In Hamburg hat er sich einen Namen mit seinen Broten gemacht. Nun züchtet er Rinder in der Nähe von Wismar –ein Kindheitstraum

Bibow. Langsam kommen sie näher. Mit wippenden Köpfen, manchen hängt noch ein Grashalm aus dem Maul. Doch jetzt gibt es Wichtigeres als Fressen. Neugierig beäugen die Rinder den Mann mit dem weißen Bäckerhemd, der sich auf ihre Wiese gewagt hat. „Die sind ganz friedlich“, sagt Thomas Effenberger und behält während des Fototermins mit den Tieren dann doch den Bullen aufmerksam im Blick. Der dunkelbraune Muskelprotz wiederum hat nur Augen für seine „Damen“.

Die 30 Rinder, die auf der Wiese eine Viertelstunde südlich von Wismar grasen, dösen und flirten, bilden den Grundstein für Effenbergers neues Leben. Am vergangenen Wochenende sind die robusten Dexter-Rinder geliefert worden. „Und hier oben bauen wir das Haus“, zeigt der Hamburger Vollkornbäcker auf einen Hügel oberhalb der Weide. Nebenan plant der Unternehmer Fleischerei, Bäckerei, Käserei und eine Kantine für die zukünftigen Mitarbeiter des Hofes. Schon in wenigen Jahren will der Bäcker von Hamburg nach Bibow ziehen und dort als Biolandwirt arbeiten. Vom Bäcker zum Bauern: Dieser Plan, den der Hamburger in der nordwestmecklenburgischen Einsamkeit entwirft, ist nicht weniger als die Erfüllung einer Vision aus Kindertagen. „Ich wollte schon immer Landwirt sein und habe auch ein entsprechendes Studium hinter mir“, sagt Effenberger. „Aber früher hatte ich einfach nicht das nötige Geld für einen Hof.“

Mit seinem Betrieb in der Hansestadt hat sich der gebürtige Bremer heute die finanzielle Basis für seinen Jugendtraum geschaffen. Am Dammtorbahnhof und am Grindel betreibt der 58-Jährige zwei Vollkornbäckereien. Die Produkte werden an sieben Standorten in der Hansestadt verkauft. Auf gut 10.000 Brote in der Woche kommt die Firma inzwischen – mit rund 20 Mitarbeitern. Auf seine Beschäftigten will Effenberger in Zukunft stärker setzen. Schon heute ist seine Frau Anne als Betriebsleiterin für die Bäckerei verantwortlich. In ein paar Jahren, wenn das Paar seinen Lebensmittelpunkt vollständig nach Mecklenburg verlegen wird, sollen die Standorte in Hamburg unter Leitung jüngerer Leute stehen. „Man muss dem Nachwuchs eine Chance geben“, sagt Effenberger, der sich auch in der Ausbildung im Handwerk engagiert und Gesellen- und Meisterprüfungen abnimmt.

Der Bauernhof in Bibow wird noch stärker als die Bäckereien der Philosophie Effenbergers entsprechen. In Hamburg verwirklichte der Unternehmer seine Idee eines nachhaltigen Wirtschaftens, soweit dies in der Großstadt und mit dem energieintensiven Betrieb einer Bäckerei möglich war. Er liefert die Brote mit Elektroautos aus, die mit Ökostrom versorgt werden. Auch privat fährt die Familie, zu der noch eine gute Handvoll zum Teil angenommene Kinder gehören, batteriebetriebene Fahrzeuge. Durch Energieeinsparung und Wärmerückgewinnung verbraucht die Firma nach eigenen Angaben nur ein Drittel der Energie wie vergleichbare Betriebe. Das Getreide kommt von Biobauern aus der Region.

In Bibow aber geht das Nachhaltigkeitskonzept des begeisterungsfähigen Machers viel weiter: Die alte Rasse der Dexter-Rinder hat Effenberger gewählt, weil die Tiere nur Gras und keine Silage fressen, „also kein Sojaschrot aus Südamerika, für das dort die Wälder abgeholzt werden“, sagt Effenberger. Teile des 40 Hektar großen Stück Landes, das er an der idyllischen Sternberger Seenplatte für rund 200.000 Euro erworben hat, werden auch als Ackerland mit Getreideanbau dienen. Eine nachhaltige Bewirtschaftung solle den Boden schonen. Durch industrielle Landwirtschaft gingen weltweit Jahr für Jahr zehn Millionen Hektar Ackerfläche verloren, einer solchen Entwicklung will Effenberger entgegenwirken.

Der 300 Hektar große Wald, den der Bäcker ebenfalls in der Nachbarschaft gekauft hat, liefert Holz für Biohäuser und Biogartenmöbel, die Effenberger inzwischen auch selber herstellen kann. Vor ein paar Monaten hat er seine Zimmererlehre abgeschlossen, um auch in diesem Bereich ökologische Produkte anbieten zu können.

Für manche Nachbarn ist der Gestaltungswille des Hamburgers, der in der Gegend jetzt immer häufiger mit seinem Elektrosportwagen Tesla über die Kopfsteinpflasterwege surrt, etwas gewöhnungsbedürftig. „Viele der Menschen sind hier geboren und hier alt geworden“, sagt Mandy Karst aus Bibow, die dem Neu-Mecklenburger in der Landwirtschaft zur Hand geht. „Ältere Leute wollen keine Veränderung, das ist normal“, beruhigt Effenberger, und wenn dann doch einmal jemand über den „Wessi“ lästert, der hier alles auf den Kopf stellen will, ist er auch nicht um einen Spruch verlegen: „Ich sage dann immer, für mich seid ihr die Wessis.“ Schließlich kämen seine Vorfahren aus Danzig und dem Sudetenland.

Effenberger ist keiner, der sich beirren lässt. Verfolgt seine Ziele, hält an seinen Investitionsvorhaben fest. Das Fleisch der Rinder, ihre Milch, Brot aus dem Weizen der eigenen Felder, Holzmöbel aus dem eigenen Wald – diese Vielfalt an Produkten will Effenberger später auf seinem Hof in Bibow vermarkten. Sein Ziel, das hinter diesen Plänen steht: „Wenn mein Leben hier beendet ist, möchte ich eine neutrale Klimabilanz ziehen können.“ Aber es ist nicht nur der Gedanke an die Unversehrtheit der Erde, der Effenberger antreibt. Zwar will er die Landwirtschaft nach den Vorgaben des Verbands Biokreis betreiben, für das Wohl der Tiere sorgen und beweisen, dass Ökologie und Ökonomie vereinbar sind. Letztlich treibt den Bäcker aber auch der Wunsch nach einem Leben in der Natur an: „Wo können Sie denn in der Großstadt auf den Wald schauen und Hirsche beobachten?“, fragt der Unternehmer, blickt versonnen auf den Erlenhain am Rande der Kuhwiese und hat dann doch noch eine Idee: „Vielleicht baue ich da hinten noch ein Windrad, dann haben wir auch unsere eigene Energie.“