Der Umsatz der Discounter Aldi und Co. geht trotz der schlechten wirtschaftlichen Zeit zurück. Die Zahl der Filialen wächst dennoch weiter an.

Hamburg. Ein Nachtsichtgerät für 77 Euro sollte die Kunden in die neue Filiale locken. Außerdem Orangensaft, Kekse und Katzenfutter bis zu 50 Prozent reduziert. Mit solchen großflächig beworbenen Rabattaktionen öffnete der jüngste Lidl-Markt gerade in Osdorf seine Türen - und stimmte die Kunden darauf ein, womit sie im deutschen Lebensmitteleinzelhandel rechnen können: Preisnachlässe an allen Fronten. Und ständig neue Filialen von Billigsupermärkten.

Das heißt aber nicht, dass auch immer mehr Kunden in diesen Läden einkaufen. Im Gegenteil: Berechnungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zufolge ist der Marktanteil der Lebensmitteldiscounter in den ersten vier Monaten dieses Jahres gesunken - eine neue Erfahrung für die erfolgsverwöhnten Billighändler, die sich im vergangenen Jahrzehnt von 30 auf 44 Prozent Marktanteil hochgearbeitet hatten. Ihre Umsätze schrumpften zwischen Januar und April um ein Prozent, während Vollsortimenter wie Edeka oder Rewe um denselben Wert zulegen konnten. Auch kauften die Verbraucher nach GfK-Angaben nicht häufiger bei den Discountern ein.

Für die Marktforscher ist das eine überraschende Entwicklung: "In wirtschaftlich schlechten Zeiten gewannen sonst eher die Discountketten", sagt GfK-Experte Wolfgang Adlwarth. "Das war im Krisenjahr 2009 und auch in diesem Jahr ganz anders." Nur der Branchenzweite Lidl konnte sich gegen diesen negativen Trend stemmen und zwischen Januar und April wachsen.

Dazu haben nicht nur der Expansionskurs und die stärkere Imagepflege über Werbung beigetragen: "Lidl hat vom gestiegenen Umsatz mit Markenartikeln profitiert", sagt Adlwarth. "Es gibt eine kleine Trendwende hin zu Markenware - das begünstigt auch Vollsortimenter wie Edeka und Rewe." Einen Grund sieht der Marktforscher darin, dass die Discounter unter einem Vertrauensverlust nach Schlagzeilen um Lebensmittelskandale und schlechte Arbeitsbedingungen leiden. "Bekannte Marken können das Vertrauen der Verbraucher wecken." Dass Aldi nach GfK-Zahlen in den ersten vier Monaten knapp vier Prozent Umsatz einbüßte, könnte also auch daran liegen, dass der Marktführer sein Sortiment zu immerhin 95 Prozent mit Eigenmarken bestückt.

Ein weiterer Grund für den Umsatzschwund sind die monatlichen Preissenkungen, mit denen sich die Discounter seit eineinhalb Jahren gegenseitig überziehen. Vor allem Grundnahrungsmittel wie Milch, Reis, Öle und Fleisch sind dank gesunkener Rohstoffpreise billiger geworden, im Mai folgten Drogerieartikel und Zutaten für den sommerlichen Grillabend.

Während die Verbraucher sich über günstigeres Einkaufen freuen, ächzen die Erzeuger unter dem Preisdruck. "Wir spüren die Auswirkungen der Preissenkungen stark", sagt Heinz Behrmann, Präsident des Hamburger Bauernverbands. Beispiel Grillfleisch: "Die Bauern haben gehofft, dass sie viel verkaufen können, wenn die Grillsaison endlich beginnt - und nun wurden ausgerechnet für Fleisch die Preise gesenkt." Behrmann geht davon aus, dass die Schlachtereien innerhalb weniger Wochen dementsprechend ihre Auszahlungspreise senken werden. "Die Discounter missbrauchen ihre Marktmacht", kritisiert der Hamburger.

Ein Ende der Preissenkungswellen ist aber trotz der Umsatzrückgänge nicht in Sicht. "Die Verbraucher sind zwar weniger preisfixiert als früher", heißt es bei der GfK. "Aber der Handel traut dem Braten nicht: Der Preiskampf geht weiter." Davon geht auch Branchenkenner Matthias Queck vom Marktforschungsunternehmen Planet Retail aus. "Bei einigen Warengruppen gibt es noch Spielraum nach unten", prognostiziert er. Das muss den Gewinn der Ketten aber keineswegs schmälern: Der Preisverfall ist laut Queck nicht so dramatisch, wie es den Anschein hat. Viele Preise seien jetzt erst wieder auf das Niveau gesunken, das sie vor dem Rohstoffhoch im Jahr 2008 hatten.

So haben die Discounter finanziell immer noch reichlich Spielraum, um sich in der deutschen Einkaufslandschaft räumlich auszubreiten. "Hierzulande können die Discounter nur noch über Verdrängung wachsen", sagt Queck. "Das geht seit vielen Jahren so - und absurderweise ist kein Ende absehbar." Der Konkurrenzkampf unter den Discountketten ist seit 2009 ohnehin auf hohem Niveau: Damals übernahm die Edeka-Tochter Netto rund 2400 Plus-Filialen, wurde so schlagartig zum Branchendritten und setzt mit der neuen Einkaufsmacht die Platzhirsche Aldi und Lidl unter Druck.

Das soll auch zukünftig so bleiben. Netto, mittlerweile 3900 Märkte stark, will 2010 und 2011 bundesweit je 300 neue Läden eröffnen. In Hamburg sollen in diesem Jahr zu den bestehenden 36 Filialen noch je eine in Volksdorf, Barmbek und Osdorf hinzukommen. Mindestens. "Die Expansion ist ein kontinuierlicher Prozess", sagt Netto-Sprecherin Christina Stylianou.

Nur für Marktführer Aldi sei der deutsche Markt mit rund 4400 Filialen so gut wie gesättigt, sagt Queck. "Bei anderen Ketten gibt es aber durchaus noch Potenzial." So will auch die Rewe-Tochter Penny mit ihren 2400 Märkten nicht ins Hintertreffen geraten und wächst. Und die Lidl-Filiale in Osdorf war nicht die erste Hamburger Neueröffnung der Kette in diesem Jahr - und erst recht nicht die letzte: Branchenkreisen zufolge will Lidl sein deutsches Filialnetz von 3200 auf 4000 Läden ausweiten.

Sowohl das starke Wachstum als auch der harsche Wettbewerb sind in Europa ein einzigartiges Phänomen. "Deutschland ist das Heimatland der Lebensmitteldiscounter", sagt Adlwarth. "Hier gibt es mit Abstand den höchsten Marktanteil." Weit abgeschlagene folgen die Discounter in Österreicher, die 25 Prozent der Gesamtumsätze mit Lebensmitteln erzielen. In Osteuropa hingegen funktioniert das Modell noch gar nicht.

Auch die Italiener, Franzosen und Spanier lieben ihre gigantischen Vollsortimenter viel zu sehr. Hier kann der Discount nach GfK-Angaben nur Marktanteile von je elf Prozent erzielen. In England liegt der Anteil bei niedrigen fünf Prozent - Aldi und Lidl arbeiten allerdings kräftig daran, dass das nicht so bleibt.