Lebensmittel und Energie werden teurer. Auch die Gehälter steigen. Beides könnte die Inflation anheizen

Hamburg. Wer Ende vergangenen Jahres im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt Tomaten einkaufte, mochte seinen Augen kaum trauen. 50 Prozent teurer als noch vor einem Jahr wurden die roten Früchte angeboten. Bei Paprika, Blumenkohl oder Gurken war die Lage kaum besser: Auch hier lagen die Preise zwischen 30 und 40 Prozent über dem Vorjahr. Insgesamt mussten die Verbraucher im Dezember 2010 rund 3,6 Prozent mehr für ihre Lebensmittel ausgeben als noch ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt jetzt feststellte.

Eine Entwicklung, die sich in diesem Jahr noch fortsetzen dürfte: Angesichts weiter steigender Preise an den Agrarmärkten bereitet die deutsche Ernährungsindustrie die Kunden schon mal auf einen tiefen Griff ins Portemonnaie vor. "Die höheren Rohstoffpreise kann die Industrie nicht allein wegstecken, irgendwann müssen wir das an die Verbraucher weitergeben", sagt der Chef des Branchenverbands BVE, Jürgen Abraham. Auch Bauernpräsident Gerd Sonnleitner hatte im Abendblatt einen Preisanstieg angekündigt.

Im vergangenen Jahr haben sich Nahrungsmittel insgesamt um 1,6 Prozent verteuert. Für Butter mussten die Kunden fast ein Viertel mehr zahlen als noch vor einem Jahr. Auch Gemüse und Obst verteuerten sich deutlich. Süßigkeiten waren dagegen billiger.

Generell war eine Reihe von Missernten, aber auch der kaum noch zu stillende Hunger von Schwellenländern wie China mitverantwortlich für die steigenden Preise. Die besonders hohen Anstiege zum Jahresende erklären Experten mit der ungünstigen Witterung. "Schnee und Eis haben zu erheblichen logistischen Problemen bei der Beschaffung von frischem Gemüse und so zu höheren Kosten geführt", sagt Holger Thiele, Professor für Agrarökonomie an der Fachhochschule Kiel. Der frühe Wintereinbruch habe zudem Wachstum und Ernte in den Anbauländern erschwert, heißt es bei der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft in Bonn. Hinzu kommt, dass der Anbau von Gemüsesorten wie Tomaten besonders energieintensiv ist. Die hohen Strom- und Gaspreise treiben daher die Kosten der Bauern in die Höhe und machen ihre Produkte so teurer.

In diesem Jahr rechnen Experten vor allem mit deutlichen Preissprüngen bei Kakao, Zucker, Reis und Kaffee. Als Folge der steigenden Lebensmittelpreise dürfte auch die gesamte Inflation in Deutschland weiter anziehen. "Wir gehen von einer Teuerungsrate von vier Prozent zum Jahresende aus", sagt Edgar Walk, Chefvolkswirt des Bankhauses Metzler, dem Abendblatt.. "Hauptgrund dafür sind die Rohstoff- und Energiepreise, die rund um den Globus steigen werden."

Zudem könnte die positive Lohnentwicklung in Deutschland die Inflation zusätzlich anheizen. Nach Angaben des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts sind die Realeinkommen in Deutschland erstmals seit 2004 wieder gestiegen. Die effektiven Bruttoeinkommen erhöhten sich 2010 um 2,2 Prozent. Nach Abzug der Inflationsrate blieb den Arbeitnehmern damit ein reales Plus von 1,1 Prozent.

Die Tariflöhne und -gehälter stiegen im vorigen Jahr im Schnitt um 1,8 Prozent und legten preisbereinigt um 0,7 Prozent zu. Am höchsten fiel die Tarifsteigerung mit 2,9 Prozent im Bereich Energie- und Wasserversorgung und Bergbau aus, gefolgt vom Handel mit 2,5 Prozent. Beschäftigte am Bau und im Nahrungs- und Genussmittelgewerbe profitierten von einem Plus von 2,4 Prozent. Genau im Durchschnitt lagen Kreditinstitute, das Versicherungs- und das Verbrauchsgütergewerbe mit je 1,8 Prozent. Geringer stiegen die Tarife hingegen im Investitionsgütergewerbe mit einem Prozent und bei Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen mit 0,9 Prozent.

In diesem Jahr dürfte es angesichts von Lohnforderungen von bis zu sechs Prozent für die Bauwirtschaft, die chemische Industrie und die Telekom zu weiteren, deutlichen Einkommenssteigerungen kommen. "Ich hoffe, dass es bei der Einkommensentwicklung deutlich mehr wird als 2010", sagte der Leiter des gewerkschaftsnahen WSI-Tarifarchivs, Reinhard Bispinck.

Dies aber dürfte nach Einschätzung von Ökonomen die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen: Höhere Gehälter sorgen dafür, dass die Konsumenten mehr ausgeben, die Nachfrage steigt und damit auch die Preise. Die hohen Preise aber führen ihrerseits wieder zu höheren Lohnforderungen der Gewerkschaften. Auf diese Weise schaukeln sich Löhne und Preise gegenseitig hoch und heizen die Inflation immer weiter an.

"In der jetzigen Situation besteht die reale Gefahr, dass sich die Lohn-Preis-Spirale in Gang setzt", sagt Michael Bräuninger, Konjunkturchef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Er rät daher zur Zurückhaltung in den anstehenden Tarifrunden. Die Effekte der Lohn-Preis-Spirale werden laut Bräuninger allerdings erst im nächsten Jahr zu spüren sein. Auch Edgar Walk vom Bankhaus Metzler ist der Ansicht, dass sich dieser Mechanismus erst 2012 auswirken wird.