Immer weniger Menschen in der Stadt machen sich selbstständig. Doch es gibt sie noch – die Gründer. Das Abendblatt stellt acht von ihnen vor

Für viele ist es ein lang gehegter Traum, für andere die zweite Chance nach der Arbeitslosigkeit: der Schritt in die Selbstständigkeit. Etwas eigenes machen, gestalten, Menschen führen, selbst bestimmen. Doch auch in Hamburg trauen sich immer weniger Frauen und Männer, ein eigenes Geschäft auf die Beine zu stellen. Mal platzt der Traum wegen des nicht vorhandenen Startkapitals, mal fehlt ganz einfach der Mut. So ging allein 2012 die Zahl der Existenzgründer in der Hansestadt um 11,8 Prozent zurück. Im vergangenen Jahr waren es mit rund 21.000 ebenfalls etwas weniger als zwölf Monate zuvor. Gründungsexperte Jürgen Mehnert von der Handelskammer hofft, dass der Abwärtstrend nun gestoppt wirds.

Das Abendblatt hat sich auf die Suche nach den Mutigen, den Machern in der Stadt begeben – und ist fündig geworden. Acht Frauen und Männer stellen wir im folgenden vor – mit ganz unterschiedlichen Ideen: vom Herrenausstatter über ein Gassi-Taxi für Hunde bis zur Yogalehrerin.

Iris Ulatowski, 44, berät mit ihrer Firma Wellenläufer Marketing seit Juni 2013 kleinere Unternehmen. Eines ihrer Themen ist, wie man selbst mit einem kleinen Budget Neukunden gewinnen und den Umsatz erhöhen kann. Sie war jahrelang erst im Mittelstand und dann in einem internationalen Konzern tätig. Eine Restrukturierung in ihrem Unternehmen nutzte sie zur beruflichen Neuorientierung – auch um mehr Zeit für ihre kleine Tochter zu haben. „Ich möchte, dass meine Teilnehmer ihr eigenes Potenzial erkennen und wirtschaftlich planen“, sagt sie. Am 21. Mai veranstaltet sie ihren nächsten Workshop zu diesen Themen. „Die Teilnehmer sollen lernen, ihre eigene Nische zu suchen, ihre Stärken nutzen und bei Bedarf neue Wege gehen und sehr klar kommunizieren.“ Auch sie selbst hat sich zu Beginn ihrer Gründung ihre erste Zielgruppe erschlossen. „Ich habe das Frauennetzwerk Schöne Aussichten kontaktiert, in dem sich selbstständige Frauen organisieren.“ Und siehe da: Die ersten Kunden hat sie bereits.

Hendrik Müller, 43, ist seit 15 Jahren in der Bildungsbranche tätig, zunächst für die größte deutsche Unternehmensstiftung, dann als Lehrer an Schulen – und danach im Verlagsbereich. Nachdem sein letzter Arbeitgeber seinen Geschäftsbetrieb einstellte, machte er sich im September 2013 als Berater im Bildungsbereich selbstständig. „Ich möchte vor allem Unternehmen, insbesondere Verlage, und Institutionen wie Hochschulen ansprechen.“ Unter anderem will er Lehrer als Beiräte in Unternehmen etablieren, die zum Beispiel die Produkte einer Firma beurteilen. Ziel soll es dabei sein, die Angebote für junge Leute als Zielgruppe zu optimieren. „Zudem kann man einen solchen Beirat als Marketinginstrument gegenüber der Konkurrenz nutzen“, sagt er. Müller hat bereits Veranstaltungen der H.E.I besucht und einen Überblick über betriebswirtschaftliche Themen wie Preiskalkulation erhalten. Erste potenzielle Kunden hat er bereits gewonnen. Ideal wäre für ihn auch eine Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensberatungen aus der Branche.

Jörg Miedke, 50, war mehr als 25 Jahre lang in der Bekleidungsindustrie aktiv, unter anderem 18 Jahre lang als Chefdesigner und Produktverantwortlicher. Jetzt kam er von einem Salzburger Unternehmen direkt nach Hamburg. „Ich habe selbst gekündigt. Nach 25 Jahren in der Bekleidungsindustrie wollte ich etwas Neues machen“, sagt er. In einer feinen Ecke in Eppendorf plant Miedke nun ein Geschäft für hochwertige Herrenmode. Er hat das Glück, sein Vorhaben ohne Bankkredite finanzieren zu können. „Es gibt im Norden Deutschlands nicht viele hochwertige Herrenausstatter“, sagt er. „Es war schon komisch, als ich im Frühjahr erstmals wieder zur Modewoche nach Florenz fuhr. Früher war ich dort immer Verkäufer, jetzt bin ich Einkäufer,“, sagt er. Bereits ein halbes Jahr vor der Eröffnung hat er seine erste Kollektion einkaufen müssen. „Ich bringe Namen nach Hamburg, die hier noch keiner kennt.“ Sein Antrieb für die neue Geschäftsidee: „Ich arbeite gern mit Menschen zusammen, die ihr Produkt lieben.“ Er kam aus privaten Gründen nach Hamburg. „Die Stadt hat ein vielfältiges Beratungsangebot für Existenzgründer“, sagt er. Mit Hilfe eines H.E.I-Seminars lernte er, wie man den richtigen Steuerberater finden kann.

Sabine Strutzke, 47, ist jahrelang als Model-Agentin um die Welt gejettet, hat ihren Klientinnen Jobs vermittelt, sich Sorgen und Träume angehört. Unter anderem hat die heute 47-Jährige, die drei Jahre lang in Paris lebte, Topmodels nach Hamburg geholt. Doch dann kam der Absturz. Strutzke wurde plötzlich krank. Nach ihrer Genesung brachte sie es in einem Dienstleistungsunternehmen im Hamburger Hafen bis zur Prokuristin. Dann kam der Burnout. Wieder musste sie in eine Klinik, wieder musste sie neu anfangen. Sie hat ihr Leben, das in der Agenturzeit aus einer 80-Stunden-Woche bestand, komplett umgekrempelt. Jetzt gibt sie Yoga-Kurse, macht Ayurveda-Behandlungen und Yoga-Reisen nach Alicante in Spanien. Geholfen beim Neuanfang hat ihr die Existenzgründungsinitiative H.E.I. „Mein erster Besuch dort war ernüchternd“, sagt sie. Denn die Experten meinten, dass es schon zu viele Yogastudios in Hamburg gebe. „Ich habe daraus gelernt und bin mit meinem Studio nach Quickborn gegangen.“ Sie verfasste dort die erste Pressemitteilung ihres Lebens, die sogar von Zeitungen abgedruckt wurde. Inzwischen gibt sie in Quickborn zehn Kurse in der Woche und hat einige Privatkundinnen in Hamburg und Umgebung.

Lenka Kalwies, 32, hat Soziologie studiert. Danach wurde sie von einer Unternehmensberatung angesprochen. Sie sagte zu und merkte schnell, dass dies nicht ihre Berufung war. „Ich wurde Beraterin, und machte einen Job, den ich eigentlich nie machen wollte.“ Dann kam in ihrem Unternehmen eine Umstrukturierung. Kalwies nutzte die Chance und wollte gehen. „Von da an habe ich mich auf meinen eigentlichen Berufswunsch konzentriert. Ich baute einen Online-Lakritzladen (lakritz-spezialitaeten.de) auf. Für ein stationäres Geschäft fehlt mir im Moment das Geld.“ Die ersten Tage waren „die Hölle“, erzählt sie. Es gab viele technische Probleme. Doch jetzt steht ihr Geschäft im Netz. „Ich habe sogar schon Stammkunden, etwa vom Tegernsee oder aus Freiburg.“ Vor zwei Jahren war sie sogar in Stockholm, um am jährlich stattfindenden Lakritzfestival teilzunehmen. Leben kann sie von ihrem Geschäft noch nicht, ihr Ex-Arbeitgeber hat sie als Freiberufllerin engagiert. „Ich war zudem mit einem Stand vier Wochen lang sonnabends in der Marktzeit in der Fabrik. Die Resonanz auf meine Produkte war sehr gut“, sagt sie. Jetzt will sie den Führerschein machen um weiterhin zu Märkten reisen zu können.

Alex Bannes, 57, war bis zur Kündigung Ende 2013 zehn Jahre lang Controller in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Seit 2008 hat er eine nebenberufliche Selbstständigkeit als Persönlichkeitscoach und -trainer aufgebaut. Im Januar 2014 hat er seine Firma Herzcoach gegründet. „Ich unterstütze Menschen dabei, sich weiterzuentwickeln“, sagt der Betriebswirt, der auch Lachyoga anbietet. „Wer lacht, gewinnt“, sagt er dazu. Und: „Lebensfreude ist eine wichtige Grundvoraussetzung für ein gesundes, glückliches und erfolgreiches Leben.“ Zudem bietet er auch Scherbenlaufseminare an, bei denen die Teilnehmer barfuß über Scherben gehen. „Die Erfahrung, etwas vermeintlich Unmögliches zu tun, bringt die Teilnehmer in spürbaren Kontakt mit der eigenen Kraft.“ Bannes ist bereits gut auf dem Weg. Er veranstaltet morgens Lachyoga in Firmen, damit die Mitarbeiter wach und gutgelaunt in den Tag starten können. Zudem gehören Firmentrainings zur Burnout- und Stressprävention zu seinem Programm.

Jeannette Karck, 37, ist staatlich geprüfte Betriebswirtin und war seit 2007 im Online-Bereich tätig, zuletzt zwei Jahre lang als Produktmanagerin bei Tipico in Malta. In diesem Jahr kam sie zurück nach Hamburg und erfüllte sich mit ihrem Unternehmen Gassi-Taxi einen lang gehegten Traum. Sie hat sich einen klimatisierten Wagen mit zusätzlicher Leiterklappe zur Belüftung des Innenraums gekauft. In ihm befinden sich vier Hundeboxen, davor können zusätzlich zwei Hunde gesichert mitfahren. Gassi-Taxi.de ist bereits im Netz, ab Mitte Juli ist der Gassi-Service für die Region Nordost buchbar. „Als Kind hatte ich die vorgelebte Angst vor Hunden ungefiltert übernommen. In meiner frühen Jugend erkannte ich diese Angst als Herausforderung und knüpfte bewusst erste Hundekontakte. Aus Hundeangst wurde schnell Hundeliebe“, sagt sie. „Schon vor meinem zweijährigen Auslandsaufenthalt lebte ich mit Hunden zusammen und betreute regelmäßig kleinere Hundegruppen.“

Manja Biedermann, 36, ist Trainerin für Persönlichkeitsentwicklung. „Meine Vision ist es körperliche und geistige Barrieren abzubauen. Zudem möchte ich das Leben junger Eltern erleichtern – ohne Rückenschmerzen und Barrieren, die vom Bücken wegen der zu niedrigen Kindermöbel kommen.“ Sie selbst ist Mutter zweier Kinder und hat die schmerzhaften Belastungen im Lendenwirbelbereich gespürt. „Als die Tochter meiner Freundin in der Klinik lag, war ich von dem Krankenhauskinderbett so begeistert, dass ich ein multifunktionelles Kinderbett mit integrierter Wickelkommode entworfen habe, dass sich nach Gebrauch auch in einen Schreibtisch verwandeln lässt.“ Die Idee kam ihr vor rund einem Jahr.