Ein Gespräch über die Probleme mit der Quote, den eigenen Hof und die hohe Zahl der Selbstmorde bei Landwirten.

Hamburg. Für die europäischen Milchbauern geht ein dramatisches Jahr zu Ende. Auch Tausende deutsche Landwirte haben sich immer wieder in ihren Traktoren auf den Weg gemacht, um in Brüssel, Berlin oder Hamburg gegen niedrige Milchpreise zu protestieren. Mit jedem Liter, den die Bauern an die Molkereien abgeben, machen sie Verluste. Saisonal bedingt sind die Preise zwar im November sowohl für die Verbraucher als auch die Erzeuger um einige Cent gestiegen - dennoch fürchten immer noch Zehntausende Bauern um ihre berufliche Existenz. Ein Gespräch mit Romuald Schaber, dem Vorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter.

Hamburger Abendblatt: Als Landwirt aus dem Allgäu erfahren Sie die Probleme der Milchbauern am eigenen Leib. Wie sieht Ihr Kontostand derzeit aus?

Romuald Schaber: Meine Frau, mein Sohn und ich haben mit unseren 45 Kühen in diesem Jahr mindestens 10 000 Euro Verlust gemacht. Wir haben aus der Privatkasse Geld zugeschossen und Überbrückungskredite aufgenommen. Wenn die Milchpreise nicht steigen, weiß ich nicht, wovon wir die zurückzahlen sollen.

Abendblatt: Wie viele der knapp 90 000 deutschen Milchbauern mussten ihre Kühe aufgeben?

Schaber: Ich kann es nicht genau beziffern, aber es sind deutlich mehr als die üblichen drei Prozent pro Jahr. Laut unseren Zahlen aus Sachsen-Anhalt waren es bis September zehn Prozent, in Ostfriesland sogar dramatische 15 Prozent. Viele versuchen aber zu kämpfen, knapsen bei privaten Ausgaben, kündigen ihre Lebensversicherungen. Bauer zu sein, ist eine Lebensentscheidung, eine Generationenaufgabe. Da haben schon die Vorfahren geschuftet, um der Familie ein Standbein zu schaffen. Das gibt man nicht einfach auf.

Abendblatt: Was ist die Alternative?

Schaber: Es droht eine gefährliche Spirale: Es wird nicht mehr investiert, die Jugend lernt aufgrund der fehlenden Perspektive einen anderen Beruf. Deshalb wird ein Drittel aller Milchbauern in den kommenden zehn Jahren aufgeben, selbst wenn es wieder besser wird. Die Weichen sind jetzt so gestellt.

Abendblatt: Wie geht es den norddeutschen Bauern?

Schaber: Die Erzeugerpreise im Norden waren monatelang noch niedriger als in Süddeutschland, teils erhielten die Bauern pro Liter nur 18 Cent. Gerade in Schleswig-Holstein sind die Betriebe überdurchschnittlich groß - deshalb sind auch die Verluste höher. Viele Bauern aus Schleswig-Holstein oder Niedersachsen haben in den vergangenen Jahren Kredite aufgenommen, um zu modernisieren - da ist jetzt kein finanzieller Spielraum mehr.

Abendblatt: Immerhin erhalten die Bauern das Hilfspaket der Regierung von 750 Millionen Euro.

Schaber: Das hört sich gewaltig an, ist umgerechnet auf die Milchmenge aber nur ein Cent pro Liter Milch, den jeder Bauer erhält. Bei den derzeitigen Milchpreisen fehlen aber mindestens 15 Cent pro Liter, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Da sind die Hilfen ein Tropfen auf den heißen Stein.

Abendblatt: Was fordern Sie von der Politik?

Schaber: Wir wollen keine Steuergelder. Wir wollen verlässliche Rahmenbedingungen, damit der Markt wieder funktioniert. Deshalb muss die EU ihren Entschluss zurücknehmen, die Milchquote bis 2015 auslaufen zu lassen. Dadurch wird in Europa nämlich gezielt immer mehr Milch produziert. Seit Frühjahr 2008 aber fallen die Preise, der Absatz geht zurück, auch durch die Wirtschaftskrise. So kommt die Überproduktion zustande, die die Erzeugerpreise drückt. Allein im Jahr 2009 musste die EU deshalb Hunderte von Millionen in die Hand nehmen, um Butter und Milchpulver aufzukaufen. Nur so wurde ein völliger Marktzusammenbruch verhindert.

Abendblatt: Auch die Verbraucher haben von den Tiefpreisen kaum profitiert...

Schaber : Stimmt, an der Ladentheke sind nur Trinkmilch und Butter sichtbar günstiger geworden, die anderen Milchprodukte blieben teuer. Der Verbraucher hatte also viel zu wenig davon, dass die Milchpreise für die Bauern so abgestürzt sind. Auch das liegt an den Überschüssen, die momentan produziert werden: Wenn der Markt ausgeglichen ist, können Bauern und Molkereien ihre Bedingungen durchsetzen. Ist der Markt überschwemmt, diktiert der Handel von oben die Bedingungen und unten bleibt nichts mehr übrig. Auch das ist eine Folge der schrittweise erhöhten Milchquote.

Abendblatt: Der Protest der Bauern war teils sehr drastisch. Da flogen Mistgabeln, Heuballen brannten, Fische verendeten in Milchseen...

Schaber: Die Aktionen können nicht drastisch genug sein, um die Verzweiflung der Bauern zu zeigen. Wir haben mehr Selbstmorde als jemals zuvor in den vergangenen 20 Jahren. Viele Familien wissen nicht mehr vorwärts noch rückwärts, deren Leben liegt in Scherben. Die können ihrer Schulden wegen noch nicht einmal aus der Produktion aussteigen. Dabei bräuchte man nur mithilfe der Milchquote weniger zu produzieren und die Probleme wären gelöst. Und der deutsche Steuerzahler müsste nicht für Hilfsprogramme aufkommen.

Abendblatt: Was erwarten Sie für das Jahr 2010?

Schaber : Ich bin kein Prophet, aber die Marktmechanismen sprechen dafür, dass der Preis wieder herunterkracht.

Abendblatt: Wie ist die Stimmung jetzt in der Vorweihnachtszeit bei Ihnen zu Hause?

Schaber: Mein Junior ist gerade 21 und will auf dem Hof unbedingt unsere Familientradition fortführen. Der ist kampfbereit. Aber machen wir uns nichts vor: Wenn die Perspektive nicht besser wird, dann kommen die Kühe weg. Vom Idealismus und vom Draufzahlen kann man nicht leben.