Industriechef Michael Westhagemann über die nächste Bürgerschaftswahl, eine Agenda 2020 und Olympia an der Elbe

Hamburg. Seit 2011 steht Michael Westhagemann dem Industrieverband Hamburg (IVH) vor. Der gebürtige Münsterländer lebt und arbeitet mehr als zehn Jahre in Hamburg und leitet von hier aus die norddeutsche Sektion des Siemens-Konzerns. Das Abendblatt sprach mit dem 57-Jährigen über seine drei Jahre als Hamburgs Industriechef, die Arbeit von Bürgermeister Olaf Scholz und den Zustand der Infrastruktur in der Metropolregion.

Hamburger Abendblatt:

Herr Westhagemann, Sie sind jetzt seit genau drei Jahren Chef des Industrieverbands Hamburg. Was waren die größten Herausforderungen in dieser Zeit?

Michael Westhagemann:

Da gab es eine Menge an Themen. Unter anderem den Netzerückkauf, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, den neuen Masterplan Industrie, den Hafenentwicklungsplan und aktuell die nicht immer einfache Verkehrssituation.

Wie beurteilen Sie die Arbeit von Verkehrssenator Frank Horch?

Westhagemann:

Frank Horch hat in den vergangenen Jahren viel Kritik als Verkehrssenator einstecken müssen. Ich möchte ihn aber ausdrücklich in Schutz nehmen. Insgesamt hat er einen sehr guten Job gemacht. Man hätte ihm vielleicht früher als geschehen jemanden in Sachen Verkehrspolitik an die Seite stellen müssen. Anfangs hat der SPD-Senat das Thema Verkehr wohl ein wenig unterschätzt. Keine Frage: Heute gibt es auf den Straßen zu viele Baustellen auf einmal, was man aber nicht dem amtierenden Senator ankreiden kann. Da ist bereits vor der Wahl der aktuellen Regierung eine Menge versäumt worden.

Der Industrieverband hat sich klar gegen den Rückkauf der Energienetze ausgesprochen. Die Hamburger haben anders entschieden. Ihre schmerzlichste Niederlage?

Westhagemann:

Sicherlich war das eine Niederlage – auch für den IVH. Allerdings sollte man die Initiatoren des Volksentscheids für den Netzerückkauf heute mal fragen, ob sie ihre verfolgten Ziele tatsächlich erreicht haben. Schließlich wollten sie eine sozial gerechtere und klimaverträgliche Energieversorgung. Davon merke ich nichts. Ich sehe nur die finanziellen Mehrbelastungen für die Stadt, die weniger Spielraum für sinnvolle Investitionen lassen. Allein für die Erneuerung der IT muss die Stadt 50 Millionen Euro aufwenden. Hinzu kommen jährliche Zinsen von 13 Millionen Euro für den Kredit zum Rückkauf der Netze. Und Hamburg muss rund 1000 Beschäftigte von Vattenfall übernehmen und weitere werden folgen. Hier kommen zusätzliche Kosten auf die Stadt zu. Hatten das die Initiatoren des Volksentscheids den Hamburgern versprochen?

Hat man den bisherigen Netzbetreiber Vattenfall mit diesem Volksentscheid aus Ihrer Sicht verprellt?

Westhagemann:

Auf jeden Fall dürfte diese Entscheidung bei Vattenfall nicht gut angekommen sein. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Vattenfall noch große zusätzliche Investitionen in Hamburg tätigen wird.

Hat der Volksentscheid auch andere Unternehmen abgeschreckt, in Hamburg zu investieren?

Westhagemann:

Nein, das denke ich in der Summe nicht. Der Standort Hamburg ist weiterhin sehr attraktiv für Investoren. Politik und Wirtschaft sollten sich nur immer wieder die Frage stellen, was müssen wir gemeinsam tun, um den Standort noch attraktiver zu machen.

Was muss denn künftig genau getan werden?

Westhagemann:

Wir sollten nicht nur auf das Hier und Heute schauen, sondern mittelfristig planen. Deshalb schlage ich eine Agenda 2020 vor.

Was heißt das konkret?

Westhagemann:

Wir brauchen mehr Exzellenz an den Hamburger Hochschulen, dürfen uns nicht mit Mittelmaß zufrieden geben. Die Hamburger Wirtschaft benötigt ausreichend Flächen, um zu expandieren. Dazu gehört selbstverständlich eine gute Infrastruktur. Hinzu kommt eine Umweltgesetzgebung, die nicht länger überzogen, sondern mit Augenmaß erfolgt. Und last but not least muss es in der Öffentlichkeit eine größere Akzeptanz gegenüber der Industrie geben.

Vermissen Sie diese Akzeptanz?

Westhagemann:

Ja. Jeder, der unter den Schlagworten Umwelt und Natur agiert, ist hierzulande der Gute. Derjenige, der sich für die Industrie starkmacht, wird dagegen argwöhnisch beäugt und muss sich für sein Handeln rechtfertigen. Dabei sorgt letztlich eine florierende Wirtschaft mit einer starken Industrie für wachsenden Wohlstand, den wir uns alle wünschen. Ohnehin halte ich es für problematisch, dass Einzelpersonen wie der Chef des BUND in Hamburg, Manfred Braasch, und Manfred Brandt von „Mehr Demokratie“ mit Klagen wie gegen die Elbvertiefung und fragwürdigen Volksbegehren die positive ökonomische Entwicklung der Hansestadt behindern. Hier werden Einzelinteressen über das Allgemeinwohl gestellt. Das ist nicht akzeptabel.

Warum ist die Agenda auf das Jahr 2020 terminiert?

Westhagemann:

Weil die nächste Legislaturperiode in Hamburg bis 2020 geht. Das heißt: Wir wollen, dass die verlässliche Politik des aktuellen SPD-Senats bis zum Jahr 2020 fortgesetzt wird. Deshalb sind wir als Industrie für eine absolute Mehrheit für Olaf Scholz und gegen konfliktträchtige Koalitionen nach der Wahl im Februar 2015. Wir brauchen in Hamburg eine mittelfristige Verlässlichkeit politischer Entscheidungen. In Koalitionsverhandlungen sollte die SPD keine Kompromisse eingehen, die ein Abweichen vom nun eingeschlagenen Weg bedeuten würden. Das wäre schlecht für Hamburg.

Daraus kann man schließen, dass Sie mit der Arbeit von Olaf Scholz sehr zufrieden sind?

Westhagemann:

Scholz hat viele wichtige und richtige Themen auf die Schiene gesetzt. Er hat Hamburg zu einer Innovationsstadt gemacht, hat Zukunftsbranchen wie die Elektromobilität und die Windkraft hier fest verankert. Auf diesem Weg unterstützt Hamburgs Industrie Bürgermeister Scholz voll. Und auch beim Thema Verkehr agiert der Senat mittlerweile richtig. Allerdings sollte man in der kommenden Legislaturperiode darüber nachdenken, ob man den Bereich Verkehr nicht ausgliedert, um die Wirtschaftsbehörde zu entlasten.

Eine eigene Behörde für Verkehr?

Westhagemann:

Ja! Warum nicht? Die Modernisierung der Infrastruktur in und um Hamburg ist eines der zentralen Zukunftsthemen für die Stadt. Ich kann mir einen zusätzlichen Verkehrssenator durchaus vorstellen.

Derzeit diskutiert die Stadt über Olympische Spiele in Hamburg. Der Senat hat bereits detaillierte Pläne vorgelegt. Unterstützen Sie Olympische Spiele an der Elbe?

Westhagemann:

Ich bin ein klarer Befürworter von Olympia in Hamburg. Denn dieses Großereignis würde die Stadt auf einen Schlag weltweit bekannt machen. Davon würde nicht nur der Tourismus profitieren. Auch die in Hamburg ansässigen Firmen wären für Arbeitnehmer auf einen Schlag attraktiver. Allerdings müssen wir als Industrieverband – und da gehen wir Seite an Seite mit der Hafenwirtschaft – mit dem Senat und mit der Handelskammer noch über die notwendigen Ausgleichsflächen für die geplante Bebauung im Hafen sprechen. Da gibt es noch einige Fragezeichen.