Es geht nicht nur ums Geld, sondern auch um Machtkämpfe zwischen Gewerkschaften

Hamburg. Wer in Deutschland in den nächsten Wochen mit dem Zug oder Flugzeug unterwegs sein will, dem droht Stillstand. Im Gleichschritt sind die Tarifkonflikte bei der Deutschen Bahn und Lufthansa eskaliert. Die Spartengewerkschaften der Lokführer und Piloten rufen zu Arbeitskämpfen auf, unter denen vor allem die Passagiere leiden werden. Die Streitthemen sind dabei so kompliziert, dass mit schnellen Lösungen nicht zu rechnen ist.

Vordergründig geht es bei den Lufthansa-Streiks um die komfortablen Übergangsrenten von rund 5400 Piloten, die nach dem Willen des Unternehmens langfristig erst drei Jahre später in den Vorruhestand gehen sollen. Offen sind aber auch die Gehaltsverhandlungen, die Betriebsrenten und weitere komplexe Tarifthemen, über denen dann noch der geplante Konzernumbau schwebt. Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) würde nur allzu gern eine weitere konzerninterne Billigfluglinie verhindern, mit der Lufthansa-Chef Carsten Spohr wettbewerbsfähig bleiben will. Drei Verhandlungsabbrüche und bislang vier Streikwellen lassen die Härte der Auseinandersetzung auf beiden Seiten erahnen.

Im Herbst stellt Ministerin Nahles den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vor

Auch bei der Bahn scheint ein neuer, nach zwei Warnstreiks regulärer Ausstand der Lokführer unausweichlich. Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber – eigentlich die Besonnenheit in Person – zürnte noch am Tag nach den gescheiterten Verhandlungen: „haarsträubend“, „irrational“, „ehrverletzend“ und ohne „intellektuelle Auseinandersetzung“ – wer die Strategie seines Gegenübers so beschreibt, hat keine Hoffnung mehr. Neue Angebote? „Da fällt mir nichts mehr ein“, sagte Weber.

Nicht allein das Geld macht die Verhandlungen hier so vertrackt. Dreh- und Angelpunkt ist die Tarifeinheit. Die kleine Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und die große Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) wollen Berufsgruppen mitvertreten, für die bislang die jeweils andere verhandelt hat. Die GDL will auch für Zubegleiter, Gastronomen in Speisewagen, Lokrangierführer, Trainer und Zugdisponenten abschließen, die EVG wieder für Lokführer. Die Bahn will aber keine unterschiedlichen Tarifverträge in derselben Berufsgruppe.

Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat 123 Tarifkonflikte seit dem Jahr 2000 auf ihre Intensität untersucht. Verschiedene Merkmale wie Drohungen, Urabstimmungen oder tatsächliche Streiks wurden dabei gewichtet und aufaddiert. Leschs Ergebnis ist eindeutig: Wo mehrere Gewerkschaften im Wettstreit miteinander stehen, eskalieren die Verhandlungen weit häufiger als in Branchen, in denen nur eine Einheitsgewerkschaft tätig ist. Am heftigsten ging es laut IW in den Bereichen der etablierten Spartengewerkschaften zu: Schienenverkehr, Krankenhäuser, Flugsicherung und Luftfahrt. Nahezu konfliktfrei blieben hingegen Bau, Banken oder die Chemieindustrie.

Die Lufthansa – im eigenen Haus mit drei Tarifpartnern für verschiedene Berufe konfrontiert – sieht sich zusätzlich als Opfer aggressiver Strategien der Fluglotsengewerkschaft wie auch der eigentlich dem Einheitsgedanken verpflichteten DGB-Gewerkschaft Ver.di. Letztere organisiert nämlich ihre Arbeitskämpfe bei wichtigen Dienstleistern der Luftfahrt dort, wo es am meisten wehtut: an den Flughäfen. Schon mehrfach hat das Bodenpersonal Airports lahmgelegt. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) steht unter großem Erwartungsdruck, wenn sie im Herbst den geplanten Gesetzesentwurf zur Tarifeinheit vorstellt. Die Ausgestaltung der verfassungsrechtlich heiklen Materie ist noch nicht bekannt – doch mit Widerstand auch der GDL und VC ist zu rechnen, sollten sie ihre Rechte beschränkt sehen.