Die Bundesregierung will mit finanzieller Förderung deutschen Unternehmenden Zugang in die digitale Welt erleichtern. Das kündigten Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem IT-Gipfel in Hamburg an

Jens Meier hat im rasanten Takt des Tages nur ein paar Sätze Zeit, um der Bundeskanzlerin zu erklären, warum der Hamburger Hafen sogar „intelligent“ ist. Also legt der Chef der Hamburg Port Authority gleich los und fährt mit seinem Zeigefinger über das tischfußballgroße Modell eines Terminals im Hafen, mit kleinen Containerschiffen, mit einer Brücke und Verladekränen. „Der Kapitän auf dem Schiff weiß durch die Übertragung der Daten, wann die Hubbrücke für sein Schiff hochgefahren wird.“ Und auch der Lkw-Fahrer erfahre gleich, wie lange er an dieser Brücke warten müsse.

Ein Lagebild vom Verkehr im Hafen, in Echtzeit, alles digital. Jeder wisse, wann er wie lange im Stau stehe, schwärmt Geschäftsführer Meier. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nickt und sagt, dass sie das „ganz spannend“ finde. Da habe man ja ein neues Berufsbild. „Den multivalenten Lotsen“, sagt Merkel. Ein Lächeln, ein Foto mit Meier, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Bürgermeister Olaf Scholz (beide SPD). Und weiter, zum Mittagessen.

Meiers Tischmodell ist eine der vielen symbolkräftigen Szenen auf dem achten nationalen IT-Gipfel am Dienstag in der Handelskammer. 800 Vertreter der IT-Branche sind nach Hamburg gekommen und sechs Ministerinnen und Minister aus dem Bundeskabinett der Regierung von Union und SPD. Und die Kanzlerin. Die Politiker wollen vor allem zeigen: Wir haben verstanden, wir nehmen die Digitalisierung ernst. Kaum eine der Dutzenden Reden und Debatten ohne Schlagworte wie „Industrie 4.0“, „digitale Intelligenz“, aber auch „Datensicherheit“ und „Selbstbestimmung im Netz“.

Ja zu starken Industrieunternehmen – aber mit mehr Innovationen

Eine der wichtigsten Botschaften: Die Bundesregierung will die Entwicklung von internetbasierten Dienstleistungen in Deutschland künftig finanziell fördern. Gabriel kündigte an, das Zukunftsprojekt „Smart Service Welt“ mit 50 Millionen Euro zu unterstützen. Smart Services entstehen, wenn vernetzte Produkte auch nach dem Verkauf noch Kontakt zum Hersteller halten können, sodass die Wertschöpfung rund um die gefertigte Ware nicht am Werkstor endet. Zusätzliche Einnahmequellen entstehen dabei etwa durch vorausschauende Wartung.

„Wir haben uns zum Glück nicht von unserer Old Economy verabschiedet“, sagte Gabriel mit Blick auf starke Branchen wie Auto- oder Maschinenbau. Während andere Länder re-industrialisiert werden müssten, weil sie sich fast ausschließlich auf die Finanzwirtschaft konzentrierten, habe sich Deutschland starke Industrieunternehmen bewahrt. Diese müssten aber Innovationen in ihre Arbeit integrieren. Mit Sorge habe er in einer aktuellen Studie gelesen, dass viele kleinere Firmen offenbar den Anschluss verpassen: 70 Prozent der deutschen Mittelständler gaben an, sich nicht mit der Digitalisierung zu beschäftigen.

Um eine bessere Basis für digitale Innovationen zu schaffen, kündigte die Bundesregierung auf dem Gipfel eine Reihe von Maßnahmen an. Die Kanzlerin versprach, die Finanzierungsbedingungen für Start-ups zu verbessern. Gleichzeitig forderte sie die Wirtschaft auf, ein Wagnis einzugehen. Es könne sein, dass die staatlichen Anreize nicht ausreichen. „Auch im Silicon Valley geht es ohne Risiko nicht“, sagte Merkel über die Hochburg der Internetszene.

Gabriel bekräftigte, die Regierung wolle ein neues Börsensegment für die Finanzierung von Start-ups einrichten. Bei der „Börse 2.0“ müssten allerdings die Lehren aus dem Zusammenbruch des Neuen Marktes berücksichtigt werden. Es gebe bereits Gespräche mit der Deutschen Börse. Einen Zeitplan für die Einrichtung eines neuen Finanzmarktplatzes für Start-ups konnte Gabriel allerdings nicht nennen.

Bis 2017 werde die Regierung, wie angekündigt, fast eine halbe Milliarde Euro für die Digitalwirtschaft bereitstellen. Auch Telekom-Chef Timotheus Höttges mahnte die Wirtschaft, nicht den Anschluss zu verpassen: „Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir in Europa verloren.“ Neben SAP existiere kein nennenswertes deutsches Softwareunternehmen mehr, außerdem sei die Kompetenz bei digitalen Endgeräten in andere Länder gewandert.

Die Regierung reagiert auch auf den Erfolg von weltweiten Vorreitern wie Amazon und Google, die mit leicht bedienbaren Diensten punkten. BMW-Entwicklungschef Elmar Frickenstein bestätigte, dass der Automobilbau vor einem der größten Paradigmenwechsel seiner Geschichte stehe. Er sei nach Hamburg zum IT-Gipfel gereist und nicht nach Berlin zum Maschinenbaugipfel: Themen wie vernetzte Automobile und autonomes Fahren bestimmten heute die Innovationsführerschaft.