289 Hamburger Firmen unterhalten bereits Wirtschaftsbeziehungen mit dem neuen Euro-Staat hinter Polen. Einen Direktflug gibt es aber noch nicht. Auch der Tatort hat es bereits nach Litauen geschafft.

Hamburg. Regelmäßig im Herbst fährt KTG Agrar auf den Fähren groß auf. Schlüsselgeräte für die Ernte lässt das Hamburger Landwirtschaftsunternehmen gen Osten verschiffen. Beispielsweise werden große Mähdrescher erst in Deutschland und ab September oder Oktober in der Baltenrepublik eingesetzt. „Wenn hier die Ernte beendet ist, beginnt sie in Litauen“, sagt Pressesprecher Fabian Lorenz. Bereits seit 2005 ist das börsennotierte Unternehmen in der einstigen Sowjetrepublik aktiv. Mit 8000 Hektar liegen ein Fünftel aller von KTG Agrar bewirtschafteten Flächen in dem Staat, der sich nun als 19. Land der Gemeinschaftswährung Euro anschließt.

Die Einführung des Euro erleichtere die Handelsbeziehungen zwischen Litauen und den Ländern des Euro-Raums zusätzlich, sagt Stefan Matz, Bereichsleiter Internationale Unternehmen bei der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF). „Dadurch ergeben sich nicht nur für Hamburger Unternehmen mit ihren traditionell guten Beziehungen in die Ostseeregion neue Chancen.“ Derzeit unterhalten laut Handelskammer 289 Hamburger Firmen nach eigenen Angaben Wirtschaftsbeziehungen nach Litauen. 184 Unternehmen wie der Chemiehändler Helm und der Paraffinwachsspezialist Sasol Wax exportieren in das Land. 76 Firmen importieren Güter. Eine Niederlassung oder Produktionsstätte in Litauen haben der Kammer zwölf Unternehmen aus der Hansestadt gemeldet, darunter Logistikunternehmen wie Göllner und Damco sowie der Gabelstaplerbauer Jungheinrich.

Bei KTG Agrar bauen rund 100 Mitarbeiter an den drei Standorten Raseiniai, Pauliali und Mazeikiai in Bioqualität hauptsächlich Mais, aber auch andere Getreidesorten an. „Wir sind dort in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen und sind sehr zufrieden mit der Entwicklung“, sagt Pressesprecher Lorenz. Für das Land sprächen eine Reihe von Vorzügen: Die Bodenqualität sei die gleiche wie in Deutschland. Viele Litauer würden gut Deutsch sprechen und hätten eine hervorragende Ausbildung. Mit Klaipeda gebe es einen ganzjährig eisfreien Hafen, über den die Ernte beispielsweise auch nach Großbritannien und Skandinavien verschifft werden könnte. Für das Tagesgeschäft erwartet Lorenz keine großen Veränderungen durch den Euro-Beitritt, weil die Rechtsgrundlage seit dem EU-Beitritt 2004 stabil sei. Aber für die Litauer selbst sei es psychologisch wichtig, weil der letzte Baustein der EU-Mitgliedschaft komplettiert werde.

Erzeugnisse aus der Landwirtschaft und der Jagd, Nahrungs- und Futtermittel sowie Tabakerzeugnisse gehören zu den Gütern, die Hamburg am meisten aus Litauen einführt. Im Jahr 2013 wurden Waren aus diesen Bereichen für insgesamt rund 49 Millionen Euro importiert. Am stärksten nachgefragt wurden Kokerei- und Mineralölerzeugnisse für rund 62 Millionen Euro. Insgesamt hat sich die Einfuhr seit 2002 auf 170 Millionen Euro mehr als vervierfacht, 2012 lag der Wert der Importe mit 277 Millionen Euro aber deutlich höher. Umgekehrt ist der Warenstrom deutlich geringer. Aus Hamburg wurden nur für 51,5 Millionen Euro Waren nach Litauen exportiert. Das ist im Vergleich zu 2002 ein Plus von 33 Prozent. Aber auch in diesem Bereich gab es im Vergleich zum Jahr 2012 einen Einbruch um knapp sieben Prozent. Ausgeführt werden vor allem Nahrungs- und Futtermittel (14 Millionen Euro), chemische Erzeugnisse (9,3 Millionen Euro), Kokerei- und Mineralölerzeugnisse (7,1 Millionen Euro), Autos und Kraftwagenteile (4,6 Millionen Euro) sowie Maschinen (3,5 Millionen Euro).

Litauen entdeckten im vergangenen Jahr weitere Hamburger Firmen als attraktiven Markt. Der Windturbinenhersteller Nordex meldete im September erste Aufträge aus dem Land. Einer Bestellung von Anlagen mit einer Leistung von 24 Megawatt folgte zwei Monate später der nächste Auftrag über 19 Anlagen mit 45 Megawatt. Gemäß einer Faustformel dürfte der Wert beider Order zusammen bei rund 70 Millionen Euro liegen. Die TecDAX-Gesellschaft erhielt zudem für 15 Jahre den Servicevertrag.

Studio Hamburg meldete im Oktober den Verkauf von zehn „Tatort“-Folgen mit den Kieler Kommissaren Klaus Borowski (gespielt von Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) an den litauischen Privatsender LNK. Der öffentlich-rechtliche Sender LRT sicherte sich die Senderechte für alle 52 Folgen von „Der Dicke“ mit dem (mittlerweile gestorbenen) Schauspieler Dieter Pfaff als Anwalt Gregor Ehrenberg.

Bei der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung erwartet Bereichsleiter Matz, dass die Metropolregion für litauische Unternehmen durch den Euro-Beitritt attraktiver wird. Insbesondere für die exportorientierten Branchen in Litauen verbessere sich der Zugang zu den etablierten europäischen Märkten, sagt Matz: „Für diesen Marktzugang bietet Hamburg litauischen Unternehmen, als zentrale Drehscheibe für den Handel der baltischen Staaten mit anderen Ländern Europas und großen Teilen der Welt, die optimalen Voraussetzungen.“

Estland, Lettland und Litauen eng verbunden mit Hamburg

Im Hamburger Hafen ist nach dem Einbruch durch die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 der Umschlag mit den drei Baltenstaaten insgesamt wieder stark gewachsen. Von gut 100.000 Standardcontainern stieg der Warenaustausch mit Estland, Lettland und Litauen im Jahr 2013 auf circa 280.000 Container an. Sechs Reedereien, darunter auch die Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd, unterhalten mit der litauischen Hafenstadt Klaipeda Verbindungen mit Feederschiffen, die als Zubringer zwischen Seehäfen und kleineren Küstenstädten verkehren. Die Oetker-Tochter Hamburg Süd unterhält ein Büro in Klaipeda.

Direkte Verbindungen vom Flughafen in Fuhlsbüttel nach Litauen gibt es nicht. Die Hauptstadt Vilnius ist nur mit einmaligem Umsteigen zu erreichen. Die skandinavische Airline SAS macht in Kopenhagen einen Zwischenstopp, die polnische LOT in Warschau und die lettische Air Baltic in Riga. Entsprechend sind die Passagiere für die Strecke von 1000 Kilometern Luftlinie laut Flugplan mit mindestens drei Stunden und zehn Minuten recht lange unterwegs. Für 98 Euro können sich Reisefreudige auch mit dem Fernbus von Eurolines in Richtung Osten auf den Weg machen. Nach 23 Stunden und 50 Minuten und dem Umsteigen in Berlin und Kaunas sollen die Fahrgäste am Ziel sein.

Wer nur einen kulinarischen Eindruck von Litauen erhalten möchte, kann das einfacher und schneller haben: An der S-Bahn-Haltestelle Reeperbahn aussteigen, in die Hein-Hoyer-Straße einbiegen und die Teigtasche aufsuchen. Das Restaurant rühmt sich als „einzige litauische Küche in Deutschland“. Als Vorspeise gibt es beispielsweise Brotchips litauischer Art mit Schmelzkäsedip für 1,90 Euro. Eine kalte Rote-Beete-Suppe mit Kartoffeln kostet 7,50 Euro. Das Memel-Schnitzel gibt es für 18,90 Euro. Und sowohl als Vor- und Hauptspeise gibt es natürlich den Namensgeber der Gaststätte: Teigtaschen in verschiedenen Variationen – zum Beispiel gefüllt mit Kartoffeln und Speck für 11,90 Euro.