Bundesweit gibt es 35.000 offene Stellen, in Hamburg sind es mehr als 1000. Die IG Metall befürchtet jedoch Angriffe auf die Stammbelegschaften.

Hamburg. Konrad W. (48) hat Glück gehabt. Der Maschinenbautechniker arbeitet seit gut drei Jahren bei Airbus in Finkenwerder als Leiharbeiter. Der Familienvater konstruiert am Computer das Interieur für Flugzeuge. Seine Kenntnisse sind speziell, auf sie will der Flugzeugbauer auch in der Wirtschaftskrise nicht verzichten. Wie weitere rund 5200 Leiharbeiter im Hamburger Airbus-Werk hat auch er seinen Job bis heute nicht verloren.

Stefan R. (26) hat wiederum Pech und Glück gehabt. Als Daimler wegen der Absatzflaute Ende 2008 alle Leiharbeiter nach Hause schickte, zählte der Kfz-Mechaniker zu den 130 Betroffenen im Harburger Werk, die gehen mussten. Über seine Leihfirma fand er nach dreiwöchigem Zwangsurlaub jedoch wieder einen neuen Einsatz, erst in einem Callcenter, dann als Logistiker bei einem Autohersteller. Dort winkt ihm zum Jahresende sogar eine Festanstellung.

Zeitarbeit hat viele Gesichter. Es ist ein Arbeitssektor, in dem alles in Bewegung ist, der von seinen Mitarbeitern größte Flexibilität verlangt und dies oft zu geringeren Monatslöhnen als sie Festangestellte an den Einsatzorten erhalten. Fakt ist auch: Keine Branche wurde von der Wirtschaftskrise so stark gebeutelt wie die Zeitarbeitsbranche und ihre Beschäftigten. "Im Juli 2008 beschäftigten wir noch 800 000 Mitarbeiter, im Mai 2009 waren es nur noch 500 000. Wir haben 300 000 Beschäftigte verloren, ein Minus von 37,5 Prozent. So einen bitteren Einschnitt haben wir vorher noch nie erlebt", sagt Volker Enkerts, Präsident des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA) dem Abendblatt. Am stärksten habe die Krise die Autoindustrie, ihre Zulieferer sowie den Maschinenbau getroffen - insbesondere Hilfskräfte.

Die Hamburger Zeitarbeitsbranche mit ihren 475 Unternehmen und rund 28 000 Mitarbeitern übersteht die Krise unterdessen bisher noch relativ gut. "Während in Süddeutschland Firmen teilweise 70 Prozent ihres Umsatzes verloren haben, gibt es solche dramatischen Einbrüche in Hamburg nicht", sagt Enkerts. Hamburg habe weniger Industrie. "In der Dienstleistung werden immer noch viele Fachkräfte gesucht, wie Einkäufer, Controller oder Bürokräfte. Ebenso im Gesundheitswesen, der IT-Branche und im Bereich der erneuerbaren Energien."

So beschäftigt Lufthansa Technik weiter 880 Leiharbeiter in seinem Hamburger Werk, sagt Sprecher Thomas Erich. Der Hamburger Gabelstaplerbauer Jungheinrich baute dagegen 100 Leiharbeiter in Norderstedt ab. "Damit wollen wir unsere Stammbelegschaft schützen", sagt Firmensprecher Markus Piazza. Der Konkurrent Still stellte wiederum einen Großteil seiner 100 Zeitarbeiter fest ein und will nun mit Kurzarbeit die ganze Belegschaft durch die Krise bringen, so Still-Sprecher Matthias Klug. Blohm + Voss reduzierte seine Leiharbeiter nur im Neubaubereich, nicht aber in der Reparatur.

Trotz massiven Personalabbaus steckt die Branche nicht den Kopf in den Sand. Sie sieht vielmehr erste Zeichen für eine Besserung. "Erstmals seit zwölf Monaten konnten wir im Juni wieder einen Anstieg der Zeitarbeiter verzeichnen. Die Mitarbeiterzahl erhöhte sich im Vergleich zum Mai um rund drei Prozent", nennt Enkerts das Ergebnis des BZA-Zeitarbeitsindexes. "Aktuell gibt es bundesweit 35 000 offene Stellen in der Zeitarbeit - in Hamburg sind es 1018." Auch der Vizechef der Hamburger Arbeitsagentur Hans-Martin Rump bestätigt, dass Zeitarbeitsunternehmen wieder verstärkt einstellen: "Das ist ein Hoffungsschimmer." So bietet Randstad im Großraum Hamburg 450 Stellen, Flex-Time 40 und Manpower Aviation 80 Stellen.

Generell gilt Zeitarbeit als sehr konjunkturabhängig, da Unternehmen Leihkräfte vor allem einsetzen, um Auftragsspitzen abzudecken. Zeitarbeiter sind die Ersten, die bei einer Flaute abgebaut werden. Sie sind aber auch die Ersten, die beim Anspringen der Konjunktur eingestellt werden. Markiert die steigende Nachfrage bereits die Trendwende in der Wirtschaft? "Noch ist schwer zu beurteilen, ob der Anstieg saisonal oder konjunkturell bedingt war. Klar ist: Im Mai stagnierte der Stellenabbau erstmals. Damit wurde der dramatische Abwärtstrend gestoppt. Vielleicht haben wir damit die Talsohle erreicht."

Für die Zukunft ist Enkerts sehr optimistisch: "Die Zeitarbeit wird gestärkt aus dieser Krise hervorgehen." Sobald die Wirtschaft anspringe, werde es einen Nachfrageboom geben. "Springt die Konjunktur 2010 an, könnten wir schon Ende des nächsten Jahres mehr als eine Million Mitarbeiter beschäftigen." Was die Branche freut, versetzt die Gewerkschaft in Alarm: "Dies wird ein massiver Angriff auf die Stammbelegschaften", fürchtet der Sprecher der IG Metall Küste, Daniel Friedrich. "Wir werden nach der Krise noch mehr prekäre, schlecht bezahlte Jobs bekommen. Wir werden deshalb massiv für gleiche Bezahlung in der Zeitarbeit kämpfen."