Zu fett, zu süß. Drei Viertel der Snacks für Mädchen und Jungen sind laut Foodwatch ungesund. Die Lebensmittelindustrie wehrt sich.

Hamburg. Die Versuchung lauert überall. Dr. Oetker bewirbt seinen Kinderpudding Paula mit lustigen Kuhspielen, Malbögen für die Schule oder Stundenplänen. Die Hersteller von Frühstücksflocken legen ihren Fruit Loops, Golden Puffs oder Nesquik-Flocken gern kleine Autos oder Spiele bei. Und Ferrero hat sich für seine Werbespots gar die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) gesichert. Nationalspieler als Botschafter der Schokocreme Nutella.

Doch laut einer Studie der Organisation Foodwatch sind die meisten dieser Kinderlebensmittel nichts als ungesunde Kalorienbomben. Von 1500 untersuchten Nahrungsmitteln, die für Kinder angepriesen werden, seien fast drei Viertel "süße und fettige Snacks" gewesen, urteilen die Verbraucherschützer.

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+++ Foodwatch: Drei Viertel der Kinderlebensmittel ungesund +++

Dabei solle raffinierte Werbung die jungen Kunden zum Konsum solcher dick machender Happen und Softdrinks verführen. "Die Unternehmen tragen eine erhebliche Mitverantwortung für die grassierende Fehlernährung", sagt Foodwatch-Expertin Anne Markwardt. "Die Industrie will Kinder so früh wie möglich auf ungesundes Junkfood programmieren."

Foodwatch hat die untersuchten Produkte nach Empfehlungen des vom Bundesverbraucherministerium geförderten aid-Infodienstes in grüne, gelbe und rote Kategorien eingeordnet. Die extra für Kinder angebotenen Lebensmittel gehörten dabei meist zu denen, die nach der Expertenempfehlung nur sparsam verzehrt werden sollten. Produkte, die man reichlich essen kann, wie verarbeitetes Obst, Nudeln oder Säfte, waren dagegen nur zu zwölf Prozent unter der Stichprobe. Damit entspreche die Produktpalette der Industrie für Kinder "ziemlich genau dem Gegenteil" der Empfehlungen.

Die Verbraucherschützer kritisieren in ihrer Studie nahezu alle großen Handelsketten und Lebensmittelkonzerne. Gletscherkrone Frühstücksflocken von Aldi Nord werden ebenso als zu zuckerreiche Snacks eingestuft, wie die Schokoflocken Zauberfleks vom Elmshorner Produzenten Kölln oder das Happy Meal von McDonald's mit Cheeseburger, Pommes und Cola.

+++ Werbeverbot geht zu weit +++

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Auch vermeintlich gesunde Produkte der Biohersteller schneiden in der Stichprobe kaum besser ab. So attestieren die Tester beispielsweise Bio-Apfel-Birne-Fruchtriegeln von Alnatura oder Bio Baby Keksen von Hipp einen zu hohen Kaloriengehalt. Insgesamt gehörten 58 Prozent der untersuchten Ökolebensmittel der roten Kategorie an und nur 29 Prozent der grünen.

Generell verputzen Kinder derzeit nur etwa die Hälfte der empfohlenen Menge an Obst und Gemüse. Aber sie futtern mehr als 200 Prozent der Menge an Süßwaren, Snacks und Softdrinks in sich hinein, die sie höchstens konsumieren sollten. Die Folge: Der Anteil übergewichtiger Kinder sei im Vergleich zu den 1980er- und 90er-Jahren um rund die Hälfte gestiegen. 15 Prozent der Kinder sind zu dick, sechs Prozent sogar fettleibig. Sie tragen ein erhöhtes Risiko für Diabetes und andere Krankheiten.

Hintergrund der bedenklichen Entwicklung ist aus Sicht der Verbraucherschützer ein überzogenes Gewinnstreben der Industrie. "Mit Obst und Gemüse lässt sich nur wenig Profit machen - mit Junkfood und Softdrinks schon mehr", sagt Expertin Markwardt. Laut einer Untersuchung der US-Bank J. P. Morgan liegt die Umsatzrendite beim Verkauf von Obst bei 4,6 Prozent, bei Süßwaren bei 15 Prozent und bei Frühstücksflocken, Snacks und Keksen sogar bei 18,4 Prozent.

Foodwatch wirft auch dem Staat Versagen vor. Anstelle klarer Vorgaben für die Hersteller binde die Bundesregierung die Junkfood-Industrie in ihre Initiativen und Aktionspläne gegen Übergewicht ein. Stoppen lasse sich der ungesunde Trend aber nur mit Verboten. Süßigkeiten sollten daher nicht mehr als Kinderprodukte beworben werden, auch Comicfiguren oder Gewinnspiele nicht mehr als Marketinginstrument eingesetzt werden. Den neuen Präsidenten des DFB, Wolfgang Niersbach, forderten die Verbraucherschützer auf, die Zusammenarbeit mit Ferrero einzustellen.

+++ Foodwatch: Drei Viertel der Kinderlebensmittel ungesund +++

Schützenhilfe erhielt Foodwatch von den Oppositionsparteien im Bundestag. Die Grünen forderten ein "Verbot von Werbung, die sich an kleine Kinder richtet, anstatt zahnloser Selbstverpflichtungen der Industrie". Die SPD-Fraktion verlangte "klare gesetzliche Regelungen zur Eindämmung der Kinderwerbung".

Das Bundesverbraucherministerium appellierte hingegen nur an die "besondere Verantwortung" der Industrie hinsichtlich der Werbung. In erster Linie komme es auf die Eltern an. "Ein Dreijähriger geht schließlich nicht selbst zum Einkaufen in den Supermarkt", sagt ein Ministeriumssprecher.

Die Plattform Ernährung und Bewegung, zu der Konzerne wie Coca-Cola, Danone oder McDonald's zählen, wies die Kritik der Verbraucherschützer zurück. Es müsse berücksichtigt werden, dass die beanstandeten Lebensmittel nur einen Teil der alltäglichen Nahrung der Kinder ausmachten, sagte die Verbandsgeschäftsführerin, Andrea Lambeck. Darüber hinaus sei es schwer, eine klare Grenze zwischen gesundem und ungesundem Essen zu ziehen, fügte Lambeck hinzu. "Warum sollten Kinder zum Frühstück kein gesüßtes Müsli essen, wenn es vergleichbare Nährwerte hat wie ein Honigbrot?", fragte Lambeck.

Der Süßwarenhersteller Ferrero verwies darauf, dass man die TV-Kampagne mit den für Nutella werbenden Fußball-Nationalspielern schon eingestellt habe. Die Kritik an den Produkten des Unternehmens sei plakativ und diene nur dazu, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erlangen.