Für 2009 lagen alle Prognosen daneben. Was Vorhersagen der Ökonomen leisten können - und was nicht.

Hamburg. Der Optimismus der Konjunkturforscher wächst. Gestern legten auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) aus Düsseldorf zuversichtliche Einschätzungen für das nächste Jahr vor. Dabei erwarten die Kieler ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent, während das ostdeutsche Institut von 1,9 Prozent ausgeht und das IMK sogar von zwei Prozent.

Diese Zahl sei jedoch trügerisch, räumte IMK-Direktor Gustav Horn ein, denn ein stabiler und selbsttragender Aufschwung habe keineswegs schon eingesetzt. Entsprechend hatten sich am Vortag bereits das Münchner Ifo-Institut und das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) geäußert. Sie rechnen mit Wachstumsraten von 1,7 beziehungsweise 1,5 Prozent.

Angesichts der früheren Prognosen für das nun fast beendete Jahr 2009 stellen sich aber nicht nur Laien die Frage, wie aussagekräftig solche Zahlen sind. Denn vor zwölf Monaten hat kein Forschungsinstitut, aber auch keine Bank oder internationale Organisation das Ausmaß der Rezession annähernd richtig eingeschätzt (siehe Tabelle). Mit der Prognose, die deutsche Wirtschaft werde um 2,7 Prozent schrumpfen, kam das Kieler IfW der Realität noch am nächsten. Denn: Das Minus für das Gesamtjahr 2009 dürfte bei rund fünf Prozent liegen.

"Die Institute haben sich damit total blamiert", sagte der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel von der Universität Bremen dem Abendblatt. Seine Vermutung, weshalb die Konjunkturforscher versagten: "In den volkswirtschaftlichen Modellen, die sie für ihre Prognosen verwenden, kommt die neuere Entwicklung eines finanzmarktgetrieben Kapitalismus noch gar nicht vor." Schließlich sei das Volumen der globalen Finanzmärkte auf das Vierfache der Weltproduktion angewachsen.

Ein zweiter Erklärungsansatz Hickels beschäftigt sich mit der Tatsache, dass die Schätzungen - wie verschiedene Untersuchungen - überwiegend zu optimistisch ausfallen: "Die derzeit dominierende neoliberale Wirtschaftstheorie überschätzt die Aufschwünge und unterschätzt die Abschwünge."

Hickels Appell an die Konjunkturexperten: "Werdet demütiger!" In jedem Fall sei es ratsam, Bandbreiten für die Prognose anzugeben und stärker auf mögliche Risiken und die zugrunde liegenden Annahmen einzugehen.

Vor zu hohen Erwartungen an die Schätzungen warnt selbst Michael Grömling, leitender Konjunkturforscher beim Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW): "Eine Prognose kann nicht Sicherheit geben, sondern nur Unsicherheit reduzieren." So nenne das IW die Prognosezahlen nur noch in Halbprozentschritten, um nicht Exaktheit vorzutäuschen, wo sie nicht erreichbar sei. Selbst in vergleichsweise leicht einschätzbaren Phasen könne man die Wirtschaftsentwicklung nur auf 0,25 Prozentpunkte genau prognostizieren, meist liege die Toleranz eher bei 0,5 Prozentpunkten.

Sehr viel weiter daneben lag die Gemeinschaftsdiagnose mehrerer führender Forschungsinstitute, die im Herbst des Vorjahres für 2009 sogar ein Wachstum von 0,2 Prozent annahm. Erstaunlich dabei: An diesem Gutachten arbeitete auch das Kieler IfW mit, dessen eigene Prognose - zwei Monate später erstellt - erheblich treffsicherer war. Die Diskrepanz zeige, welch große Bedeutung die aktuelle Datenlage für das Ergebnis habe, so der IfW-Forscher Alfred Boss: "Unsere Prognose erschien am 22. Dezember 2008, die Gemeinschaftsdiagnose bereits Mitte Oktober, als man noch auf weniger Informationen zurückgreifen konnte." Zudem gab es auch im Gemeinschaftsgutachten ein zweites, pessimistischeres Szenario. Doch das stand auf den hinteren Seiten.