Welcher Weg ist der richtige? Experten befürworten eine höhere Mehrwertsteuer und den radikalen Abbau von Subventionen. Eine Analyse.

Hamburg. Die Schuldenuhr tickt unaufhörlich. Jede Sekunde wächst die Last Deutschlands um 4439 Euro. Gestern Nachmittag um 17 Uhr stand die gigantische Summe von 1 606 153 280 281 Euro auf dem Zähler - also mehr als 1,6 Billionen Euro. Pro Kopf sind dies 19 573 Euro, wie der Bund der Steuerzahler im Internet berechnet.

Die weltweite Wirtschaftskrise hat im Haushalt der Bundesrepublik deutliche Spuren hinterlassen. Die Neuverschuldung wird in diesem Jahr nach Schätzungen von Finanzexperten um weitere 77,3 Milliarden Euro wachsen, der Entwurf des Bundeshaushalts sieht für 2010 eine weitere Erhöhung um 86 Milliarden Euro vor. Schuld an dieser Mehrbelastung sind vor allem die Milliardenausgaben für die Konjunkturprogramme und Staatsbürgschaften. Negativ zu Buche schlagen zudem die rückläufigen Unternehmenssteuern durch die Umsatzrückgänge.

Nicht nur Privatleute und Unternehmen wissen, dass hohe Schulden durch die Zinsbelastung ein Bremsklotz für jede weitere Entwicklung darstellen. "Wir dürfen nicht in die Schuldenfalle geraten. Eine zu hohe Zinslast schränkt unsere Handlungsfähigkeit und die der nächsten Generationen zu sehr ein", warnt der Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Thomas Straubhaar.

Doch der Weg zum Abbau der Schuldenlast ist umstritten. Während die Politik mit Blick auf die Bundestagswahlen vollmundig Steuergeschenke verspricht, um Wähler zu gewinnen, hat das Abendblatt Wirtschaftsforscher befragt, wie die Verschuldung in den Griff zu bekommen ist.

Umfassende Steuerreform - und höhere Mehrwertsteuer

Der HWWI-Direktor Thomas Straubhaar schlägt drastische Einschnitte vor, um die Schuldenlast baldmöglichst zu senken. "Wir brauchen schnell eine grundlegende Steuerreform sowie eine deutliche Reduzierung der Staatsausgaben. Einzelschritte reichen nicht aus, ein Gesamtpaket muss her." Ein weiteres Konjunkturpaket lehnt Straubhaar ab. Der Volkswirtschaftsprofessor plädiert für eine stärkere Verlagerung der Staatseinnahmen auf indirekte Steuern (Mehrwertsteuer) statt direkte Steuern (Lohnsteuer). "Für Arbeitnehmer sollten die Einkommensteuer und Lohnabgaben gesenkt werden, damit sie wieder mehr Netto vom Brutto in der Tasche haben. Dazu gehören auch eine Anhebung der Freibeträge und eine Abschaffung der kalten Progression. Die Unternehmen müssen sowohl steuerlich als auch von bürokratischen Auflagen entlastet werden." Im Gegenzug fordert Straubhaar höhere Mehrwertsteuern. "Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent ist ein vernünftiger Satz, der auch in anderen EU-Ländern üblich ist. Gleichzeitig sollte der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent abgeschafft und auf den Normalsatz angehoben werden." Ein Prozentpunkt Mehrwertsteuererhöhung bringe etwa acht Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen, rechnet Straubhaar vor.

Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, schlägt eine Mehrwertsteuererhöhung von 19 auf 25 Prozent vor. Dies würde pro Jahr dauerhaft 50 Milliarden Euro mehr in die Staatskasse spülen.

"Die Nettoneuverschuldung sollte jedoch spätestens 2013 wieder auf null zurückgefahren sein", mahnt der HWWI-Chef. Sobald der Aufschwung wieder Fahrt aufnimmt, müssten Überschüsse dann endlich auch zum realen Abbau von Schulden verwendet werden.

Höhere Abgaben sind Gift für die Konjunktur

Der Direktor des Bremer Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW), Rudolf Hickel, lehnt dagegen jegliche Steuererhöhungen als "abenteuerlich" ab: "Eine Mehrwertsteuererhöhung würde den Aufschwung abbremsen und die Kaufkraft einschränken. Die Arbeitslosigkeit würde vor allem im Handwerk steigen und die Schwarzarbeit zunehmen." Auch das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) fürchtet, dass dadurch der Konsum abgewürgt würde. Schon die letzte Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent habe eine Konjunkturdelle verursacht. Hickel sieht derzeit keinen Spielraum, die Staatsverschuldung zu stoppen: "Das wäre Gift für die Konjunktur. Für eine Exit-Strategie ist es zu früh. Wir müssen durchhalten, bis ein stärkerer Aufschwung kommt. Bis dahin brauchen wir eher noch ein drittes Konjunkturpaket, um die Wirtschaft anzukurbeln."

Staatsausgaben und Subventionen radikal abbauen

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hält ein radikales Absenken der Staatsausgaben für den besten Weg. "Der Staat sollte spätestens 2010 beginnen, die Subventionen abzubauen - und zwar am besten mit der Rasenmähermethode jährlich um zehn Prozent über alle Posten", sagt Konjunkturchef Joachim Scheide. Derzeit verteile der Staat jährlich rund 130 Milliarden Euro Subventionen - also fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Allein durch ihren Abbau könnte die Neuverschuldung in drei bis vier Jahren auf null gesenkt werden.