Euro-Finanzminister wollen Banken bei Griechenland-Rettung deutlich stärker zur Kasse bitten. Forderungsverzicht von 60 Prozent notwendig.

Hamburg. Die Euro-Finanzminister wollen die Banken bei der Griechenland-Rettung deutlich stärker zur Kasse bitten. Die Eurozone habe sich auf eine „erhebliche Anhebung“ des Bankenbeitrags geeinigt, sagte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker am Sonnabendmorgen vor einer Sitzung der EU-Finanzminister in Brüssel. Wenn der griechische Schuldenstand bis 2020 auf 110 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung gedrückt werden sollte, wäre ein Forderungsverzicht von 60 Prozent notwendig, wie aus dem am Freitag vorgelegten Bericht der Troika hervorgeht. Ohne einen Kurswechsel würde bis 2020 eine Lücke von 252 Milliarden Euro klaffen.

„Wir haben uns gestern darauf verständigt, dass wir eine erhebliche Anhebung des von den Banken zu erbringenden Beitrags haben müssen“, sagte der luxemburgische Regierungschef. Der schwedische Finanzminister Anders Borg sagte: „Es ist offensichtlich, dass ein substanzieller Schuldenschnitt notwendig ist.“

Die österreichische Finanzministerin Maria Fekter erklärte: „Wir haben in der Früh ein Meeting gehabt, wo die Mandate ganz konkret ausformuliert werden.“ Vittorio Grilli, Vorsitzender des Wirtschafts- und Finanzausschusses der EU, werde in Verhandlungen mit den Banken geschickt. „Wir werden keine Details bekannt geben, um das Verhandlungsergebnis nicht zu gefährden.“

Britischer Finanzminister kritisiert Euro-Zone

Die Bemühungen wurden von außerhalb der Euro-Zone scharf kritisiert. Der britische Finanzminister George Osborne sagte: „Die Krise in der Euro-Zone bewirkt große Schäden in vielen europäischen Volkswirtschaften, darunter in Großbritannien.“ Der Schatzkanzler fügte hinzu: „Wir haben genug von kurzfristigen Maßnahmen, genug davon, Pflaster draufzukleben, die uns nur durch die nächsten paar Wochen bringen.“ Europa müsse die tiefen Gründe für die Krise angehen. Gebraucht werde eine umfassende und dauerhafte Lösung für die Krise, damit das Wachstum in Europa wieder anspringen könne.

Warum muss der Rettungsschirm gestärkt werden?

Nach der Zustimmung aller Parlamente der Euro-Länder darf der Rettungsfonds EFSF jetzt nicht mehr nur 306 Milliarden Euro ausleihen, sondern 440 Milliarden Euro. "Selbst dieser Betrag würde nicht ausreichen, um auch Spanien und Italien zu unterstützen", erklärte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Dies kann aber schnell notwendig werden, weil insbesondere Italien sich wohl nur deshalb zu akzeptablen Zinsen am Kapitalmarkt finanzieren kann, weil die Europäische Zentralbank (EZB) noch die Staatsanleihen Italiens aufkauft."

Nach Berechnungen der Commerzbank benötigen die fünf sogenannten Peripherieländer Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien allein in den Jahren 2012 bis 2014 gut 900 Milliarden Euro, um ihre Haushaltsdefizite und die Rückzahlung fälliger Anleihen zu finanzieren. Unter der Annahme, dass zwei Drittel dieser Summe über den EFSF abgedeckt werden müssen, würde dafür ein Kreditvolumen von 600 Milliarden Euro gebraucht - also deutlich mehr als das derzeitige Ausleihvolumen des Fonds.

Wie soll der Euro-Rettungsfonds schlagkräftiger gemacht werden?

Bis vor wenigen Tagen schien darüber Einigkeit zu herrschen. Angepeilt wurde eine sogenannte Versicherungslösung, wie sie auch die Bundesregierung favorisiert. Nach dem Prinzip einer Teilkaskoversicherung will man das Vertrauen der Anleger in Staatsanleihen von Ländern wie Spanien und Italien stärken und die Investoren dazu bringen, solche Papiere wieder zu moderaten Zinsen zu kaufen. Der Plan sieht vor, 20 bis 30 Prozent des Werts neu ausgegebener Staatspapiere gegen einen Kreditausfall zu schützen. Im Falle einer Zahlungsunfähigkeit würde der EFSF dann diesen Teil dem Anleger ersetzen, für den Rest würden die privaten Gläubiger selbst geradestehen. So könnte bei einem Versicherungsanteil von 20 Prozent jeder versicherte Euro die fünffache Wirkung erzielen - unter der Voraussetzung, dass die Anleger derart abgesicherte Papiere kaufen.

Vor wenigen Tagen jedoch präsentierte Frankreichs Präsident einen andere Idee: Sarkozy fordert, dem EFSF eine Banklizenz zu geben, damit dieser aufgekaufte Anleihen bei der EZB als Sicherheiten einreichen kann und im Gegenzug Notenbankkredite erhält. Mit diesen Darlehen könnte er weitere Anleihen kaufen, die er dann wieder als Sicherheiten für neue Kredite verwendet. Auch auf diese Weise könnten die Mittel des Hilfsfonds um das Vielfache gehebelt werden.

Was spricht für den französischen Vorschlag und was dagegen?

"Die Banklizenz für den EFSF ist eine Idee, für die wir sehr viel Sympathie hätten", sagte Christian Schulz, Analyst beim Hamburger Bankhaus Berenberg, dem Abendblatt. "Denn damit würde man die EZB hinter den Rettungsfonds stellen - und sie ist ohnehin die einzige Institution, die eine Marktpanik glaubwürdig verhindern kann."

Auch Claus Matecki, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, sieht dies als "die einzige Möglichkeit, jetzt Ruhe in die Euro-Zone zu bringen". Der französische Vorstoß entspreche im Kern der alten Forderung des DGB, eine Bank für öffentliche Anleihen zu schaffen. Damit könne man die Staatsfinanzierung von den Finanzmärkten teilweise entkoppeln: "Lukrative Wetten auf Staatspleiten, wie sie Finanzjongleure derzeit tätigen, wären dann nicht mehr möglich", so Matecki.

Dennoch sei Sarkozys Vorschlag wohl eine "Totgeburt", meint Schulz. Denn die Bundesregierung hat sich klar dagegen ausgesprochen - und die EZB hält eine solche Lösung für rechtlich bedenklich. "Vermutlich sieht die EZB ihre ohnehin angekratzte Glaubwürdigkeit bedroht, wenn sie über Kredite an den EFSF Staatsausgaben in großem Stil mit der Notenpresse finanzieren würde", sagte Krämer.

Inflationsrisiken erkennt auch der Chefvolkswirt von Barclays Capital Deutschland, Thorsten Polleit. "Immer wenn Regierungen leichten Zugang zur Notenbank haben, wird das ausgenutzt", sagte er. "Schließlich gibt es in den Euro-Ländern eine Reihe von Politikern, die eine höhere Inflation für das kleinere Übel halten."

Welche Vor- und Nachteile hat die sogenannte Versicherungslösung?

"Anleiheinvestoren kaufen Staatsanleihen, weil sie Sicherheit wollen", sagt Krämer, "aber wenn die Regierungen die Notwendigkeit für eine Versicherung sehen, signalisieren sie, dass die Anleihen von Peripherieländern gerade nicht sicher sind." Jede Versicherungslösung leide an diesem Widerspruch. Hinzu kommt: "Eine Absicherung von 20 oder 30 Prozent des Anleihevolumens wird den Investoren vielleicht nicht ausreichen", gab Schulz zu bedenken. Denn in der Vergangenheit seien bei Staatspleiten viel größere Teile der Schulden gestrichen worden - 50 Prozent oder erheblich mehr.

Je höher aber der versicherte Anteil der Anleihen geschraubt wird, desto weniger Papiere könnte der Rettungsfonds mit seinen Mitteln absichern, so Krämer: "Bei einer Versicherungsquote von 50 Prozent könnte der EFSF Anleihen von deutlich weniger als 1000 Milliarden Euro versichern. Das könnte mit Blick auf den Finanzbedarf der Peripherieländer knapp werden."

Warum ist ein höherer Schuldenschnitt Griechenlands nötig?

Im Juli war im Rahmen des zweiten Hilfspakets für Griechenland beschlossen worden, dass private Gläubiger Athens "freiwillig" auf 21 Prozent ihrer Forderungen verzichten. "Seitdem haben aber die Experten der sogenannten Troika aus EU-Kommission, EZB und internationalem Währungsfonds (IWF) neue Finanzlöcher im griechischen Haushalt entdeckt", sagte Schulz. Ursache sei der unerwartet heftige Wirtschaftsabschwung, aber auch verzögerte Reformen wirkten sich aus.

Es nähere sich der Zeitpunkt, an dem man feststellen müsse, dass der im Juli vereinbarte Abschlag von 21 Prozent nicht mehr die Schuldentragfähigkeit sichere, sagte Bundeskanzlerin Merkel am Freitag nach Angaben von Teilnehmern in der Unions-Bundestagsfraktion. Experten erwarten inzwischen einen Schuldenschnitt in der Größenordnung von 50 Prozent.

Wer sind die Gläubiger Athens, die von dem Schuldenschnitt betroffen wären?

Nach Angaben der Commerzbank hat Griechenland bislang Kredite im Volumen von 53 Milliarden Euro von den Euro-Partnern erhalten, weitere 20 Milliarden Euro kamen vom IWF. Die ausstehenden Staatsanleihen belaufen sich auf 263 Milliarden Euro. Von dem Schuldenschnitt betroffen wären davon die Papiere im Volumen von 213 Milliarden Euro, die bei privaten Investoren liegen; die EZB hat inzwischen Anleihen im Nominalwert von 50 Milliarden Euro aufgekauft.

Am stärksten leiden würden laut Schulz die griechischen Banken, gefolgt von den französischen und den deutschen Instituten. Unter den letzteren sei allerdings die verstaatlichte Hypo Real Estate besonders stark in Griechenland engagiert.

Ist nach einem höheren Schuldenschnitt ein Bankenhilfsprogramm nötig?

Wegen der durch einen höheren Schuldenschnitt zu erwartenden Belastungen für die Banken steht auf der Agenda der beiden Euro-Gipfel auch eine sogenannte Rekapitalisierung der Geldhäuser: Ihnen soll deswegen vorgeschrieben werden, mehr Geld für Notfälle zurückzulegen. Die nötigen Mittel sollen sie sich am Finanzmarkt besorgen oder zur Not bei den Regierungen. In Expertenkreisen rechnet man mit einem Kapitalbedarf von 90 bis 100 Milliarden Euro. Nach Berechnungen der EU-Bankenaufsicht EBA reicht für die deutschen Banken jedoch ein mittlerer einstelliger Milliardenbetrag, wie zwei mit dem Stresstest der Aufseher vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters sagten.

Würde man auf die Bankenstützung verzichten, hätte dies laut Polleit "weitreichende Folgen nicht nur für die Branche": Weil die Abschreibungen das Kapital der Banken abschmelzen ließen, würden diese nur noch weniger Kredite vergeben können, was der Wirtschaft massiv schade.

Werden die Euro-Gipfel für Ruhe an den Finanzmärkten sorgen?

"Wir sehen eine Chance von einem Drittel, dass eine Lösung gefunden wird, die die Märkte so überzeugt, dass Ruhe einkehrt", sagte Schulz. Auch Commerzbank-Experte Krämer rechnet nicht mit einem Befreiungsschlag: "Mit Blick auf die Gipfeltreffen sehen wir das Risiko, dass die Erwartungen der Anleger enttäuscht werden."

Ist eine Staatspleite Griechenlands überhaupt zu verhindern?

In dieser Frage gehen die Ansichten der Experten auseinander. Mit einem Schuldenschnitt von 50 Prozent bezogen auf die Papiere privater Investoren sänke der Schuldenstand Griechenlands etwa auf das Niveau Italiens, erklärt Schulz. Wenn Griechenland die aktuelle Rezession erst überwunden habe, sei es durchaus möglich, diese Last zu tragen. Polleit glaubt das jedoch nicht: "Eine Insolvenz Griechenlands ist letztlich unausweichlich." Und auch nach Einschätzung von Krämer wäre es für Athen selbst bei dem angenommenen Schuldenschnitt von 50 Prozent immer noch "sehr schwierig, die Staatsfinanzen zu stabilisieren".