Süßigkeiten an der Supermarktkasse sind für viele Eltern ein Ärgernis. In Hamburg gibt es jetzt die ersten Händler, die Alternativen anbieten

Hamburg. Erst werden die Augen größer, dann wird das Gequengel immer lauter. Wenn Kinder an der Supermarktkasse die Süßigkeiten entdecken, ist der Streit programmiert. Nur mit viel Mühe und Durchsetzungsvermögen schaffen es Eltern dann, den Nachwuchs vom Griff zum Kaugummi oder Schokoriegel abzuhalten. „Impulsware“ nennt sich das, was Kaufleute ganz bewusst kurz vor dem Ausgang platzieren, um auf diese Weise für ein lukratives Zusatzgeschäft zu sorgen.

Das Kalkül geht in den meisten Fällen auf. Denn obwohl der Kassenbereich in der Regel nur ein Prozent der Ladenfläche einnimmt, liegt der Umsatzanteil in Supermärkten nach Daten des Kölner EHI Retail Instituts bei sechs bis sieben Prozent, in Warenhäusern immerhin noch bei gut drei Prozent. „Die Umsatz- und Ertragszahlen sind sehr hoch“, sagt EHI-Experte Marco Atzberger. Neben Süßigkeiten machen einer Untersuchung des Instituts zufolge Tabakwaren den größten Anteil der Waren an Kassen aus.

Silke Schwartau von der Hamburger Verbraucherzentrale hält die „Quengelzone Kasse“ hingegen für ein Ärgernis, das möglichst bald abgeschafft werden sollte. „Was sich dort abspielt, ist Stress pur für alle Beteiligten“, sagt die Ernährungs- und Handelsexpertin. „Viele Händler sorgen sogar noch mit speziellen, schräg angeordneten Regalen dafür, dass den Kindern die Süßigkeiten förmlich entgegenkommen.“ Im Branchenjargon sei deshalb auch von sogenannten Wasserfallprodukten die Rede. „Wenn einmal ein Kaugummi aus solch einem Regal herausgenommen wird, ist es nur schwer möglich, es wieder hineinzulegen, weil die nächsten Artikel quasi automatisch nachrutschen.“

Bei Lidl in Großbritannien gibt es an der Kasse nur noch Obst und Nüsse

Bei der Verbraucherorganisation Foodwatch hält man das Überangebot an Süßigkeiten sogar für mitverantwortlich für das Übergewicht vieler Kinder in Deutschland. Die Berliner haben daher eine E-Mail-Aktion gestartet, um den Discounter Lidl dazu zu bringen, die süßen Verführer aus der Nähe der deutschen Supermarktkassen zu verbannen.

In Großbritannien hat Lidl dies Anfang des Jahres tatsächlich schon getan. Statt Süßigkeiten werden dort an den Kassen aller 600 Filialen Nüsse, Obst und Fruchtsäfte angeboten. Man wolle damit den Eltern den Einkauf ein wenig leichter machen und zugleich zu einem gesünderen Lebensstil beitragen, erklärte der britische Lidl-Chef Ronny Gottschlich. Eine Umfrage unter den Lidl-Kunden habe ergeben, dass fast zwei Drittel aller befragten Eltern Kassenzonen ohne Süßigkeiten bevorzugen würden. 26 Prozent hätten sogar angegeben, dass ihre Kinder gesunde Snacks bevorzugten, wenn diese ihnen angeboten würden.

Ein Bann für Schokoriegel und Fruchtgummi an deutschen Lidl-Kassen ist bislang allerdings nicht in Sicht. Auf Nachfrage des Abendblatts verweist eine Sprecherin des Discounters lediglich auf allgemeine Aktionen des Unternehmens zur Gesundheitsförderung. Was eine neue „Sortimentsgestaltung“ und die „Platzierung an der Kasse“ angehe, befinde man sich bundesweit erst in der „Projektphase“.

Andere Einzelhändler sind da schon weiter: Bei der ebenfalls zur Schwarz-Gruppe gehörenden Kette Kaufland gibt es seit Jahren in jedem Markt eine extra gekennzeichnete süßwarenfreie Kasse. In der Hamburger Filiale an der Stresemannstraße bietet Filialleiter Rolf Töpelmann beispielsweise statt Schokoriegeln, Erfrischungsbonbons und Marzipanstangen an der zentralen Kasse Nummer 6 Batterien, USB-Sticks, Feuerzeuge oder auch Universalfernbedienungen an.

„Diese Kasse wird von Eltern mit kleinen Kindern besonders gern benutzt“, sagt Töpelmann. Konflikte würden so schon von vornherein vermieden. „Das ist einfach ein zusätzlicher Service für unsere Kunden.“ Trotz des Verzichts auf Süßigkeiten seien die Umsätze nicht niedriger als an den anderen, gewöhnlichen Kassen.

Auch bei der SB-Warenhauskette Real verzichtet man an einzelnen Kassen schon auf Schokolade und Kaugummis. Das ergebe sich von selbst, da das Unternehmen auch viele andere Produkte wie Telefonkarten, Tabak oder Batterien anbiete, so ein Real-Sprecher.

Bei der Hamburger Supermarktkette Edeka verweist eine Sprecherin darauf, dass bei Neu- und Umbauten von den selbstständigen Kaufleuten der Gruppe immer häufiger Kassen ohne Süßigkeiten gewählt würden. Beispiele aus der Hansestadt für solche Kassen kann man in der Zentrale allerdings nicht nennen.

„Es gibt zunehmend Händler, die sagen ‚Ich halte mir die Kasse frei‘“, glaubt Einzelhandelsexperte Atzberger. Es gehe im Handel immer mehr nicht nur um Produkte, sondern um das gesamte Einkaufserlebnis. Beim Discounter könne der Verzicht auf Quengelware beispielsweise ein Konzept sein, den sorgfältig geplanten Einkauf zu unterstützen. Dass die Kassenzone allerdings komplett von Kaufanreizen freigeräumt wird, ist nicht zu erwarten. „Ein Händler wäre wahnsinnig, wenn er auf diese Umsätze verzichten würde“, heißt es bei einem der großen deutschen Handelskonzerne. Nach Einschätzung des Branchenkenners lässt sich mit anderen Produkten viel mehr Gewinn machen als mit Süßigkeiten – etwa mit Tabak, Alkohol oder kleinen technischen Geräten.

In Berlin konnte eine Mütterinitiative die Quengelkassen stoppen

„Ich kann mir vorstellen, dass verstärkt andere Produkte angeboten werden“, sagt auch Joachim Pinhammer vom Analystenhaus Planet Retail. Eine andere Entwicklung könnte seiner Meinung nach aber doch dafür sorgen, dass in Zukunft insgesamt weniger Quengelware angeboten wird: Selbstbedienungskassen. Die seien zwar in Deutschland noch kaum verbreitet. Sollte sich das Konzept allerdings durchsetzen, werde es schwieriger, an der Stelle Umsätze zu generieren. „Der Kunde hat dann keine Wartezeit mehr, die er sich vertreiben muss.“

Dass auch engagierte Eltern dafür sorgen können, dass die Süßigkeiten aus dem Kassenbereich verbannt werden, zeigt ein ermutigendes Beispiel aus Berlin. Dort sammelte eine Mutter mehrere Hundert Unterschriften gegen die Quengelkassen in einer Filiale von Kaiser’s Tengelmann. Nach anfänglichem Widerstand knickte das Unternehmen schließlich ein und richtete in der Filiale zuckerbombenfreie Kassenzonen ein.