Am Mittwoch kommt das größte Containerschiff der Welt nach Hamburg. In der Hafenzentrale bereitet man sich auf das große Ereignis vor.

Hamburg. Auf den Computermonitoren der beiden Nautiker blinken die Elbe und die Hafenbecken. Dunkelblau bis nur noch leicht bläulich schraffiert zeichnen sich die unterschiedlichen Tiefen ab. Grüne und rote Tonnen begrenzen das Fahrwasser, und gelbe Rechtecke bewegen sich zwischen den Bojen oder liegen bereits still: Es sind Schiffe, die auf den elektronischen Seekarten bereits nach Namen, Typen und Größen identifiziert sind. Mehr als 30.000 Bewegungen registrieren die 27 Beschäftigten der Nautischen Zentrale im Jahr. "Sie reibungslos abzuwickeln und vor allem die Großfrachter trotz begrenzter Flusstiefe sicher zu leiten, erscheint hier wie ein großes elektronisches Puzzle", sagt Hafenkapitän Jörg Pollmann, 54, dessen Zentrale bis zur Fertigstellung des Neubaus an der Elbe an den Veddeler Damm gezogen ist.

Doch an dem Puzzlespiel hängt die Zukunft des Hafens. Das wird am Mittwoch besonders deutlich. Denn mit der "Marco Polo" wird erstmals ein Frachter mit einer Kapazität von 16.000 Standardcontainern (TEU) Hamburg anlaufen. Das Riesenschiff schwappt mit der Flutwelle in der Nacht die Elbe hinauf. Die Vorbereitungen der Reederei CMA CGM laufen seit mehr als einem Jahr. Die 75 Lotsen, die solche großen Schiffe übernehmen dürfen, haben eine Fortbildung absolviert. Dazu hat das Oberhafenamt allein 50.000 Euro in ein Computermodell investiert.

Damit wurde im MTC Marine Training Center in Stellingen am Schirm simuliert, wie sich das Schiff in der Strömung verhält, wie starker Wind auf die riesigen Angriffsflächen wirkt oder wie gut die Sicht von Bord auch bei Nebel ist. "Virtuell ist das Schiff schon mehrere Hundert Mal mit verschiedenen Lotsen auf der Brücke in Hamburg eingelaufen", sagt Pollmann. "Wenn es dann tatsächlich kommt, wird es keine Probleme geben."

Natürlich wird die "Marco Polo" aber nicht voll beladen und ihr Kurs bis zum Drehen am Burchardkai genauestens vorbestimmt sein. Klar ist auch: Bei dem 54 Meter breiten Schiff, dem weitere 16.000-TEU-Frachter folgen, wird das Navigieren im Hafen und auf der Elbe noch mehr Fingerspitzengefühl und Planung erfordern.

Denn nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, die von der Wirtschaftsbehörde geplante Elbvertiefung zunächst zu stoppen, muss Pollmann nun sehen, wie er die immer größeren Frachter sicher an die Terminals bringt. Keine leichte Aufgabe: Immerhin kamen 2011 fast 1000 Schiffe nach Hamburg, die länger als 330 Meter, breiter als 45 Meter oder gar beides waren - fast die Hälfte mehr als noch im Jahr 2008.

An diesem Nachmittag sind nur 21 Frachter in Hafen unterwegs. "Einige weniger als im Durchschnitt", sagt Stefan Kressin, 59, der seit 1983 in der Hafenzentrale arbeitet. Zusammen mit Elke Neemann, 33, wird er an diesem Abend dafür sorgen, dass zwei mehr als 300 Meter lange Großfrachter pünktlich auslaufen können. Die beiden Nautiker regeln das Verkehrsgeschehen, sprechen mit Lotsen und Kapitänen, kümmern sich darum, welche Schiffe möglicherweise auf die Großfrachter warten müssen. Ähnlich wie Polizisten auf einer Kreuzung machen sie die notwendigen Wege frei.

Die Planung für die Liegeplätze, die auf die Tide abgestimmte Auslaufzeiten und Geschwindigkeiten haben zwei Kollegen im Büro nebenan schon einen Tag vorher festgelegt. "Gerade um die großen Schiffe kümmern wir uns schon vier Tage vor dem Einlaufen und besprechen alles mit den Planern der Container- und Massegutterminals", sagt Jörn Warwel, der stellvertretende Leiter der Zentrale. "Danach sollte alles nach Plan ablaufen."

Bisher ist alles gut gegangen. Weder Pollmann noch Warwel, beide seit knapp 20 Jahren im Dienst, können sich an ein Auflaufen eines Frachters mit intakten Maschinen erinnern. Dabei geht es bei immer mehr Schiffen um Zentimeter. Knapp die Hälfte der 6500 Containerfrachter, die 2011 nach Hamburg kamen, haben nach Berechnungen des Oberhafenamts an Bord Platz für 4500 bis 5000 TEU. Sie würden damit bei voller Beladung auf mehr als 12,80 Meter Tiefgang kommen. So tief ist das Fahrwasser auch ohne die Flut. Einen Meter mehr bringt die Tidewelle. So gehört es zur Routine, dass die Nautiker in der Hamburger Zentrale den Kapitänen und Lotsen solcher Schiffe genau sagen, wann sie zum Einlaufen in der Elbmündung sein müssen. Wer nicht rechtzeitig kommt, muss damit rechnen, dass bis zur nächsten Chance bis zu zwölf Stunden vergehen können.

Für die Abfertigung im Hafen aktualisiert das Oberhafenamt jeden Tag viermal die Zeitpläne. Die Terminals richten ihre Arbeitszeiten nach den Auslaufterminen, arbeiten mit weniger Personal, wenn genügend Zeit bleibt oder setzen zusätzliche Containerbrücken ein, damit möglichst alle vorgesehenen Boxen rechtzeitig verladen werden können. Letztlich legt der von Pollmanns Crew festgelegte mögliche Tiefgang fest, wie viel Ladung mitgenommen werden kann. Ein Meter mehr - wie bei der Elbvertiefung vorgesehen - würde bei den größten Containerschiffen 11.000 Tonnen zusätzliche Ladung bringen. So viel, wie die das Museumsschiff "Cap San Diego" einst insgesamt an Bord nehmen konnte.

Die Tiefe des Flusses ist aber nicht das einzige Problem der Mitarbeiter der Hafenzentrale, in der nur ausgebildete Seeleute mit Kapitänspatent arbeiten. So dürfen Schiffe, die zusammen mehr als 90 Meter in der Breite messen, sich in der 300 Meter breiten Fahrrinne von Glücksstadt bis in den Hafen nicht begegnen. "Wir versuchen daher, das Ein- und Auslaufen so zu organisieren, dass sich die Schiffe weiter flussabwärts treffen oder im Hafen die Hilfe von Schleppern in Anspruch nehmen", sagt der Hafenkapitän. Als letzte Möglichkeit bleiben die Finkenwerder Pfähle auf der Höhe des Airbus-Werkes. Dort können bis zu zwei Großfrachter festmachen und so lange warten, bis der Gegenverkehr durchgefahren ist.

Schon aufgrund dieser Engpässe ist bei der Elbvertiefung gleichzeitig die Verbreiterung der Fahrrinne auf 320 Meter und im Hafen auf 270 Meter vorgesehen. Dazu soll das Fahrwasser von Wedel an elbabwärts auf sieben Kilometern sogar auf 385 Meter ausgebaut werden. "Das würde unsere Arbeit deutlich erleichtern", sagt Pollmann. Bisher jedoch behilft sich die Zentrale mit vier Peilschiffen, die ständig unterwegs sind, um per Echolot die Wassertiefe zu messen. Das Ergebnis sind riesige Pläne im Maßstab 1:1000, die die Tiefen in wenigen Metern Abstand anzeigen. Künftig sollen auch die Hamburger Lotsen von diesen Daten profitieren. "Wir testen derzeit, wie wir ihnen unsere Ergebnisse am besten auf die Laptops schicken können", sagt Pollmann.

"Wir werden auch ohne Elbvertiefung unsere Arbeit weitermachen, und Vorgaben errechnen, wie auch diese Schiffe in den Hafen kommen", sagt Pollmann. Wie lange die Reeder aber in Kauf nehmen werden, dass sie ihre Schiffe nicht optimal beladen können, ist für ihn eine offene Frage. Ihre Antwort kennt in Hamburg wohl niemand.