Zwei Projekte, die die Energiezufuhr für Europa durch den Import von Ergas und Solarstrom sichern sollen, sind gestern angelaufen: Nabucco und Desertec.

Hamburg. Der italienische Komponist Giuseppe Verdi habe die Herren bei der Namensfindung inspiriert, so lautet die schöne Geschichte aus den Anfangstagen. Vor sieben Jahren trafen sich in Wien Vertreter des österreichischen Energiekonzerns OMV und des türkischen Versorgungsunternehmens Botas. Nach einem Besuch der Oper entschied man, das neue Großprojekt, das man realisieren wollte, so zu nennen wie das eben gehörte Werk von Verdi: Nabucco.

Seit Jahren findet das Projekt in Europa eine wachsende Zahl von Anhängern. Denn die Nabucco-Leitung soll einen völlig neuen Weg für die Versorgung der EU mit Erdgas eröffnen: vom Kaspischen Meer durch die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn mehr als 3000 Kilometer weit bis an den OMV-Knotenpunkt im österreichischen Baumgarten, und von dort aus in die regionalen Verteilnetze, zum Beispiel in Deutschland. So soll ein Gegengewicht zur ständig wachsenden Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas entstehen. Gestern unterzeichneten die fünf Transitstaaten in Ankara ein Abkommen zum Bau der Pipeline.

Zu dem Konsortium, das die sieben bis neun Milliarden Euro teure Pipeline realisieren will, gehört inzwischen auch der zweitgrößte deutsche Energiekonzern RWE. Das Unternehmen ließ wissen, man peile die ersten Erdgaslieferungen via Nabucco für das Jahr 2014 an, der Baubeginn sei für 2011 vorgesehen. "Für Europa ist das Nabucco-Projekt sehr gut. Es kann stark dazu beitragen, die Erdgasversorgung sicherer zu machen und auf eine breitere Basis zu stellen", sagte Professorin Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, dem Abendblatt.

Solarkraft in Nordafrika

Sichere Energie für Europa, diesem Ziel dient auch ein anderes Großprojekt, das zufällig ebenfalls gestern gestartet wurde. In München gründete eine Gruppe von zwölf Unternehmen die Planungsgesellschaft Desertec Industrial Initiative. Zu den Unterzeichnern gehören die beiden größten deutschen Energiekonzerne E.on und RWE, außerdem die Industrieschwergewichte Siemens und ABB, zudem die Finanzmarktgrößen Deutsche Bank und Münchener Rück, ebenso die HSH Nordbank.

Das Ziel ist es, in den kommenden drei Jahren realisierbare Konzepte für den Bau großer Solarkraftwerke in Nordafrika vorzulegen. Aus diesen riesigen Anlagen will man, so die Idee von Desertec, in den kommenden Jahrzehnten vor allem Strom für die Länder des nordafrikanischen und arabischen "Sonnengürtels" gewinnen. Bis zum Jahr 2050 allerdings könnten - so die Theorie - auch rund 15 Prozent des europäischen Strombedarfs aus afrikanischen Solaranlagen gedeckt werden.

Die gigantisch anmutende Investitionssumme für das international angelegte Projekt beziffern die Planer für die kommenden 40 Jahre mit rund 400 Milliarden Euro. "Wir verfolgen einen großen Plan und werden alles tun, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen", sagte Torsten Jeworrek, Vorstandsmitglied des weltgrößten Rückversicherungskonzerns Münchener Rück, gestern bei der Zeremonie. So unterschiedlich die Projekte Nabucco und Desertec aussehen, drei große Parallelen weisen sie auf: Sie verbreitern Europas Basis für den Import von Energie, sie können zur Senkung beim Ausstoß von Treibhausgasen in der EU beitragen - allerdings binden sie Europa in der Energieversorgung noch wesentlich enger an eine Reihe von Staaten an, in denen man eher keine "lupenreinen Demokraten" findet, wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder seinen Freund Wladimir Putin aus Russland einmal nannte. Durch die Nabucco-Pipeline wird Gas aus der neben Russland erdgasreichsten Region der Welt am Kaspischen Meer und drumherum fließen. Zu den Lieferländern kann Aserbaidschan gehören, Kasachstan, Turkmenistan, aber auch Nordirak - und womöglich irgendwann Iran mit den weltweit zweitgrößten Gasreserven.

Fernduell ehemaliger politischer Partner

Desertec wiederum zielt auf die Ernte der immensen Sonneneinstrahlung im nördlichen Afrika - in Staaten wie Marokko, Algerien, Libyen und Ägypten, aber auch in Arabien. "Bei der Öl- und Gasversorgung sind wir schon jetzt von Libyen und Algerien sehr abhängig - und das klappt hervorragend", sagt Gerhard Knies, der Aufsichtsratsvorsitzende der neu gegründeten Desertec-Projektgesellschaft. Das Argument ist wenig spitzfindig, enthält aber einen wichtigen Kern: Bei der Versorgung mit Erdgas ist die EU mit ihren mittlerweile 27 Mitgliedsstaaten bereits heute zu mehr als 50 Prozent auf Importe außerhalb Europas angewiesen, beim Erdöl liegt die Importabhängigkeit weit über 80 Prozent.

Energieexpertin Claudia Kemfert verweist deshalb auf das Potenzial, das die erneuerbaren Energien in den kommenden Jahrzehnten auch innerhalb Europas entfalten können: "Ich glaube nicht, dass der Strombedarf Europas künftig zu einem sehr großen Teil aus Großprojekten wie den Desertec-Sonnenkraftwerken gedeckt wird", sagt sie. "Wichtiger für unsere Region ist, dass die Speichertechnologien für erneuerbare Energien weiterentwickelt werden, damit eine dezentrale Energieversorgung entstehen kann."

Viele Hürden müssen bei beiden Großprojekten noch überwunden werden. Im Falle Nabucco ist dies vor allem Russland. Der weltgrößte Erdgasexporteur könnte versuchen, die neue Südostpipeline mit einer eigenen Konkurrenzleitung und mit Kampfpreisen auszuhebeln. "Russland", sagt Kemfert, "hat viele Möglichkeiten, dieses Projekt zu erschweren." So könnte es am Ende gar auf ein Fernduell ehemaliger Koalitionspartner hinauslaufen: Ex-Kanzler Schröder arbeitet heute für die russische Erdgaswirtschaft, sein einstiger Vizekanzler Joschka Fischer berät neuerdings die Planer von Nabucco.