Mit dem MSC-Stempel für nachhaltigen Fang werden immer mehr Produkte ausgezeichnet. Doch Naturschützer halten die Kriterien für zu lasch.

Hamburg. Iglo-Fischstäbchen tragen es, Wildlachs der Hamburger Fischmanufaktur Friedrichs und sogar Garnelen des Discounters Aldi Süd: Das blau-weiße Siegel des Marine Stewardship Councils (MSC) soll Verbrauchern garantieren, dass der verwendete Fisch in diesen Produkten nachhaltig und umweltgerecht gefangen wurde. Genuss mit gutem Gewissen.

In den vergangenen Jahren hat sich das Siegel der Organisation immer weiter in Deutschland verbreitet. "Etwa 46 Prozent des wild gefangenen Fischs in Deutschland wurde im Geschäftsjahr 2010/2011 mit MSC-Siegel verkauft", sagt die Sprecherin der Organisation, Gerlinde Geltinger, dem Abendblatt. Im Vorjahr seien es gerade einmal 25 Prozent gewesen. Damit sei die Bundesrepublik der mit Abstand größte Markt für MSC-Produkte weltweit.

+++ Großer Schwund bei Thunfisch- und Makrelenbeständen +++

Durch die Verabredung von Quoten oder möglichst schonende Fangmethoden will der MSC dafür sorgen, dass die Gesundheit der Ökosysteme erhalten bleibt und die Fischbestände aufrechterhalten und nach Möglichkeit vergrößert werden. Der nachhaltige Boom lässt sich aus Sicht der Sprecherin vor allem mit dem gestiegenen Umweltbewusstsein der Verbraucher erklären: "Die Deutschen achten beim Einkauf immer stärker darauf, woher die Fische stammen und wie sie gefangen wurden", sagt Geltinger.

Daneben werde das Siegel von immer mehr Unternehmen aus Handel und Industrie unterstützt. Dies liege auch daran, dass eine wachsende Zahl an Fischereien zertifiziert werde und so die Auswahl und die zur Verfügung stehende Menge immer größer sei. Gerade erst hat der Fast-Food-Konzern McDonald's seinen Fischburger Fish-o-Filet auf nachhaltigen Fang umgestellt. Das Lidl-Schwesterunternehmen Kaufland wirbt mit großen Kampagnen für sein umfangreiches MSC-Sortiment, und die Edeka Regionalgesellschaft Minden-Hannover informierte jüngst an den Fischtheken über das Angebot.

3523 Produkte aus nachhaltigem Wildfang sind aktuell in Deutschland verfügbar, im vergangenen Jahr waren es noch knapp 2000. Fisch und Meeresfrüchte von 64 Arten aus 135 zertifizierten Fischereien werden mittlerweile angeboten. Weitere 133 Unternehmen oder Organisationen befinden sich derzeit weltweit im Zertifizierungsprozess.

Jüngster Neuzugang in Deutschland sind die 17 Kutter der Genossenschaft Küstenfischer Nord in Heiligenhafen. Die dortigen Fischer fangen Dorsch in der östlichen Ostsee, wo sich der Bestand seit 2005 deutlich erholt hat. "Damit das so bleibt, verlängern wir freiwillig den offiziellen Fangstopp im Juli und August jährlich um zwei Monate", sagt Geschäftsführer Ulrich Elsner. So wolle man dem Fisch mehr Zeit zum Laichen geben, um die Nachwuchsproduktion nachhaltig zu verbessern.

Also alles eine gewaltige Erfolgsgeschichte? Nur bedingt. Nach Einschätzung der Umweltorganisation Greenpeace sind manche der Kriterien des MSC zu lasch, um tatsächlich einen umweltgerechten Fischfang gewährleisten zu können. "Das MSC-Siegel erlaubt beispielsweise den Einsatz von Grundschleppnetzen, die den Meeresboden aufwühlen und das betroffene Ökosystem schädigen können", sagt der Meeresexperte der Organisation, Sebastian Buschmann, dem Abendblatt.

Problematisch sei auch die Zertifizierung von großen, industriellen Fischereien, die sich beispielsweise auf den Alaska-Seelachs spezialisiert haben. So hat der MSC etwa die US-Fischerei in der Beringsee als nachhaltig eingestuft, die mithilfe von Schleppnetzen auf riesigen Trawlern den beliebtesten Speisefisch der Deutschen aus dem Meer holen. Die Fangmenge liegt bei einer Million Tonnen jährlich.

Kritik an dem Gütesiegel für die Industriefischer kam im vergangenen Jahr auch von einer Gruppe um die kanadischen Meeresforscher Jennifer Jacquet und Daniel Pauly. Die Fischerei in der Beringsee sei zertifiziert worden, obwohl die Menge der geschlechtsreifen Fische zwischen 2004 und 2009 um 64 Prozent gesunken sei, schreiben die Forscher im Fachblatt "Nature". Generell bemängeln die Wissenschaftler, dass sich der MSC zuletzt in die falsche Richtung entwickelt habe. "Wir glauben, dass die Marktimpulse dazu geführt haben, dass sich der MSC von seinen ursprünglichen Zielen entfernt hat", monieren die Forscher. Immer mehr große, kapitalintensive Unternehmen würden unterstützt, während kleine Fischereien nur in geringem Umfang zertifiziert würden.

Die Umweltorganisation WWF, die den MSC im Jahr 1997 zusammen mit dem Lebensmittelkonzern Unilever gründete und weiterhin berät, verteidigt hingegen die Zertifizierung auch großer Betriebe. "Die Alaska-Seelachs-Fischerei gehört zu den am besten gemanagten weltweit", sagt Fischerei-Expertin Catherine Zucco. Die Bestände in der Beringsee hätten sich im vergangenen Jahr nach jetzigem Kenntnisstand wieder leicht erholen können. Die Einstufung als nachhaltig sei daher vertretbar. "Allerdings ist aus unserer Sicht der Beifang an Königslachs immer noch zu hoch", so Zucco. Hier müsse nachgebessert werden. Generell hält Zucco den MSC für ein gutes Instrument, um Verbesserungen auf freiwilliger Basis zu erreichen. Das Siegel biete Verbrauchern eine verlässliche Orientierung beim Fischeinkauf.

MSC-Sprecherin Geltinger verweist auf bisherige Erfolge des Programms. So nehme das Gesamtvorkommen von Alaska-Seelachs im Golf von Alaska seit der Zertifizierung der dortigen Fischerei wieder zu. Bei südafrikanischem Seehecht sei es gelungen, die Beifangrate an Albatrossen um 80 Prozent zu reduzieren. Und die Bestände von neuseeländischem Seehecht (Hoki) hätten sich erholt, nachdem die Fangquote gesenkt worden sei.