Auch Fachkräftesicherung, Frauenförderung und Kinderbetreuung in Hamburg geplant

Hamburg. Als Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im September 2011 den Ausbau des Siemens-Standorts für Windenergie in Hamburg verkündete, sagte er einen entscheidenden Satz: "Man muss auch sichtbar und voller Stolz solche Anlagen vorzeigen können." Erst jetzt wird deutlich, was er damit meinte. Es geht nicht nur um ein neues Gebäude, sondern um einen großen Industriekomplex mit Technologiezentrum, Speicherkapazitäten sowie mehreren modernen und leistungsstarken sechs Megawatt-Windkraftanlagen - eine davon soll im Wasser stehen.

Zugleich will sich der Konzern auf eine langfristige Kooperation mit der Hansestadt einlassen. Den Anstoß dazu hat der Energievorstand von Siemens, Michael Süß, gegeben. Die Vorschläge auf dem Tisch sind umfangreich. Es geht um Pläne zur Mitarbeiterbindung, zur Fachkräftesicherung und zum Standort insgesamt. Sogar einen eigenen Kindergarten will Siemens an seinem neuen Standort schaffen. Die Gespräche laufen bereits. Über eine Kampagne zur Mitarbeitergewinnung wird gesprochen. Ebenso über die Bildung bestimmter Netzwerke, die den Frauenanteil in der Branche erhöhen sollen. Eine Einrichtung für Jugendliche in St. Georg soll mit Geld unterstützt werden. Siemens will langfristig in Hamburg investieren und sieht Wachstumschancen in der Windenergiebranche.

Siemens-Chef Peter Löscher hat zusammen mit dem Energievorstand Michael Süß den Norden ins Visier genommen und bereits im vergangenen Jahr nach möglichen Produktionsstandorten für Windenergieanlagen gesucht. Bremerhaven und Cuxhaven sind im Gespräch. Bei der Siemens-Hauptversammlung vor wenigen Tagen hat der Konzernchef noch einmal deutlich gemacht, dass der Konzern trotz eines massiven Sparprogramms über insgesamt sechs Milliarden Euro bis 2014 in Zukunftsthemen weiter investieren will. Deshalb gehen die Planungen für Hamburg weiter. Der Schwerpunkt der Investitionen in der Hansestadt würde ohnehin erst 2015, also nach Abschluss des Sparprogramms, fällig.

Für die Branche der erneuerbaren Energien in Hamburg bedeutet eine Umsetzung der Pläne einen Riesengewinn. Die Metropolregion Hamburg hat bereits vom Atomausstieg stark profitiert. Unternehmen, die auf die Erneuerbaren setzen, prosperieren. Das bereinigte Beschäftigungswachstum in den Bereichen Windenergie, Sonnenenergie, Biomasse, Erdwärme oder Wasserkraft betrug in den vergangenen vier Jahren in und um Hamburg 56 Prozent. Laut einer Studie der Bremer Prognos AG sind insgesamt 24.700 Beschäftigte in der Metropolregion im Bereich der erneuerbaren Energien tätig. Das sind knapp sieben Prozent aller Deutschen, die in dieser Branche arbeiten. Damit hat der Norden besonders von der Energiewende profitiert.

Bis 2015 prognostiziert das Gutachten eine Zunahme der Beschäftigten um 40 Prozent. Laut einer Umfrage unter den 1466 Unternehmen in der Metropolregion, die sich mit den erneuerbaren Energien befassen, wird bis 2015 sogar ein bereinigtes Umsatzwachstum von knapp 78 Prozent erwartet.

Zahlreiche große Unternehmen steuern ihre Windenergiegeschäfte inzwischen von Hamburg aus. Hier sitzen Vattenfall Europe Wind, E.on Climate & Renewables, das EnBW Offshore Office, RWE Innogy Offshore, sowie Dong Energy. Mit Nordex und Repower haben bedeutende Hersteller hier ihren Sitz, mit A2Sea ein Installationsspezialist für Offshore-Windparks.

Selbst Siemens-Konkurrent General Electric hat sich mit einem Forschungsprojekt zur Windenergie in Hamburg festgesetzt. Das vor zwei Jahren ins Leben gerufene Branchennetzwerk Erneuerbare Energien Hamburg ist enorm gewachsen und zählt heute 170 Mitgliedsfirmen. Knapp 30 schlossen sich allein im vergangenen Jahr an. Im Sommer startete die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) den Bau von Forschungs- und Ausbildungslabors für Windenergie und intelligente Stromnetze (smart grid). Das Projekt wird mit rund sieben Millionen Euro Steuergeldern angeschoben.

Und dennoch gibt es Schwierigkeiten. Vor allem der Aufbau von Offshore-Windparks verzögert sich ein ums andere Mal. Technische Probleme, Finanzierungsfragen und vor allem unklare Haftungsregelungen, sorgten für die Rückstellung notwendiger Investitionen. Zahlreiche Energieunternehmen haben im vergangenen Jahr ihre Projekte für Windparks in der Nordsee auf die lange Bank geschoben, weil ihnen der reibungslose Netzanschluss nicht garantiert werden konnte.

Für die regionale Wirtschaft wird dieses zum Problem: Die Sietas-Werft in Hamburg und die Nordseewerke in Emden haben sich auf den Offshore-Markt konzentriert, um die schlechte Auftragslage im klassischen Schiffbau zu überstehen. Nun stehen sie mit leeren Händen da, weil ihre Auftragsgeber nasse Füße bekommen haben. Ein Bekenntnis von Siemens zur Branche käme für viele zur rechten Zeit. Das Unternehmen wollte sich am Wochenende zu seinen Plänen nicht äußern. Ein Sprecher des Senats bestätigte lediglich: "Es hat Gespräche gegeben. Wenn ein Unternehmen Jobs in Hamburg schaffen will, hilft der Senat."