schnabels Unternehmen nur Arbeit für rund zwei Dutzend Leute, weil die Kohle direkt per Seeschiff nach Hamburg gefahren wird. Aber der Auftrag schafft eine weitere Verbindung zwischen den beiden Hafenstädten und hat für den Manager deshalb Symbolkraft. Schnabel wirbt dafür, die Unterelbe gemeinsam zu vermarkten: "Warum werben wir international für die Unterelbe nicht gezielt als ,Ports of Hamburg'?"

Mehr Zusammenarbeit will auch die Hafenwirtschaft der Hansestadt: "In bestimmten Fragen ist eine Kooperation der Hafenverwaltungen gerade im Bereich der Unterelbe sinnvoll", sagt Gunther Bonz, Generalbevollmächtigter des Terminalbetreibers Eurogate und Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg. Die gemeinsame Nutzung von technischem Gerät wie Schleppern, mehr Abstimmung im Marketing oder in Logistik-Netzwerken könnten die ganze Region stärken.

Allerdings muss in Brunsbüttel ein Engpass beseitigt werden, der die Schifffahrt an der gesamten Unterelbe zu schwächen droht. Das jedoch liegt nicht in den Händen des Hafenmanagers Schnabel oder seiner Kollegen in Hamburg. Die beiden großen Schleusenkammern am Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel zehren von ihrer Substanz. Lange war ihre Sanierung vom Bund, der für den Kanal zuständig ist, vernachlässigt worden. Dieses Jahr sollen die mehrjährigen Bau- und Renovierungsarbeiten endlich beginnen.

Weitere Verzögerungen wären fatal, auch darin sind sich die Hafenmanager von Hamburg und Brunsbüttel einig: "Es wäre nicht auszudenken, was passieren würde, wenn alle Schleusen des Kanals gleichzeitig aus technischen Gründen außer Dienst gestellt werden müssten", sagt Bonz. Rund 20 bis 30 Prozent des Containerverkehrs in Hamburg - der Zubringerverkehr von der und in die Ostsee - laufen durch den Nord-Ostsee-Kanal. Auch für Brunsbüttel sind die Schleusen unverzichtbar, vor allem für die Häfen in der Kanalzone. "Der Zustand der beiden großen Schleusen ist sehr kritisch", sagt Schnabel. "Bei der Sanierung und beim Neubau darf keine Zeit verloren gehen."

Kalter Wind und Regen nehmen am Nachmittag noch zu. Der Frachter "Emsdollart" läuft als letztes von vier Schiffen in die nördliche der beiden großen Schleusenkammern ein. Dann schließt sich langsam das elbseitige Schiebetor, ohne zu quietschen oder zu schleifen. Von der Kaimauer aus lässt sich nicht wahrnehmen, wie marode die Anlagen sind. Aber Kay Egloff, 53, weiß es besser. Der Chefnautiker des Nord-Ostsee-Kanals freut sich, dass derzeit Schmuddelwetter oberhalb des Gefrierpunktes herrscht. "Zum Glück haben wir bis jetzt noch keinen Eisgang. Dann wird es noch schwieriger, die Schleusentore in Gang zu halten."

In der Verkehrszentrale zwischen den beiden großen Schleusenkammern erklärt Egloff die Anlage und ihre Gebrechen. Jeweils zwei große und zwei kleine Schleusen gibt es in Brunsbüttel und am anderen Ende des Kanals in Kiel-Holtenau. Besonders wichtig sind die großen Schleusen für Frachter und Passagierschiffe mit bis zu 230 Meter Länge und 32 Meter Breite. Und besonders kaputt sind die beiden großen Schleusen in Brunsbüttel direkt unterhalb von Egloffs Leitstand.

Die Brunsbüttler Schleusen sind öfter im Einsatz als die in Kiel, weil viele Schiffe nur bis in die Brunsbüttler Häfen fahren und dann wieder hinaus auf die Elbe. Gut elfmal täglich werden die 1500 Tonnen schweren Tore auf- und zugeschoben. Für eine Anlage, die zur Kaiserzeit im Jahr 1914 fertiggestellt und die seit Jahrzehnten nicht grundsaniert wurde, ist das eine echte Bürde. "Die Schienen und die Laufwerke für die Tore müssen erneuert werden", sagt Egloff. "Bei zwölf Meter Wassertiefe und null Sicht für Taucher dauert das allerdings seine Zeit."

Seit Jahren schon warnen Egloff und die Experten des Wasser- und Schifffahrtsamtes Brunsbüttel, dass die Schleusentore generalüberholt werden müssen. Doch die Mühlen der Politik mahlen langsam. Vor einigen Wochen erst gab der Haushaltsausschuss des Bundestages die nötigen Mittel endlich frei. Zwischen 2012 und 2016 sollen in Brunsbüttel 300 Millionen Euro verbaut werden. Die Mitte der Schleuseninsel wird geräumt, damit dort eine dritte große Schleusenkammer zur Entlastung gebaut werden kann.

Die Tore der beiden großen Schleusen aber halten bis 2016 nicht mehr durch. "2012 soll die südliche der beiden großen Schleusen für zwei bis drei Monate aus dem Verkehr genommen werden", sagt Egloff. Das kanalseitig gelegene Tor 6 an dieser Schleuse fährt schon jetzt im Ausnahmezustand. Es wird auf hölzernen Notkufen hin- und herbewegt, weil die Schienen für die Fahrgestelle des Tors teils aus ihren Betonfundamenten gebrochen sind.

Für die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt hat ein entscheidendes Jahr begonnen. Und damit auch für alle Häfen, die am Nord-Ostsee-Kanal hängen. Mit nur noch einer Schleuse für große Schiffe soll der Betrieb in Brunsbüttel in den kommenden Monaten gewährleistet werden. Technische Defekte oder betrunkene Kapitäne wären da höchst unwillkommen. "Da sollte möglichst nichts schiefgehen", sagt Egloff und blickt auf die Schiffe in der Schleuse. "Reserven haben wir nicht."